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BB 2025, I
Stahlschmidt 

Regierung nach Start schon unter Druck

Abbildung 1

Steuervereinfachung durch Pauschalierung

Lange ist der neue Bundesfinanzminister noch nicht im Amt und schon muss er schlechte Nachrichten verdauen. Nach neuesten Schätzungen des Arbeitskreises Steuerschätzung wird der Staat in den Jahren 2025 bis 2029 wohl 81,2 Mrd. Euro Steuern weniger einnehmen, als bei der Herbstschätzung prognostiziert. Gingen die Schätzer damals für 2026 noch von 1 025 Mrd. Euro Steuereinnahmen aus, sollen es nun wohl nur ca. 1 006 Mrd. Euro werden. Für den Bund prognostizieren die Steuerschätzer 33,3 Mrd. Euro weniger Gesamteinnahmen. Für 2026 bedeutet dies rund 10 Mrd. Euro weniger für den Bund. Neben den verfassungsrechtlich gebotenen Maßnahmen, wie Anhebung des Grundfreibetrages im Hinblick auf die Leistungen des Bürgergeldes, tut die schwächelnde Konjunktur ihr Übriges.

Die neue Bundesregierung hat im Koalitionsvertag von CDU/CSU und SPD einige steuerpolitische Maßnahmen angekündigt, die Bundeskanzler Friedrich Merz in seiner Regierungserklärung vom 14.5.2025 vorgetragen hat. Hier stellt sich die Frage, ob diese so viel Potential entfalten können, dass die Wirtschaft wieder wächst.

Können diese sehr kleinteiligen Maßnahmen des Koalitionsvertrags einen nennenswerten Effekt entfalten? Bei der Einkommensteuer fehlt eine entlastungsentfaltende Tarifreform. Am Solidaritätszuschlag wird festgehalten. Eine Vereinfachung bei der Einkommensteuer ist nicht vereinbart. Als wäre das nicht schon genug, platzt in diese Situation noch ein Gutachten des wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen, das in einer Vorabfassung am 15.5.2025 veröffentlicht wurde. In der Problembeschreibung erfährt der Leser nichts Neues. Im internationalen Vergleich ist das deutsche Einkommensteuersystem durch eine Vielzahl von kleinteiligen Abzugsmöglichkeiten sehr komplex, der Befolgungs- und Verwaltungsaufwand hoch.

Bemängelt werden die faktischen Pauschalen im Steuervollzug, die sich in keinerlei Rechtsvorschrift finden, aber zur Vereinfachung gewährt werden. Als Beispiel verweist der Beirat auf die nicht gesetzlich geregelte Nichtaufgriffsgrenze für den Werbungskostenabzug bei Arbeitsmitteln.

Der wissenschaftliche Beirat sieht als Lösung zwei Wege, zum einen die Digitalisierung und zum anderen Vereinfachung durch Pauschalierung und Typisierung. Im Rahmen der Digitalisierung wird für die automatisch durchgeführte Veranlagung und die vorausgefüllte Einkommensteuererklärung plädiert, wie sie in anderen Ländern bereits umgesetzt werde. Bei der Vereinfachung durch Pauschalierung geht es darum, die komplexen steuerlichen Abzugstatbestände durch die Vereinfachung der Werbungskostenabzüge zu vermindern. Konkret spricht sich der Beirat dafür aus, dass die Aufwendungen, die ein “spezifisches Näheverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer” aufweisen, nur vom Arbeitgeber steuerlich abzugsfähig sein sollen. Dies soll für Aufwendungen für Arbeitsmittel ebenso gelten wie für den Verpflegungsmehraufwand bei Dienstreisen.

Dagegen sollen die Entfernungspauschale, Homeoffice-Pauschale und Aufwendungen für das häusliche Arbeitszimmer in einer Arbeitstagepauschale zusammengefasst werden und vom Arbeitnehmer als Werbungskosten abgezogen werden können. Aufwendige Prüfungen im Rahmen von Feststellungen von Homeoffice-Gegebenheiten und häuslichem Arbeitszimmer könnten entfallen. Zudem habe die Finanzverwaltung nur eingeschränkt die Möglichkeit, die Arbeitstage im Büro und Homeoffice zu überprüfen. Für Fernpendler sollten durch eine Öffnungsklausel die Aufwendungen für Entfernungskilometer jenseits einer Wesentlichkeitsschwelle zum Abzug zugelassen werden. Bei Umsetzung dieser Konzeption könnte der Arbeitnehmerpauschbetrag entfallen. Wegen der Bedeutung von Aus- und Fortbildung sieht der Beirat es als notwendig an, Fort- und Weiterbildungskosten “vollumfänglich zum Werbungskostenabzug” zuzulassen. Er spricht sich auch dafür aus, die Kosten der Erstausbildung als vortragsfähige Werbungkosten anzuerkennen. Dies wäre eine echte Revolution!

Durch die Einbeziehung der neuen Arbeitstagepauschale in den Lohnsteuerabzug könnte die Anzahl der Einkommensteuererklärungspflichtigen gesenkt und lediglich Steuerpflichtige mit größeren Aufwendungen müssten noch eine Einkommensteuererklärung abgeben. Im Hinblick auf die automatische Veranlagung von Arbeitnehmern sieht der Beirat dies als wesentlichen Zwischenschritt an.

Dass eine hohe Komplexität zu einem höheren Risiko von Vollzugsdefiziten führt, belegen die angeführten Zahlen. Das BMF verzeichnet über alle Steuerarten hinweg mit ca. 3 Mio. Fällen eine sehr hohe Anzahl von Einsprüchen gegen Steuerbescheide, die dann in erheblichem Umfang gerichtlich geklärt werden müssen. Die OECD kommt im Bereich der Einkommen- und Körperschaftsteuer auf 65 Einsprüche pro 1 000 Steuerpflichtige für Deutschland. In 37 der 49 Länder des OECD-Berichts liegt die Quote unter zehn Einsprüchen pro 1 000 Steuerpflichtigen.

Die Bedenken, die gegen eine derartige Reform ins Feld geführt werden, liegen ebenso wie der Befund des wissenschaftlichen Beirats auf der Hand: Steuergerechtigkeit und Finanzierbarkeit. Selbstredend führen Pauschalierungen zu einem “Verlust an Steuergerechtigkeit”. Die Frage der Finanzierbarkeit ist mit Blick auf die ersten Zeilen wohl auch bereits beantwortet. Deswegen fällt die Prognose nicht schwer, dass die Gedanken des wissenschaftlichen Beirats wohl eher nicht den Weg in die Praxis finden. Aber wer weiß, vielleicht überrascht uns die Politik. Am Ende muss sie es entscheiden.

Prof. Dr. iur. Michael Stahlschmidt lehrt an der FHDW Paderborn Steuerrecht, Rechnungswesen, Controlling und Compliance und ist Ressortleiter des Ressorts Steuerrecht des Betriebs-Berater und Schriftleiter Der SteuerBerater.

 
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