Editorial
Heft 4/2013 bietet wiederum einen Griff ins pralle Menschenleben. Es geht um die Verfahrensweise beim Atomausstieg, es geht um die – „hochstreitige“ (OLG Schleswig) – Rekommunalisierung, es geht aber auch um den Verbraucherschutz, der – vor allem mit Hilfe des EuGH – vorankommt.
Den Einstieg bildet ein Aufsatz des Verfassers dieser Zeilen mit dem provokanten Titel „Zurück in die Steinzeit“. Es geht um das Moratorium, das acht der ältesten Atomkraftwerke der Republik nur wenige Tage nach Fukushima lahmgelegt hat. Das betraf auch Biblis Block B. Der Betreiber RWE betreibt eine Fortsetzungsfeststellungsklage, nachdem mit der 13. AtG-Novelle auch vom Gesetzgeber eine Stilllegung verfügt war. Der VGH bejahte das besondere Feststellungsinteresse mit der Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen. Dabei fällt freilich auf, dass Biblis B zum Zeitpunkt der Anordnung in Revision war und das Land unbestritten vortragen kann, dass die Revision bis zum 18. Juni 2011 andauerte. Das Moratorium war also für Einnahmeausfälle wohl gar nicht kausal.
Dazu kommt eine Vielzahl von Merkwürdigkeiten. Die auffälligste ist, dass sich Bund und Länder einig sind beim – fast ängstlichen – Aussparen der eigentlichen Begründung für die Stilllegung, nämlich der mangelnden Sicherung der alten Atomkraftwerke gegen terroristischen Flugzeugabsturz. Die Untersuchungen dazu wurden schon im Jahr 2002 abgeschlossen. Biblis B war eine der Referenzanlagen. Trotzdem finden diese Ergebnisse in die Verfügung von Bund und Land keinen Eingang. Dazu kommt die Erdbebengefährdung, die am Standort Biblis immer ein Streitpunkt erster Ordnung war – wie der Verfasser dieser Zeilen beurteilen kann, der an verschiedenen Verfahren dazu beteiligt war.
Sehr merkwürdig auch der Umgang mit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 10.04.2008 (Zwischenlager Brunsbüttel), in dem das Gericht die Klagebefugnis von Anwohnern bejaht hat, weil sich aus der mangelnden Auslegung gegen terroristischen Flugzeugabsturz ein Gefahrenverdacht ergebe. Das Moratorium hatten Bund und Länder mit der Durchführung einer Untersuchung gerade zu den „bisher nicht berücksichtigten Szenarien“ begründet, für die eine Stilllegung von drei Monaten für erforderlich gehalten wurde. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts bejaht den Gefahrenverdacht gerade für diesen Fall. Trotzdem wird er nicht erwähnt. Woran kann das liegen? Dem Betrachter der Szene fällt auf, dass der Verfasser der bundesaufsichtlichen Verfügung, Hennenhöfer, dieses Urteil in einem Festschriftbeitrag, erschienen 2010, heftig angegriffen hat. Aber darf man ein höchstgerichtliches Urteil einfach totschweigen, weil es eine Verfügung erst so richtig schlüssig macht? Sollte die Verfügung eine Sollbruchstelle werden? Auch an der Rekommunalisierungsfront wird heftig gestritten, wie erwähnt. Das Zauberinstrument ist die diskriminierungsfreie Vergabe von Konzessionen durch die Gemeinden, die das Bundeskartellamt akribisch überwacht. Auswahlkriterien, die die gemeindliche Stellung stärken, sind unzulässig. Die Art und Weise, wie die Konzerne die Rekommunalisierung mit allerlei Tricks und Winkelzügen unterlaufen, wie etwa bei der Zahlung von Konzessionsabgaben nach Ablauf der Jahresfrist des § 48 Abs. 3 EnWG, bleibt hingegen unbeanstandet und wird im Gemeinsamen Leitfaden von Bundeskartellamt und Bundesnetzagentur nicht erwähnt. Zu dem Thema haben das OLG Schleswig und das Landgericht Mannheim divergierende Entscheidungen vorgelegt, die beide kommentiert werden. Spannende Auseinandersetzung!
Den Bedeutungszuwachs des Verbraucherschutzes machen gleich drei Entscheidungen des BGH zu Klauselrügen in Energielieferverträgen deutlich. Die Urteile ergingen auf Klage von Verbraucherzentralen nach dem UKlaG. Das Verbandsklagerecht erhielt seine richtigen Schübe aber durch zwei junge Entscheidungen des EuGH. Die erste war die im Trianel-Steinkohlekraftwerk Lünen (ZNER 2011, 286), in der entschieden wurde, dass das deutsche Umweltrechtsbehelfsgesetz deswegen nicht europarechtskonform war, weil es kein Verbandsklagerecht vorsah. Kläger war hier der Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND). Die zweite Entscheidung vom 21.03.2013 (Anwendung einer Verbraucherschutzrichtlinie der EU auf Preisänderungsklauseln in Erdgas-Sonderverträgen, ZNER 2013, 147) erging in einem Klageverfahren der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen gegen die RWE Vertrieb AG; und zwar auf Grund einer Vorlage des 8. ZS des BGH, der schon Vorlagen von OLGs vorangegangen waren. Der BGH hat nach Zurückverweisung vor wenigen Tagen mündlich verhandelt. Die Entscheidung fiel am 31. Juli – und zwar im Sinne des Klägers, wie von Markert (ZNER 2013, 257 ff.) vorhergesagt. Die ZNER dokumentiert zunächst die Pressemitteilung des BGH.
Peter Becker