Kontrolle der Lebensmittel. Globalisierte Anforderungen – lokaler Vollzug?
Das Thema war überfällig: Der 22. Deutsche Lebensmittelrechtstag in Wiesbaden widmete sich seit vielen Jahren erstmals wieder schwerpunktmäßig der Lebensmittelkontrolle, die als umfassender und „aktiverer“ Begriff in der Praxis mehr und mehr die traditionelle „Lebensmittelüberwachung“ abgelöst hat. Gerade gegenwärtig stehen die Kontrolle der Lebensmittel und der Vollzug der lebensmittelrechtlichen Normen vor ständig neuen Herausforderungen. Während die Öffentlichkeit von der Lebensmittelkontrolle vor allem im Zusammenhang mit kriminellen Einzelfällen vom Typus „Gammelfleischskandal“ Notiz nimmt, geht es in der Praxis um die alltägliche Erfüllung von qualitativ und quantitativ völlig neuartigen Anforderungen. Die Stichworte lauten hier: Kooperation im europäischen und bundesstaatlichen Maßstab, Berufsbild der unterschiedlichen Gruppen von Bediensteten und Kommunikation.
Wer meint, dass diese Themen nur die unmittelbar an der Lebensmittelkontrolle Beteiligten interessieren, geht fehl. Kontrolle ist ein Kommunikationsprozess, an dem Kontrolleure und Kontrollierte beteiligt sind. Für deren Verhältnis zueinander ist schon die Begriffsgeschichte interessant. Sie reicht weit hinter den französischen Ursprung der „Contrôle“ zurück. Schon im antiken Rom fügten die Importeure von Wein, Olivenöl und anderen Waren ihren Sendungen zu Schiff und zu Lande die Warenliste – damals natürlich in Form einer Schriftrolle (rotula) – bei. Getrennt erstellt und transportiert wurde die „contra rotula“, die Gegenrolle, die den Transporteur an Manipulationen von Waren und Warenlisten hinderte und dem Händler Gewähr dafür bot, dass die Ware qualitativ und quantitativ mit den Begleitdokumenten übereinstimmte. Schon daraus wird deutlich: Kontrolle muss unabhängig sein und eine gewisse Distanz haben – im antiken Rom nicht anders als im absolutistischen Frankreich und im modernen Europa.
Heute verstehen wir Kontrolle allerdings umfassender. In einer weitgehend selbstbestimmten und den Markgesetzen folgenden Lebensmittelwirtschaft ist die „Lebensmittelkontrolle“ nicht nur „Überwachung“; sie ist im weitesten Sinne Vollzug des Lebensmittelrechts. Dabei dämmert auch den letzten Gesetzgebungsoptimisten, dass noch so perfekte Regelungen und Vorgaben nicht ausreichen, wenn sie in der Praxis der in Deutschland immerhin mehr als 400 zuständigen Behörden nicht effizient umgesetzt werden.
Aus der Fülle der Probleme hat der 22. Deutsche Lebensmittelrechtstag solche Fragen herausgegriffen, die über die Lebensmittelüberwachung im eigentlichen Sinne hinaus auf besonders breites Interesse stoßen. Begonnen wurde mit dem Spannungsverhältnis von Zentralität und Dezentralität, und zwar sowohl im europäischen wie auch im Maßstab des deutschen Bundesstaates.
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Stehen sich hier wirklich globale Anforderungen und lokaler Vollzug gegenüber?
ZLR 2009 S. 121 (122) -
Stimmt der Grundsatz der nationalen Ausführung des EU-Gemeinschaftrechts noch oder haben sich nicht bereits längst auf europäischer Ebene Kontrollinstanzen herausgebildet, deren Kooperation mit den nationalen Behörden sichergestellt werden muss?
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Wie fällt die vorläufige Bilanz des Lebensmittelrechts in Bezug auf die Folgen der Föderalismusreform und der „Kommunalisierung“ in vielen Bundesländern aus?
Die Fülle der Informationen kann von klassischen Kontrollinstanzen nicht mehr ausschließlich bewältigt werden. So hat der Deutsche Lebensmittelrechtstag in der Vergangenheit wiederholt die Bedeutung der Eigenkontrolle der Unternehmen und deren Kooperation mit der Lebensmittelüberwachung hervorgehoben. Auf den Plan getreten sind aber auch „neue Kontrolleure“, also NGOs, „Wachhundgruppen“ und Warentester im internationalen und nationalen Feld. Von diesen gehen vielfach wichtige Impulse und auch Verbesserungen für die amtliche Lebensmittelüberwachung aus; sie nutzen aber auch die ihnen zukommenden Spielräume bis an die Grenze und – wie manche meinen – darüber hinaus. Weil es hier zu differenzieren gilt, gab der 22. Deutsche Lebensmittelrechtstag neben einem wissenschaftlichen Referat erstmals auch Vertretern der „Stiftung Warentest“ und von „Greenpeace“ Gelegenheit zu statements über ihre Tätigkeit.
Unter dem Leitprinzip „Transparenz“ stehen Möglichkeiten der Verbraucherinformation, aber auch der Schutz von persönlichen Daten und Geschäftsgeheimnissen im Mittelpunkt. Schließlich wurde – erstmals in der Geschichte der Lebensmittelrechtstage – die Aufmerksamkeit auf die Qualität der Lebensmittelkontrolleure innerhalb und außerhalb der Behörden und damit auf Ausbildung, Berufsbild und Weiterqualifikation gerichtet. Schon hierbei wurde deutlich, dass es ein einheitliches Berufsbild „des“ Lebensmittelkontrolleurs nicht gibt. In diesem Feld tätig sind vielmehr neben Juristen Lebensmittelchemiker, Veterinäre und Lebensmittelkontrolleure im engeren Sinne, über deren Ausbildung, Ausstattung und spezifische Probleme die Öffentlichkeit wenig weiß.
Das Stichwort „Globalisierung“ richtet die Aufmerksamkeit auf die Lebensmittelüberwachung an der Grenze. Diese findet heute nicht mehr an klassischen „Grenzstationen“, sondern tief im Inland, an Häfen und Flughäfen statt. Die Praxis der Lebensmittelüberwachung zwischen Krisenmanagement, Skandalvermeidung und Alltag schilderte eine Fallstudie.
In diesem und in den folgenden Heften werden die wichtigsten Beiträge des 22. Deutschen Lebensmittelrechtstages veröffentlicht. Sie zeigen, wie wichtig es ist, rechts- und verwaltungswissenschaftliche Fundierung mit der Analyse praktischer Probleme zu verbinden.
Prof. Dr. Friedhelm Hufen, Mainz*
* | Wissenschaftlicher Leiter des 22. Deutschen Lebensmittelrechtstags, Vorsitzender des Beirats der WGL, Mitglied im Beirat von BLL und ZLR. |