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ZLR 2015, 411
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Bessere Ergebnisse durch bessere Rechtsetzung?

Erste Einschätzungen zur Agenda der Kommission

Ende Mai 2015 hat Vizepräsident Frans Timmermans das Maßnahmenpaket der Europäischen Kommission zur „Besseren Rechtsetzung“ wie folgt vorgestellt: „Bessere Rechtsetzung gehört … zu unseren Hauptprioritäten. Wir nehmen die Sorgen von Bürgerinnen und Bürgern sowie von Unternehmen, insbesondere KMU, ernst, dass Brüssel nicht immer Vorschriften erlässt, die sie verstehen oder anwenden können.... Wir müssen die Auswirkungen von Rechtsvorschriften bereits im Entwurfsstadium rigoros bewerten – dazu gehören auch substanzielle Änderungen, die während des Gesetzgebungsprozesses vorgenommen werden –, damit fundierte und faktengestützte politische Entscheidungen getroffen werden können. Und auch wenn sich Politiker naturgemäß eher auf neue Initiativen konzentrieren, so müssen wir mindestens ebenso viel Aufmerksamkeit darauf verwenden, bestehende Rechtsvorschriften zu überprüfen und Möglichkeiten zur Verbesserung oder Vereinfachung zu ermitteln.… Die Entscheidungen der EU-Institutionen gehen uns alle an. Deswegen ergreifen wir Maßnahmen, die für mehr Offenheit, Transparenz und Kontrolle im EU-Entscheidungsprozess sorgen und den Menschen mehr Gelegenheit bieten, ihren Standpunkt einzubringen.“

Starke Worte eines starken Vizepräsidenten, ohne den in Sachen Gesetzgebung in Brüssel nichts geht, muss doch jedes Regelungsvorhaben nicht nur in den zuständigen Generaldirektionen abgestimmt werden, sondern bedarf auch seiner Zustimmung. Wer Zweifel hatte, dass die Juncker-Kommission ihrem Bekenntnis zu einer „Europäischen Union, die in großen Fragen Größe und Ehrgeiz zeigt und sich in kleinen Fragen durch Zurückhaltung und Bescheidenheit auszeichnet“ sowie zur ersten Priorität, Impulse für Arbeitsplätze, Wachstum und Investitionen und zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit zu schaffen, Taten in Bezug auf den Umgang mit ihrer Kompetenz zur Gesetzgebung folgen lassen würde, dürfte bereits eines Besseren belehrt sein.

Nicht mehr über 130 Regelungsinitiativen wie zuletzt, sondern nur 23 sollen es 2015 sein – und dazu kommt eine umfangreiche Agenda zur besseren Rechtsetzung, die neben kommissionsinternen Leitlinien und einer Toolbox mit dem Vorschlag für eine interinstitutionelle Vereinbarung bereits auch die „Mitverpflichtung“ von Rat und Europäischem Parlament auf diese Ziele ebenso enthält, wie konkrete organisatorische Maßnahmen mit den Beschlüssen über die Einrichtung eines unabhängigen Ausschusses für Regulierungskontrolle und einer sogenannten REFIT-Plattform. Neben der kritischen Prüfung neuer Vorhaben ist dabei die Überprüfung des bestehenden Rechts der zweite wichtige Baustein der Agenda der Kommission zur besseren Rechtsetzung.

Die wichtigsten Eckpunkte, Inhalte und Zielsetzungen ihrer Agenda beschreibt die Kommission selbst mit den Schlagworten „Mehr Transparenz, umfassende Konsultation“, „Ständige Überprüfung des geltenden Rechts“ und „Bessere Folgenabschätzung und Qualitätskontrolle“:

ZLR 2015 S. 411 (412)
  • „Mehr Transparenz, umfassende Konsultation“ soll durch eine systematische Beteiligung der Stakeholder an allen Regelungsverfahren erreicht werden – auch an delegierten Rechtsakten und Durchführungsrechtsakten. Sie soll parallel zur der der Mitgliedstaaten erfolgen, damit es nicht zu einer Verlängerung der Verfahren kommt. Die Veröffentlichung einer Liste geplanter Rechtsakte soll sicherstellen, dass die interessierten Kreise rechtzeitig auf die Initiativen der Kommission aufmerksam gemacht werden.

  • Die „Ständige Überprüfung des geltenden Rechts“ wird über das Programm zur Gewährleistung der Effizienz und Leistungsfähigkeit der Rechtsetzung (REFIT) fortgesetzt und gestärkt, in dessen Rahmen das geltende EU-Recht überprüft wird. Die REFIT-Plattform soll mit ihren Sachverständigen aus Unternehmen, Gesellschaft und Politik das zentrale Gremium zur Gewährleistung dieser Ziele sein. Der Fitnesscheck der Basis-Verordnung (EG) Nr. 178/2002 zum Lebensmittelrecht, mit dessen Ergebnissen für Anfang 2016 zu rechnen sein dürfte, und der angekündigte Fitnesscheck der Claims-Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 werden erste Gradmesser für Relevanz und praktische Bedeutung dieses Ansatzes sein.

  • „Bessere Folgenabschätzung und Qualitätskontrolle“ sollen durch eine Stärkung der Folgenabschätzungen im Regelungsverfahren und die Verpflichtung auf eine verbesserte Evidenzbasis erreicht werden. Der unabhängige Ausschuss für Regulierungskontrolle soll diese gestiegene Bedeutung institutionell absichern. Folgenabschätzungen auf Antrag von Rat, Europäischem Parlament oder Kommission für jede substanzielle Änderung von Regelungsvorschlägen der Kommission im Gesetzgebungsverfahren sind ein gänzlich neuer Ansatz. Die Entscheidung der Kommission, keine Regelungen zur verpflichtenden Herkunftskennzeichnung etwa von Milch oder Lebensmitteln aus einer Zutat vorzuschlagen, mag die gewachsene Bedeutung von Folgenabschätzungen bereits heute belegen. Die unmittelbare Ankündigung einzelner Mitgliedstaaten, dann nationale Regelungen vorzusehen, macht den politischen Druck deutlich, unter den die Kommission in diesen Fällen geraten kann.

Die Lebensmittelwirtschaft hat das Vorhaben der Kommission europaweit begrüßt, gerade wegen der vorgesehenen Transparenz- und Beteiligungsrechte im Regelungsverfahren und der Fokussierung von Folgenabschätzungen auf KMU. Deutlich kritischer ist die Reaktion von 57 Verbraucher-NGOs ausgefallen, die umgehend einen „Wachhund zur besseren Rechtsetzung“ eingerichtet haben, um sicherzustellen, dass „bessere Rechtsetzung“ nicht demokratische Rechte von Rat und Europäischem Parlament gefährdet, keine Blankettausnahmen von Regelungen erfolgen, Folgenabschätzungen nicht legitime Regelungen bedrohen, sondern diese verbessern, Transparenz nicht zu noch mehr Einfluss der Unternehmen führt und der Ansatz der besseren Rechtsetzung nicht generell dazu führt, dass das regulatorische Niveau abgesenkt wird – ungeachtet des Bekenntnisses der Kommission, dass es bei besserer Rechtsetzung nicht um mehr oder weniger, sondern um die Qualität geht.

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Dass der Ansatz nicht auf ungeteilte Zustimmung stößt, liegt auf der Hand, erschwert er doch prima facie die Berücksichtigung der eigenen Interessen im Regelungswege. Auch aus Sicht der Lebensmittelwirtschaft gibt es Regelungsvorhaben wie etwa das zur Festlegung von Höchstmengen von Vitaminen und Mineralstoffen, das nicht auf der Prioritätenliste der Kommission steht und dann Hürden der besseren Rechtsetzung wird nehmen müssen. Das ist aber Bürde und Chance zugleich, denn die Darlegung des weiteren Harmonisierungsbedarfs zu diesem und vielen weiteren Themen dürfte nicht schwer fallen, war sie doch bereits auch Gegenstand ausführlicher Debatte im Fitnesscheck zur Basis-Verordnung, der immer wieder deutlich gemacht hat, dass Probleme dort entstehen, wo es an Harmonisierung oder harmonisierter Rechtsanwendung fehlt – auch wenn es um die Grundprinzipien des Lebensmittelrechts in der Basis-Verordnung geht.

Politischer Gegenwind dürfte aber auch aus dem Europäischen Parlament und dem Rat zu erwarten sein, denn die Verpflichtung, eigenes Tun im Rahmen der Gesetzgebung an den Folgen für Wirtschaft, Verbraucher und Gesellschaft messen zu lassen, war bislang Vorrecht und Verpflichtung allein der Kommission. Auch wenn es im Rahmen der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 (LMIV) Rat und Kommission allein gemeinsam gelungen ist, das Europäische Parlament davon zu überzeugen, dass verpflichtende Herkunftskennzeichnung ohne vorhergehende Folgenabschätzung nicht zu verantworten ist, erscheint dieser neue Ansatz von zentraler Bedeutung.

Es ist zu hoffen, dass die Kommission mit ihrem Anliegen der besseren Rechtsetzung überzeugt, denn dass Transparenz und die systematische Beteiligung der Stakeholder in allen Regelungsverfahren ebenso Grundvoraussetzung für bessere Rechtsetzung ist, wie belastbare Folgenabschätzungen, dürfte schwerlich zu bestreiten sein. Insoweit hat die Agenda der Kommission sogar eine unbestreitbare Vorbildfunktion für den nationalen Rechtsetzungsprozess. Auch wenn derzeit die Fokussierung auf Fitnesschecks und Evaluierungen nicht nur innerhalb der Kommission für Frustration sorgt, wenn der Regelungsbedarf etwa für Höchstmengen bei Vitaminen und Mineralstoffen, für Botanicals, für „Pestizidrückstände, die keine sind“ und für viele andere mehr, auf der Hand liegt, oder die Kommission mit den Mitgliedstaaten vereinbarte Leitlinien oder Fragen-und-Antworten-Kataloge nicht mehr selbst kommuniziert, sondern meint, dies den Mitgliedstaaten überlassen zu müssen, so ist doch auch zu hoffen, dass dies Anlaufschwierigkeiten sind, die überwunden werden können – gerade wenn Einigkeit über den Regulierungsbedarf besteht.

Der aktuelle Regelungsvorschlag der Kommission, nach dem die einzelnen Mitgliedstaaten die Verwendung von GVO-Lebens- und Futtermitteln untersagen können sollen („Opt-out“), kann im Übrigen nicht als Beleg gegen die ernsthaften Absichten der Kommission zu besserer Rechtsetzung gewertet werden. Er ist so eindeutig eine Reaktion auf das aus Sicht der Kommission inakzeptable Verhalten der Mitgliedstaaten in diesem Bereich, dass er mit eigenen Maßstäben zu messen ist.

Rechtsanwalt Peter Loosen, LL.M., Brüssel

 
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