Kartellrecht in Asien: Chinas Vorbilder machen Mut
Als der damalige Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger 1969 in Unterpfaffenhofen Wahlkampf machte, soll er seinen Zuhörern zugerufen haben: “Ich sage nur: China, China, China!” Kiesinger wollte damit vor dem Sozialismus chinesischer Prägung warnen, den er seinen politischen Gegnern unterstellte.
Der Slogan ist aktueller denn je, doch von Sozialismus kann im Reich der Mitte kaum noch die Rede sein. Auch in der des Sozialismus weitgehend unverdächtigen Gruppe der Kartellrechtler ist “China, China, China” das Thema: Die Verabschiedung des chinesischen Antimonopolgesetzes (dazu Lorenz, RIW 2007, 927) dürfte, kartellrechtlich gesehen, das weltweit meist beachtete Ereignis des Jahres 2007 gewesen sein, neben der Microsoft-Entscheidung vielleicht (dazu Bartosch, RIW 2007, 908). Das Gesetz tritt am 1. 8. 2008 in Kraft. Wird das Antimonopolgesetz, wie das GWB in Deutschland, zu einem “Grundgesetz der Marktwirtschaft”? Oder wird es von Protektionisten missbraucht werden? Es gibt zu denken, wenn die Pressemitteilung der offiziellen chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua zum Antimonopolgesetz mit dem Aufmacher beginnt, ausländische Unternehmen würden bei ihren Übernahmen in China nun schärfer kontrolliert. Andererseits enthält das Antimonopolgesetz zu Kartellverbot, Missbrauchsverbot und Fusionskontrolle Regeln, die westlichen Standards weitgehend entsprechen.
Aufschluss, wie das Gesetz in China angewendet werden könnte, gibt ein Blick auf die zahlreichen asiatischen Länder, in denen bereits früher Kartellrechtsordnungen etabliert wurden. Japan, Korea, Singapur, Indien, Indonesien – diese und andere Staaten haben kartellrechtliche Regelungen und Kartellbehörden, das International Competition Network verzeichnet Behörden aus beinahe zwanzig asiatischen Staaten als Mitglieder. Das Asian Competition Forum, die wichtigste Konferenz asiatischer Kartellrechtler, fand im Dezember 2007 bereits zum dritten Mal in Hongkong statt, und eine Professionalisierung ist deutlich spürbar – das Wettbewerbsprinzip muss hier niemandem mehr erläutert werden. Entstanden sind Kartellrechtsordnungen eigenen Ranges. Diese entfalten aber zugleich eine Vorbildfunktion für die Anwendung des chinesischen Antimonopolgesetzes. Welche Auffälligkeiten lassen sich beobachten?
Erstens: Kartellrechtliche Erfolgsgeschichten finden sich vor allem in modernen, neuen Branchen. Der Telekommunikationssektor ist ein gutes Beispiel dafür: Die wettbewerblich orientierte Sektorregulierung funktioniert in Singapur genauso wie in Hongkong oder auf den Philippinen. Ganz anders sieht es in traditionellen Branchen aus, beim Einzelhandel etwa. Hier scheuen die Kartellbehörden vor dem Aufbrechen verkrusteter Marktstrukturen zurück. Die sozialen Verwerfungen würden zu groß sein, wenn ausländische Supermarktketten die Märkte aufmischten.
Zweitens: Staatliche Wettbewerbsbeschränkungen sind das größte Übel in vielen asiatischen Volkswirtschaften. Dies gilt auch für China, wo die “Mutter des chinesischen Kartellrechts”, die Professorin Wang Xiaoye von der Chinese Academy of Social Sciences, den Missbrauch von Verwaltungsmacht als gravierendstes Problem geißelt. Wer sich vergegenwärtigt, dass auch in Europa die Kartellbehörden mit der politisch verflochtenen Energiebranche Schwierigkeiten haben, kann sich vorstellen, dass die jungen asiatischen Kartellrechtler zurückhaltend reagieren, wenn die Bande zu den Machthabern eng sind. Doch sie sind nicht so ängstlich wie erwartet: Immer wieder wird von Fällen berichtet, in denen die Kartellbehörden gegen staatliche Akteure vorgehen, etwa beim Submissionsbetrug. Im chinesischen Antimonopolgesetz ist sogar eine materiell weitreichende Vorschrift gegen den Missbrauch durch staatliche Behörden vorgesehen.
Drittens: Die Zusammenschlusskontrolle, die viele Unternehmen fürchten, gab in den meisten asiatischen Staaten bisher keinen Anlass zur Besorgnis. In Indonesien etwa wurde noch kein einziger Fall aufgegriffen, da gesetzeskonkretisierende Richtlinien fehlen. Die chinesische Praxis bei den seit 2003 vorgeschriebenen Investitionskontrollen stellte für die ausländischen Unternehmen ebenfalls eine eher formale Hürde dar.
Das Hauptproblem der Kartellbehörden ist, kompetente und unbestechliche Mitarbeiter zu finden, die das Konzept des Wettbewerbs verstehen und dieses auch den stakeholders vermitteln können. Haarsträubende Gerichtsentscheidungen oder Gesetzgebungsinitiativen, wie jüngst der indische Vorschlag zur Absenkung der Schwellenwerte in der Fusionskontrolle auf einen lächerlichen Betrag, sind Ausdruck ordnungspolitischen Unverstands bei leider maßgeblichen Akteuren. “Competition advocacy”, die Werbung für das freie Spiel der Kräfte, muss hier noch viel Arbeit leisten. Dennoch: Kartellrecht in Asien kann zu einer Erfolgsgeschichte werden – Japans Fair Trade Commission belegt das als stabiler Garant ordnungspolitischen Denkens im Fernen Osten.
Kurt Georg Kiesinger übrigens musste nach der Wahl, vor der er gegen den chinesischen Sozialismus gewettert hatte, zurücktreten. Dämonisierungen greifen auch heute zu kurz.
Dr. Rupprecht Podszun, München