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RIW 2007, 1
Junker 

Deregulierung jetzt – das Grünbuch der Kommission zum Arbeitsrecht

Abbildung 1

Roman Herzog hat am 16. 1. 2007 darauf hingewiesen, dass über 80 % der Gesetze, die im Bundestag verabschiedet werden, durch Vorgaben aus Brüssel und Luxemburg beeinflusst sind. Das Arbeitsrecht ist für diese Aussage ein gutes Beispiel: Befristete Arbeitsverträge und Teilzeitarbeit, grenzüberschreitende Arbeitsverhältnisse und betriebliche Altersversorgung, Betriebsübergang und Massenentlassung, Nachweis von Arbeitsbedingungen und Insolvenzarbeitsrecht – diese und andere Teilgebiete des Arbeitsrechts sind weitgehend durch Gemeinschaftsrecht determiniert. Das neue deutsche Antidiskriminierungsrecht (raumgreifend “Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz” genannt), das buchstäblich alle Bereiche des Arbeitslebens durchdringt, wäre ohne europäische Richtlinien niemals Gesetz geworden. Beim technischen Arbeitsschutz dürfte der Infiltrationsgrad der Materie durch Europarecht nahe 100 % liegen.

Während der Europäische Gerichtshof nicht müde wird, diese Entwicklung voranzutreiben (notfalls durch Erfindung eines allgemeinen primärrechtlichen Verbots der Altersdiskriminierung – Rechtssache Mangold, BB 2005, 2748), ist der Richtlinienausstoß seit einigen Jahren ins Stocken geraten: Die Richtlinien über Arbeitnehmerrechte bei Zahlungsunfähigkeit (02/74/EG), über Arbeitszeitgestaltung (03/88/EG) und Gleichbehandlung der Geschlechter (06/54/EG) konsolidieren lediglich den Bestand; neue, ehrgeizige Vorhaben hängen im Schacht. Angesichts dieser Hängepartie fragen sich manche Kommissionsmitarbeiter, ob die Zeit der Setzung von “Mindeststandards” vorbei sei und die Europäische Union sich auf die Koordinierung des mitgliedstaatlichen Rechts beschränken müsse.

Die Kommission, hier repräsentiert durch den zuständigen Kommissar Vladimir Spidla, ist offensichtlich in einer Phase der Selbstvergewisserung, vielleicht sogar der Selbstfindung. In dieser Lage bietet es sich für die Kommission an, ein Grünbuch herauszugeben. Denn die Aufgabe eines solchen Dokuments besteht vorrangig darin, Fragen zu stellen, wogegen im Prinzip niemand etwas haben kann. “Im Prinzip” soll heißen: Manche Fragen des Grünbuchs sind suggestiv in einer Weise formuliert, dass sich der Urheber kaum auf die Position zurückziehen kann: “Ich habe ja nur gefragt.”

Die Auseinandersetzung mit dem Dokument muss jedoch nicht am Wortlaut des Grünbuchs kleben: Wird das am 22. 11. 2006 vorgelegte Grünbuch “Ein modernes Arbeitsrecht für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts” von ideologischen Einfärbungen und unnötigen Fragealternativen befreit, zeigen sich durchaus brauchbare Ansätze. Etwa in Frage 2: Kann eine Anpassung des Arbeitsrechts und der Tarifverträge zur Erhöhung der Flexibilität beitragen? Oder in Frage 3: Wirken die geltenden Regelungen hemmend oder fördernd für Unternehmen und Beschäftigte, die die Chancen zur Erhöhung der Produktivität nutzen wollen? Schließlich in Frage 4: Wie könnte die Aufnahme befristeter oder unbefristeter Arbeitsverhältnisse arbeitsrechtlich oder tarifvertraglich erleichtert werden? (Alle Fragen von mir verkürzt.)

Auf solche Fragen sind zielführende Antworten möglich. Der Bundesrat hat bereits im September 2005 (zur geplanten Gründung einer Europäischen Grundrechteagentur) in einer Resolution festgehalten:

“Seit den negativen Referenden in Frankreich und den Niederlanden hat sich die europapolitische Diskussion erheblich fortentwickelt. Die Fragen von Entbürokratisierung, Deregulierung, Kompetenzabgrenzung und -rückübertragung sowie die Beachtung des Subsidiaritätsprinzips stellen sich drängender als je zuvor. Die Konsequenz dieser Diskussion muss sein, den Trend der Kompetenzübertragung auf die europäische Ebene zu stoppen.”

Dem ist auch für das Arbeitsrecht wenig hinzuzufügen: Die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts verlangen eine Abkehr von dem kleinteiligen Interventionismus bisheriger Richtliniensetzung. Deregulierung auf europäischer Ebene ist die richtige Antwort auf die Fragen des Grünbuchs.

Professor Dr. Abbo Junker, München

 
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