Zeitlich inkongruente Gewinnausschüttung bei KapG als steuerliches Gestaltungsmittel zur Innenfinanzierung
In der Gestaltungspraxis, insbesondere bei der Unternehmensnachfolge, besteht häufig die Situation, dass Altgesellschafter ihre Gewinne thesaurieren und zur Innenfinanzierung verwenden wollen, während die Junggesellschafter die Mittel aus der Gewinnausschüttung benötigen, um den Zins- und Tilgungsdienst der Refinanzierung ihrer Beteiligung bedienen zu können. Aber natürlich will der Altgesellschafter, wenn er schon allein die Innenfinanzierung stemmt, seine anteiligen Ansprüche aus der Gewinnausschüttung nicht verlieren.
Dieses Problem an der rechtlichen Nahtstelle zwischen Gewinnverwendung und Gewinnverteilung gehört steuerlich in die Kategorie der inkongruenten Gewinnausschüttung. Denn hierzu zählen nicht nur disquotale Gewinnausschüttungen, sondern auch zeitverschobene Gewinnausschüttungen.
Bereits mit Urteil vom 19.8.1999 (I R 77/96, BB 1999, 2443) hat der BFH inkongruente Gewinnausschüttungen anerkannt, selbst wenn diese ausschließlich zur Ausnutzung von Steuervorteilen dienen. Im entschiedenen Fall hatte sich allerdings der Gesellschafter verpflichtet, nach Verrechnung der Dividenden mit seinem Verlustvortrag die Liquidität der Gesellschaft wieder zur Verfügung zu stellen. Es stellt sich aber die Frage, ob dieses Modell genutzt werden kann, wenn keine Verlustvorträge vorhanden sind.
Das BMF hatte sich lange Zeit schwer getan, diese Rechtsprechung steuerrechtlich anzuerkennen. In einem – aus zivilrechtlicher Sicht etwas halbherzigen – BMF-Schreiben vom 17.12.2013 – IV C 2 – S 2750-a/11/10001, (BStBl. I 2014, 63), werden entsprechende Gestaltungen zwar steuerrechtlich im Grundsatz anerkannt, wenn sie aus gesellschaftsrechtlicher Sicht wirksam zustande gekommen sind. Das soll aber nur bei Vorliegen von entsprechenden wirtschaftlichen Gründen gelten, ansonsten droht § 42 AO.
Die rechtlichen Voraussetzungen können im Idealfall im Gesellschaftsvertrag getroffen werden. Ist die Regelung einer ungleichen Gewinnverteilung nicht bei der Gesellschaftsgründung vorgenommen worden, ist für die nachträgliche Satzungsänderung bei der GmbH die Zustimmung aller beteiligten Gesellschafter (§ 53 Abs. 3 GmbHG), bei der AG nach herrschender Literaturauffassung die Zustimmung aller betroffenen Aktionäre (§ 179 Abs. 3 AktG) erforderlich.
Deutlich flexibler ist man mit einer Öffnungsklausel, die allerdings nur bei der GmbH zulässig ist. Bei einer AG ist sie aufgrund der Satzungsstrenge unzulässig.
Abgelehnt werden von der Finanzverwaltung zwei typische Gestaltungsmittel bei der GmbH: Schuldrechtliche Abreden und satzungsdurchbrechende Beschlüsse.
Solche Beschlüsse sind jedoch nach herrschender Literaturauffassung als punktuelle “Einmal-Maßnahmen” auch ohne notarielle Beurkundung rechtswirksam. Abreden über die einmalige Änderung des Gewinnverteilungsschlüssels werden den “punktuellen Maßnahmen” zugerechnet, zumindest dann, wenn alle Gesellschafter zustimmen. Eine klare Rechtsprechung hierzu fehlt allerdings. Nichtsdestotrotz ist es unverständlich, dass gesellschaftsrechtlich zulässige satzungsdurchbrechende Beschlüsse von der Finanzverwaltung sanktioniert werden.
Aber selbst wenn man eine zeitverschobene Gewinnausschüttung im Gesellschaftsvertrag regelt oder mittels Öffnungsklausel erlaubt, ist damit das Problem für den Altgesellschafter noch nicht gelöst. Der Betrag, der im Rahmen der Gewinnverwendung für die Gewinnausschüttung freigegeben wird, erreicht zwar mittels der disquotalen Gewinnverteilung den Junggesellschafter. Für den Altgesellschafter muss in der Satzung noch massiv nachgearbeitet werden.
Zum einen muss der entsprechende Anspruch auf Gewinnausschüttung des Altgesellschafters in eine individualisierte Gewinnrücklage eingestellt werden. Wenn später Teilbeträge aus dieser individualisierten Gewinnrücklage aufgelöst werden, muss geregelt sein, dass der entsprechende Gewinn ausschließlich dem Altgesellschafter zusteht. Der Altgesellschafter wird darauf bestehen, dass er auf seine thesaurierten Gewinnanteile auch jederzeit zugreifen kann. Deshalb werden die Gesellschafter verpflichtet, entsprechende Gewinnverwendungs- und -verteilungsbeschlüsse zu fassen. Rund wird die Sache erst dann, wenn auch im Verkaufsfall des Unternehmens die thesaurierten Gewinnansprüche bei der Berechnung des Anteilswerts individuell berücksichtigt werden.
Damit schließt sich der Kreis wieder zur Unternehmensnachfolge. Die schenkungsteuerliche Bewertung eines solchen GmbH-Geschäftsanteils mit reduziertem oder überproportionalem Gewinnbezugsrecht richtet sich nach § 97 Abs. 1 lit. b) BewG. Diese seit dem Inkrafttreten des StÄndG 2015 geltende Regelung besagt, dass bei dem über den Substanzwert hinausgehenden Ertragswert der inkongruente Gewinnverteilungsschlüssel berücksichtigt werden muss (Koordinierter Ländererlass vom 2.3.2016). Der disquotale Gewinnauschüttungsanspruch allein stellt aber keine Schenkung dar. Nach aktueller Rechtsprechung (BFH, 30.1.2013 – II R 6/12, BStBl. II 2013, 930) kann es zwischen Kapitalgesellschaft und Gesellschafter nur offene Gewinnausschüttungen oder vGA geben, nicht aber schenkungsrelevante Vorgänge. Lediglich die Finanzverwaltung will das nur gelten lassen, wenn wirtschaftliche Gründe dafür vorliegen.
Aber zurück zur Ausgangssituation:
Eine zeitverschobene inkongruente Gewinnausschüttung zur Innenfinanzierung kann auf Ebene der Kapitalgesellschaft gestaltet werden. Die Gelder des Altgesellschafters können in der Gesellschaft verbleiben, ein disquotales Schütt-aus-Hol-zurück-Verfahren für den Gesellschafter mit der niedrigsten Steuerbelastung ist nicht notwendig. Allerdings sind die juristischen Klippen bei der Gestaltung der Satzung nicht zu unterschätzen, ebenso wie die Fußangeln, die mit § 42 AO verbunden sind.
Dipl.-Kfm. Franz Ostermayer, StB/WP, ist Partner der Spitzweg Partnerschaft Rechtsanwälte Steuerberater Wirtschaftsprüfer. Die Kanzlei betreut insbesondere mittelständische Unternehmen in allen rechtlichen und steuerlichen Fragen der Umstrukturierung, der Unternehmensnachfolge sowie der betrieblichen Altersversorgung.