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BB 2007, I
Immenga 

Für Kartellsünder bricht ein neues Zeitalter an: Nun soll es richtig wehtun!

Abbildung 1

Das Jahr 2007 kann bereits jetzt als Meilenstein in die Kartellgeschichte eingehen: Der Kampf gegen Kartelle nimmt – zumindest aus Sicht der Betroffenen – apokalyptische Formen an. Bereits im Januar 2007 hat die Europäische Kommission (“Kommission”) Rekordgeldbußen in Höhe von mehr als € 750 Millionen gegen Hersteller gasisolierter Schaltanlagen verhängt; über € 400 Millionen entfielen dabei allein auf Siemens. Anschließend hat die Kommission im Februar 2007 Geldbußen in Höhe von mehr als € 990 Millionen gegen Unternehmen der Aufzugs- und Fahrtreppenindustrie festgesetzt; über € 470 Millionen entfielen dabei auf ThyssenKrupp. Es handelt sich hierbei um die höchsten Geldbußen, die bisher von der Kommission wegen Kartellverstößen festgesetzt worden sind. Das allein tut schon weh! Aufgrund von Reformen und Präzedenzentscheidungen drohen nun erhebliche zusätzliche Belastungen durch Schadensersatzforderungen der Geschädigten. Das tut dann künftig richtig weh!

Hervorzuheben ist: Die sog. Hardcore-Kartelle stehen damit im Fadenkreuz der Kartellbehörden und -gerichte. Diese Entwicklung war zu erwarten. Die deutschen und europäischen Kartellbehörden haben keine Möglichkeit ausgelassen, darauf hinzuweisen, dass die Kartellverfolgung nunmehr im Zentrum ihrer Tätigkeit steht. Naturgemäß folgten in den letzten Jahren Reformen des bestehenden Kartellrechts, um – auf verfahrensrechtlicher Ebene – Kapazitäten für die Kartellverfolgung freizulegen und – auf materiellrechtlicher Ebene – höhere Bußgelder, die Vereinfachung von Schadensersatzklagen sowie eine Vereinfachung der Rechtsdurchsetzung zu ermöglichen. Dennoch: Ist die (neue) Höhe der Bußgelder gerechtfertigt?

Zugegeben: Die Geldbußen überschreiten die “bekannten” Beträge. Doch der Zweck der Bußgelder besteht nun einmal darin, unerlaubte Handlungen zu ahnden, ihrer Wiederholung vorzubeugen und abschreckend zu wirken. Ist dies der Fall, wenn sich die Bekanntgabe der Bußgeldentscheidung noch nicht einmal auf den Aktienkurs eines Unternehmens auswirkt? Darf es sein, dass in Planbeispielen US-amerikanischer Anwälte (vor nicht allzu langer Zeit) noch vorgerechnet wird, dass sich Kartelle – auch nach Abzug von Bußgeldern, Schadensersatz und Anwaltskosten – immer noch “lohnen” können? Kann es sein, dass betroffene Kartellanten vortragen: “Wir mussten uns absprechen, um den ruinösen Preiswettbewerb zu beenden”? Musste man sich hiernach nicht zwangsläufig die Frage stellen, ob die Waffe stumpf geblieben war?

Dagegen vorzubringen ist: Die Bußgeldbemessung darf weder unverhältnismäßig noch unberechenbar oder nicht nachvollziehbar sein. Ob die von der Kommission veröffentlichten Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen – angesichts des erheblichen Ermessensspielraums – tatsächlich dem entsprechen, ist zu bezweifeln. Der Verdacht von Willkür bleibt bestehen. Sicherlich kann es keinen klassischen Bußgeldkatalog geben – aber zumindest eine nachvollziehbare Handhabung. Dies bezieht sich insbesondere auf die neuartige Höhe der Geldbußen. Hier stellt sich aktuell die Frage, ob die (immense) Erhöhung von Geldbußen und gleichzeitige Erleichterung der Voraussetzungen für Schadensersatzforderungen nicht das tragbare Maß überschreiten und zu ungewünschten Folgewirkungen führen kann.

Die Geldbußen sind insoweit jedoch nur der Beginn – der Kampf der (aufgedeckten) Kartellanten spielt sich anschließend regelmäßig vor den Gerichten ab. Nicht nur um die Höhe der Geldbuße, sondern auch im Rahmen von Schadensersatzklagen, welche bisher – zumindest in Europa – viel zu kompliziert und damit fast aussichtslos (gewesen) sind. Im Schadensersatzprozess hat sich jedoch – vor allem auch in Deutschland – die Rechtslage für die Kartellanten wesentlich verschlechtert. Vor dem LG Düsseldorf spielt sich derzeit ein viel beachtetes Verfahren ab, welches ein Präzedenzfall für künftige Schadensersatzklagen gegen Kartelle darstellt. Nachdem das Bundeskartellamt bereits im Jahre 2003 Rekordbußgelder in Höhe von € 660 Millionen gegen einige Zementhersteller verhängt hat, drohen nun mehr als € 114 Millionen an (zusätzlichen) Schadensersatzforderungen in der Form einer “Quasi-Sammelklage”. Hier hat das LG Düsseldorf in einem Zwischenurteil zugelassen (vgl. BB 2007, 847 mit Kommentar Weidenbach [in diesem Heft]), dass eine belgische Gesellschaft den geschädigten deutschen Kunden ihre Forderungen gegen die Kartellanten abkauft, aufbereitet und im eigenen Namen geltend macht. Derartige class actions lösen ein ordnungspolitisches Dilemma, indem sie es einzelnen Klägern ermöglichen, stellvertretend für eine Gruppe Betroffener zu klagen. Die Entscheidung des LG Düsseldorf ist ein großer Schritt in Richtung amerikanische Prozesskultur und wird auch unseriöse und spekulative Klagen auslösen. So umstritten diese Entwicklung auch ist – sie nimmt jedoch “nur” eine ohnehin zu erwartende Entwicklung (zeitlich) vorweg. Bereits im Grünbuch der Kommission zur Erleichterung von Schadensersatzklagen werden Sammelklagen erwähnt. Zudem hat die Kommission soeben ein Strategiepapier vorgelegt, in welchem konkret erwogen wird, den Verbrauchern in der EU die Möglichkeit zu Sammelklagen zu verschaffen.

Fazit daher: Die Milliardengrenze wird bei der Bußgeldbemessung alsbald überschritten. Hinzu kommen oft zahlreiche Millionen an Schadensersatzzahlungen. Alle (schon) Betroffenen müssen rechtzeitig entsprechende Rücklagen bilden. Angesichts der drohenden immensen Risiken ist den Unternehmen jedoch zu raten, frühzeitig kartellrechtliche Verhaltensprogramme zu etablieren – nicht lediglich als Selbstzweck, sondern als wichtigen Bestandteil der Unternehmensphilosophie.

Professor Dr. Frank A. Immenga, LL.M., Rechtsanwalt

 
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