Aus den Fugen: Referentenentwurf eines Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes
“Die Unternehmen in Deutschland benötigen eine moderne Bilanzierungsgrundlage” – mit diesem in jeder Hinsicht bezeichnenden Satz beginnt der Referentenentwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Bilanzrechts (BilMoG). Er ist in Grunddisposition wie Details ein Frontalangriff auf die Grundfesten des deutschen Bilanzrechts.
So droht nun “[i]m Wege der Modernisierung” der Rückfall in die überwundene Kleinteiligkeit und Beliebigkeit rechtsformabhängiger Bilanzierung, indem Einzelkaufleute und Personengesellschaften größenabhängig von der Buchführungs- und Bilanzierungspflicht sowie der Erstellung eines Inventars befreit werden sollen (§ 241 a HGB-E): Gerade die rechtsformunabhängige Kodifikation von Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) war aber eine kaum zu überschätzende, die Einheit der Bilanzrechtsordnung gewährleistende Errungenschaft früherer Gesetzgeber.
Das Aktivierungsverbot für immaterielle Vermögensgegenstände des Anlagevermögens, die nicht entgeltlich erworben wurden (§ 248 Abs. 2 HGB), soll aufgehoben werden – um den Preis der Entobjektivierung gerade solcher ermessensbehafteter Vermögensbestandteile, die nicht einer regelmäßigen Wertbestätigung durch den Markt unterworfen sind. Für die Begründung bemüht wird hierfür gar der “schon weit fortgeschrittenen Wandel . . . zur wissensbasierten Gesellschaft”. So erhielten einige Unternehmen “die Möglichkeit, ihre Außendarstellung zu verbessern”. Zwar verbreitere sich hierdurch die Eigenkapitalbasis und damit die Möglichkeit der Eigen- und Fremdkapitalbeschaffung; es solle aber, im inhaltlichen Widerspruch hierzu, eine Ausschüttungssperre mit dieser Vorschrift gekoppelt werden. Die weitere Begründung ist so zutreffend wie offenbar folgenlos für die (insoweit inkonsistente) Beurteilung der Schutzfunktion des geltenden § 248 Abs. 2 HGB: Selbstgeschaffenen immateriellen Vermögensgegenständen kann “nur schwer ein objektiver Wert zugewiesen werden”.
Es gibt gute Gründe, die Bildung von Aufwandsrückstellungen ohne zugrunde liegende Außenverpflichtung (§ 249 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 HGB) zu begrenzen oder auszuschließen – auch wenn eine Nichtpassivierung von unkompensierten Lasten die Folge sein kann, sich der Kaufmann mithin reicher rechnet als er ist. Es aber ausgerechnet mit einer “irreführenden Darstellung der Vermögenslage” zu begründen, ist bilanztheoretisch verfehlt, ebenso, wie direkt im Anschluss auch noch auf die nicht “periodengerechte” “Zuordnung von Aufwendungen” und die Verfälschung der “Ertragslage” zu verweisen: Ziel der GoB-Bilanz ist die Ermittlung von Gewinnansprüchen und nicht die Abbildung einer ohnehin schwer greifbaren Vermögens-, Finanz- und Ertragslage, die im geltenden Recht im Konfliktfall den Gliederungs- und Erläuterungsvorschriften zugeordnet wird.
Auch überraschen muss die Begründung für die vorgeschlagene (entobjektivierende) Berücksichtigung künftiger Preis- und Kostensteigerungen bei der Rückstellungsbewertung (§ 253 Abs. 1 Satz 2 HGB-E): Sie sei deshalb als “Klarstellung” zu werten, weil sie lediglich eine “stillschweigende[.] Weiterentwicklung” der GoB durch die Praxis nachvollziehe. Das GoB-Verständnis des Referentenentwurfs entspricht damit nicht dem des geltenden Bilanzrechts: Der BFH legt im Rahmen seiner Vorfragenkompetenz handelsrechtliche GoB aus, diese sind im Sinne der Einheit der Rechtsordnung daher auch in der Handelsbilanz bindend. Es steht der Praxis nicht zu, diese “stillschweigend” – wenn im Widerspruch hierzu – “weiterzuentwickeln”.
§ 264e HGB-E soll die Aufstellung der Jahresabschlüsse für Kapitalgesellschaften nach IFRS ermöglichen. Diese könnten so das “für ihre unternehmerischen Zwecke am günstigsten erscheinende Rechnungslegungssystem wählen”. Viele Unternehmen würden aber vermutlich weiter den Jahresabschluss nach überkommenen GoB aufstellen; denn diese seien “einfacher”, “kostengünstiger” und “gleichwertig”. “Mit Hilfe” der entsprechenden “Angaben” im Anhang (gemeint sind Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung nach den GoB) würden sich “die Fragen der Kapitalaufbringung und -erhaltung ohne größere Schwierigkeiten beurteilen” lassen. Man kann sich über diese Problemreduktion handelsbilanzieller Gewinnanspruchsermittlung nur wundern.
Schon der “Ausgangspunkt” der Gesetzesbegründung im Referentenentwurf überzeugt nicht: Vorteile des geltenden Bilanzrechts sind Konsistenz, Klarheit und Prinzipienorientierung – Attribute, die man für die IFRS noch als (Wunsch-)Ziel formulieren muss und die allein schon daher in ihrer derzeitigen Fassung nicht als Modell für das deutsche Bilanzrecht taugen. Umso erstaunlicher ist, dass im Entwurf als Vorteil immer wieder nur betont wird, GoB seien “einfach” und “kostengünstig”. Auch der “Detaillierungsgrad der IFRS” sei im deutschen Bilanzrecht nicht anzustreben, wo doch gerade die Konkretisierung nur allgemeiner Grundsätze durch anwendungsscharfe und rechtssichere Einzelnormen die Stärke des deutschen Bilanzrechts ausmacht – was nicht mit der kaum lesbaren Langatmigkeit und Redundanz der allermeisten IFRS verwechselt werden sollte.
Die Respekt abnötigende Tradition des deutschen Gesetzgebers im Bilanzrecht ist es – in Gemeinschaft mit der Bilanzrechtsprechung –, aus sinnvollen Bilanzzwecken und grundlegenden Wertungen klar gefasste Begrifflichkeiten sowie im Wege der wertenden Konkretisierung sinn- und zweckgerechte Einzelprinzipien abgeleitet zu haben. In dieser Tradition müsste er sich nun wiedererkennen. “Die Zeit ist aus den Fugen”: Der Gesetzgeber sollte die Möglichkeit, sie zumindest hier einzurenken, nutzen – noch ist es nicht zu spät.
Professor Dr. Jens Wüstemann, M.S.G.