25 %-Challenge der Europäischen Kommission: weg mit dem Reporting-Speck?
Die Vorschläge zum Arbeitsprogramm 2024 der Europäischen Kommission stellen zunächst nur geringfügige Erleichterungen für die Nachhaltigkeitsberichterstattung in Aussicht.
Ab dem 1.1.2024 müssen Unternehmen schrittweise die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) unter Berücksichtigung der neu entwickelten European Sustainability Reporting Standards (ESRS) anwenden, um über ihre wesentlichen Nachhaltigkeitsaspekte zu berichten. Das deutsche Umsetzungsgesetz zur CSRD bzw. zumindest entsprechende Legislativentwürfe liegen gut einen Monat vor dem Beginn des ersten Berichtszeitraums immer noch nicht vor. Was wie eine einfache Ergänzung des umfangreichen Regulierungsrahmens in der EU daherkommt, gleicht einer Revolution in der Unternehmensberichterstattung: Die ESRS, welche den Inhalt der Berichterstattung definieren, umfassen mehr als 1000 Datenpunkte über das gesamte Spektrum der Environmental, Social and Governance-(ESG-)Themen hinweg. Entwickelt werden die ESRS von der EFRAG, bislang im Wesentlichen der Berater der EU-Kommission in Sachen Übernahme von IFRS. Die Nachhaltigkeitsinformationen sind dabei in einen eigenen Abschnitt des Lageberichts aufzunehmen. Hinzu gesellen sich eine externe Prüfungspflicht sowie die elektronische Auszeichnung (tagging). Zusätzlich müssen auch die Vorschriften der EU-Taxonomie-Verordnung beachtet werden.
Betroffen sind in Deutschland nach bisherigen Schätzungen ca. 15 000 Unternehmen, EU-weit sollen knapp 50 000 Unternehmen betroffen sein. Die Anwendung der neuen Berichtspflichten wird viele Unternehmen vor enorme Herausforderungen stellen, zumal in den Anwendungsbereich der CSRD Unternehmen gelangen, die sich bislang eher auf die erforderliche Finanzberichterstattung konzentriert haben.
Im Oktober 2023 gab es dann eine Kehrtwende der EU-Kommission: Unternehmen sollen entlastet werden, auch bei den Berichterstattungspflichten – und zwar um (wenig konkretisierte) 25 %.
Wie kam es zu diesem Sinneswandel? Schon im März 2023 stellte die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, in einer Rede im EU-Parlament in Aussicht, die Berichtspflichten für EU-Unternehmen um 25 % zu reduzieren, um deren Wettbewerbsfähigkeit und die des EU-Binnenmarkts zu verbessern. Konkrete Vorschläge dieses Vorstoßes wurden dabei nicht unterbreitet. Die EU-Kommission stand daher vor der verzwickten Aufgabe: wo also kürzen – und dann gleich um 25 %?
Das am 17.10.2023 veröffentlichte Arbeitsprogramm 2024 der EU-Kommission gibt darüber zumindest etwas Aufschluss. Es enthält ein ganzes Bündel an Reduktionsmaßnahmen, für die Nachhaltigkeitsberichterstattung ist jedoch festzuhalten: Beeindruckend ist es nicht.
Zunächst sollen die Zeitschienen für die Erstellung und Verabschiedung von sektorspezifischen ESRS sowie von spezifischen ESRS für Drittstaatenunternehmen um jeweils zwei Jahre nach hinten geschoben werden, eine Finalisierung ist nun erst für spätestens Mitte 2026 vorgesehen – zum jetzigen Zeitpunkt eine formale Notwendigkeit, da der zuvor festgelegte, vielleicht überambitionierte Zeitplan durch EU-Kommission und EFRAG ohnehin nicht mehr zu halten war. Jedoch stellt dies keine Reduzierung des Umfangs der Berichtsanforderungen dar, sondern nur eine zeitliche Streckung.
Auch sollen die in der Bilanzrichtlinie festgeschriebenen Größenkriterien angehoben werden, um u. a. Unternehmen vom Anwendungsbereich der CSRD auszunehmen. Für Bilanzsumme und Umsatzerlöse bedeutet dies einen Anstieg um rund 25 %, passend zum ausgerufenen Ziel der EU-Kommissionspräsidentin. Allerdings dient diese Änderung primär der inflationsbedingten Anpassung der Kriterien – ein Vorgehen, das die Bilanzrichtlinie ohnehin vorsieht, das aber bislang aufgrund der niedrigen Inflationsraten in den letzten Jahren nicht zur Anwendung kam. Anstelle einer tatsächlichen Reduktion der Berichtspflichten zeigt sich diese Maßnahme mithin eher als ein Zurückversetzen in den ursprünglich angestrebten Umfang der berichtspflichtigen Unternehmen zu Beginn der Überlegungen zur CSRD.
Immerhin: Mittels Ergänzung eines durch die EU-Kommission publizierten Frequently-Asked-Questions-(FAQ-)Dokuments wurde ein längst überfälliges Wesentlichkeitskonzept für die EU-Taxonomie eingeführt. Vor allem für Erstanwender im Zusammenhang mit der Ausweitung des CSRD-Anwendungsbereichs ist dies eine willkommene Erleichterung. Dass die FAQ nur klarstellenden Charakter haben und grundsätzlich (eigentlich) nicht über die Bestimmungen in der Verordnung bzw. den Delegierten Rechtsakten, die ein Wesentlichkeitskonzept explizit nur für Betriebsausgaben (OpEx) vorsehen, hinausgehen können, scheint offensichtlich unerheblich.
Dem Arbeitsprogramm ist zudem ein öffentlicher “Call for Evidence” beigefügt. Bis zum 28.11.2023 können Vorschläge eingereicht werden, welche Berichtspflichten abgeschafft oder erleichtert werden könnten.
Die EU-Parlamentarier haben sich offenbar unbeeindruckt von den tags zuvor unterbreiteten Vorschlägen gezeigt. Am 18.10.2023 wurde ein Antrag auf Ablehnung der ESRS im EU-Parlament zwar zurückgewiesen, die ablehnenden 261 Stimmen gegen die ESRS repräsentieren aber 37 % der stimmberechtigten Mitglieder – ein klares Signal in Richtung EU-Kommission.
Die EU-Kommission wird sich am ausgerufenen Verschlankungsziel von 25 % messen lassen müssen, obgleich eine exakte Quantifizierung der Reduktion von 25 % im Sinne einer Zielerreichung ohnehin kaum möglich sein wird; insofern ist Zielerreichung hier wohl auch eine Definitions- und Kommunikationsfrage. Jedenfalls ist allen interessierten Stakeholdern anzuraten, die Möglichkeit zur Stellungnahme zum “Call for Evidence” zu nutzen, um weiteres Erleichterungspotenzial aufzuzeigen.
Dipl.-Kfm. Jens Berger, CPA, ist Partner bei der Deloitte GmbH WPG in Frankfurt a. M. und Leiter des IFRS and Corporate Reporting Centre of Excellence. Er ist Mitglied des Global IFRS Leadership Team von Deloitte sowie des Beirats im Betriebs-Berater und wirkt in diversen Arbeitskreisen und -gruppen bei der European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG), Accountancy Europe, dem Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) und dem Deutschen Rechnungslegungs Standards Committee (DRSC). Er gibt in diesem Beitrag seine persönliche Meinung wieder.