Editorial
Rekommunalisierung: Mühsam nährt sich das Eichhörnchen …
Der Gesetzgeber des EnWG 2011 hatte auch den § 46 EnWG („Wegenutzungsverträge“) angepackt; mit zwei neuen Regelungen, mit denen Petita der Kommunen aufgenommen wurden: Während es vorher hieß, dass der bisherige Konzessionär dem neuen die Netze nur „überlassen“ müsse, was auch den Weg der Verpachtung offenließ, heißt es nunmehr klar, dass das Netz übereignet werden müsse. Außerdem wurde eine umfassende Informationspflicht über die „technische und wirtschaftliche Situation des Netzes“ eingefügt. Aber es gab auch einen Querschläger, wenn es in § 46 Abs. 3 Satz 5 nunmehr hieß: „Bei der Auswahl des Unternehmens ist die Gemeinde den Zielen des § 1 verpflichtet.“ Dort ist aufgezählt „eine möglichst sichere, preisgünstige, verbraucherfreundliche, effiziente und umweltverträgliche“ Energieversorgung. Die amtliche Begründung fügte hinzu, dass die Kriterien auf die Gesichtspunkte des Netzbetriebs zuzuschneiden seien.
Die umfassendsten Konsequenzen aus dieser neuen Regelung zog das OLG Schleswig mit seinem Urteil vom 22.11.2012 (ZNER 2013, 403, mit Anmerkung von Becker). Das OLG räumte auf. Nach § 46 EnWG müssten die Gemeinden ihre Betriebe für den Netzbetrieb „zur Verfügung stellen“. Dort sei keine Rede davon, dass die Gemeinden auch selbst Leitungen verlegen könnten. Für die Konzessionserteilung seien vorrangig energiewirtschaftliche Kriterien maßgeblich. Die Berufung auf die kommunale Daseinsvorsorge verfange nicht. Sie sei nach Art. 28 GG nur im Rahmen der Gesetze gewährt und die gesetzliche Lage habe sich eben geändert.
Der Kartellsenat des BGH hatte die Entscheidungen mit Urteilen vom 17.12.2013 relativiert, aber im Ergebnis bestätigt: Kommunen seien als Anbieter von Wegenutzungsrechten im Gemeindegebiet marktbeherrschend. Als Normadressaten unterlägen sie dem kartellrechtlichen Diskriminierungs- und Behinderungsverbot. Daher müssten sie in den Vergabeunterlagen Auswahlkriterien rechtzeitig vor Angebotsabgabe an die Bewerber mitteilen. Diese seien vorrangig an den Zielen des § 1 Abs. 1 EnWG auszurichten. Verstoße das Auswahlverfahren gegen diese Vorgaben, würden Bewerber unbillig behindert (Heiligenhafen). In der zweiten Entscheidung (Stromnetz Berkenthin) befasste sich der BGH mit den Auswahlkriterien im Einzelnen und ging auch auf das Nebenleistungsverbot des § 3 KAV ein. Auch diese Revision blieb erfolglos.
Vom OLG Düsseldorf kommen in diesem Heft zwei interessante Weiterführungen: Das Urteil vom 17.04. (mit Anmerkung von Freitag) sowie der Aufsatz des Vorsitzenden Richters des Zweiten Kartell- und des Vergabesenates, Heinz-Peter Dicks (Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der ZNER) und des Verfassers dieser Zeilen. Der Aufsatz enthält erstmals eine umfassende und klar gegliederte Auseinandersetzung mit den gesetzlichen und richterlichen Vorgaben. Eine wichtige Klarstellung enthält insbesondere die Beleuchtung der Frage, ob ein Mangel im Vergabeverfahren zur Nichtigkeit der Entscheidung führt oder Nachbesserungen zulässt. Die Autoren stellen auf das Kriterium ab, ob effektiver Rechtsschutz gewährleistet sei. Sei das der Fall, könne die Gemeinde Verfahrensfehler nachbessern. Überzeugend ist auch die Analogie zum Vergaberecht, nämlich zur Informations- und Wartepflicht nach § 101a und zur Rügepflicht in § 101b Abs. 2 GWB. Der Altkonzessionär dürfte danach also nicht zunächst jahrelang über Entflechtungs- und Kaufpreisbemessungsfragen streiten und, wenn diese geklärt sind – zu seinen Lasten –, dann plötzlich auf das Vergabeverfahren zurückkommen und Mängel rügen. Da der BGH diese Frage in den Entscheidungen vom Dezember 2013 offengelassen hat, steht jetzt eine Nachholung aus; etwa im Verfahren Olching, über das am 7. Oktober verhandelt wurde.
Ein echter Erfolg der kommunalen Seite liegt im Beschluss vom 03.06.2014 (Stromnetz Homberg, in diesem Heft, mit Anmerkung Becker). Der BGH bestätigt, dass die BNetzA im öffentlichen Interesse in eine Auseinandersetzung zwischen Altkonzessionär und Gemeinde bzw. neukonzessioniertem Netzbetreiber eingreifen kann. Das OLG Düsseldorf hatte sich da sehr bedeckt gehalten. Klargestellt wird, dass der Begriff „überlassen“ in § 46 Abs. 3 EnWG aF als Pflicht zur Übereignung zu verstehen sei. Befürwortet wird auch der Vorbehaltskauf. Außerdem wurde ein jahrelanger Streitpunkt zugunsten der kommunalen Seite entschieden, nämlich das Schicksal der „gemischt genutzten Leitungen“. Diese gehörten im Regelfall zum zu übertragenden Netz, soweit sie für die Ortsnetzversorgung nötig sind.
Peter Becker