Editorial
Heft 1/2018 hat es in sich: Im Koalitionsvertrag der jetzt zustande gekommenen Großen Koalition zwischen CDU/CSU und SPD (177 Seiten) sind auch Beschlüsse zu Klimaschutz und Energiewende enthalten, die von der ZNER dokumentiert und kommentiert werden. Außerdem hat das Verwaltungsgericht Berlin eine Pilotscheidung zum Berliner Fernwärmenetz getroffen, das weit überwiegend von Vattenfall betrieben wird. Im Ergebnis hat das Land Berlin seinen behaupteten Anspruch auf Übertragung des Fernwärmenetzes nicht durchsetzen können. Im Einzelnen:
Im Bereich Klimaschutz wird das Reduktionssziel für CO2 für 2020 aufgegeben. Die weiteren Ziele bleiben vage. Beschlossen wird eine Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“, die „Maßnahmen“ und einen „Plan“ u.a. zur „Reduierung und Beendigung der Kohleverstromung“ erarbeiten soll, also einen Weg zu einem Klimaschutzgesetz. Noch allgemeiner sind die Aussagen zur Energiewende. Von umso größerer Bedeutung sind die Entscheidungen der GroKo, das Umweltministerium bei der SPD zu belassen, während das Bundeswirtschaftsministerium wieder an die CDU geht; mit der Energie! Zoff ist ausgemacht, was aber angesichts der Kommission und den vage formulierten Zielen auch als Einladung an die interessierten Kreise gesehen werden kann, sich in den kommenden Monaten verstärkt in den Willensbildungsprozess einzubringen.
Die ZNER macht das schon mit diesem Heft, in dem Folgendes zur Diskussion gestellt wird:
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Herausnahme der Privilegien der stromintensiven Industrie und der Kosten der technischen Förderung von Offshore-KWK aus der EEG-Umlage. Diese Bestandteile der EEG-Umlage sind verfassungswidrig. Warum sollen die Haushaltskunden und die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) die Erhaltung der Wettbewerbschancen der stromintensiven Industrie im Ausland mittragen? Genau dasselbe gilt für die Kosten der technischen Entwicklung der Offshore-Windenergie.
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Da der ETS gescheitert ist, muss es zu einer nationalen CO2-Abgabe kommen. Die ZNER greift hier die Eckpunkte des Aufsatzes von Lange/Nitsch/Becker in ZNER 2017, 449 auf.
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Die Stromsteuer muss abgeschafft werden, weil ihre ökologischen und ökonomischen Begründungen entfallen sind. Sie muss ersetzt werden durch eine Energiesteuer, die alle Energien gerecht besteuert und damit die derzeitigen Verzerrungen beseitigt.
Abgedruckt werden aber auch drei Aufsätze, die überwiegend bisher wenig beleuchtete Bereiche des Energierechts betreffen:
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Sascha Michaels und Rabea Bönnighausen betrachten die Anwendbarkeit des Vergaberechts im GWB auf Konzessionsverfahren für Strom- und Gasverteilnetze; insoweit gab es schon einschlägige Überlegungen von Dicks/Becker, in ZNER 2014, 425.
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Jenny Kortländer und Dr. Cathrin Zengerling haben das neue Mieterstromgesetz mit all seinen Zweifelsfragen durchleuchtet. Der Aufsatz von Malaika Ahlers und Juliane Kaspers (in ZNER 2017, 173) hatte sich mit dem Referentenentwurf beschäftigt. Insofern schafft der neue Aufsatz deutlich mehr Klarheit.
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Hartwig von Bredow und Julia Rawe untersuchen das Versetzen, den Austausch und die Erweiterung von Anlagen im EEG; die Praxisfragen sind bei den verschiedenen Energieträgern nämlich durchaus unterschiedlich.
Unter den Entscheidungen ragt heraus das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin, mit dem ein Anspruch des Landes Berlin auf Übertragung der Fernwärmeverteilungsanlagen gegen Vattenfall verneint wird. Ein ähnlicher Prozess der Freien und Hansestadt Hamburg (FHH) gegen Vattenfall aus dem Jahre 2010 vor der Verwaltungsgerichtsbarkeit hatte sich in Zuständigkeitsfragen verstrickt und war zum Ruhen gebracht worden. Stattdessen hatten sich die Partner des Konzessionsvertrags auf eine Beteiligung von 25,1 Prozent an den Gesellschaften für das Stromnetz und die Wärme geeinigt. Diese Einigung ist durch den erfolgreichen Volksentscheid hinweggespült worden, der die FHH zur vollständigen Rekommunalisierung der Energieversorgung verpflichtete. Im Bereich Stromnetz ist das bereits vollzogen, im Bereich Wärme gibt es einen Optionsvertrag; allerdings mit einem Mindestpreis, der sehr hoch ist und die Übernahme der Fernwärme für die FHH zu einem ökonomischen Abenteuer macht.
Im Land Berlin – auch hier ist die Verwaltungsgerichtsbarkeit zuständig – hat das Land einen Prozess verloren, mit dem es die Übertragung der Fernwärmeverteilung auf Basis eines Konzessionsvertrags aus dem Jahr 1994 erstreiten wollte. Das Verwaltungsgericht Berlin hat nicht einmal die Berufung zugelassen. Das Urteil ist allerdings in hohem Maße fragwürdig. Abgesehen davon, dass die Fernwärme zunächst bei der BEWAG lag und zusammen mit dem Stromnetz an Vattenfall verkauft wurde, das auch die Wärmeversorgung auf vertraglicher Grundlage betrieb, ist auch das Kartellrecht außen vor geblieben: Wärmenetze sind natürliche Monopole, wie sich aus der Sektoruntersuchung Fernwärme des Bundeskartellamts ergibt. Warum soll der Wettbewerb um das Wärmenetz auf ewig ausgeschlossen bleiben, nur weil die Parteien nicht in jeder Hinsicht glasklare Regelungen getroffen haben? In beiden Prozessen sind offensichtlich die Rechtsbereiche durcheinandergeraten: Die Hamburger und Berliner Straßen- und Wegegesetze haben die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit begründet, die aber mit dem komplizierten Regelungsgeflecht nicht klarkam.
Ferner ist insbesondere die Entscheidung des OVG Münster sehr bemerkenswert. Setzt sich diese – noch nicht rechtskräftige – Entscheidung durch, dürften die meisten älteren Konzentrations-FNP aufgehoben werden können, da ihre Schlussbekanntmachung nicht in Ordnung ist. Schon jetzt bringt die Entscheidung sehr viel Bewegung in die Diskussion, ob man die alten, materiell ohnehin fehlerhaften Flächennutzungspläne aktuell noch angreifen kann (s. auch den Aufsatz von Hinsch/Bringewat, ZNER 2017/476). Sie sind ja bisher nur über die Planerhaltungsvorschriften des BauGB gehalten worden. Das ist auch rechtspolitisch sehr bemerkenswert: Wenn die Rechtsprechung keine Werkzeuge zur Nichtbeachtung der alten, sehr restriktiven Flächennutzungspläne bereithält, müssen wir in vielen Bundesländern über neue Instrumente zur Flächenbereitstellung nachdenken. Die von der Koalition vorgesehene Erhöhung der Ausschreibungsmenge allein dürfte jedenfalls mittelfristig kaum ausreichen.
Peter Becker