Editorial
Noch nie hat die ZNER eine so lange Entscheidung abgedruckt; einschließlich des Vortrags der Beteiligten. Und noch nie hatte der Regulierungssenat des OLG Düsseldorf so viele Beschwerdeführerinnen – 1.100 bis 1.200 – zu betreuen. Verarbeitet werden mussten zahlreiche Monografien, Aufsätze, Gutachten zu den wissenschaftlichen Verfahren betreffend die Ermittlung von Eigenkapitalzinssätzen, die durch EnWG und Strom- und GasNEV nur relativ knapp vorgezeichnet sind. Da die Entscheidung schon die dritte Regulierungsperiode betrifft, ist auch die vorgängige Rechtsprechung wichtig.
Aber die Entscheidung ist gelungen und trotz ihrer großen Länge gut lesbar. Man muss sich freilich durch Fachausdrücke quälen „CAPM, TRM-Verfahren, Ex-Ante-Verfahren, Beta-Faktor, Golden Age of Bonds. Es ist kein Wunder, dass hierdurch – um Theodor Fontane zu zitieren – ein „weites Feld“ eröffnet wurde, das geradezu dazu einlädt, Fehler zu machen.
Der Entscheidung kommt große wirtschaftliche Bedeutung zu. Denn die Eigenkapitalzinssätze bestimmen unmittelbar die Renditen der Netzbetreiber. Es geht um Milliarden. Durch die Energiewende werden riesige Investitionen gerade in die Verteilnetze nötig, die sich rentieren müssen. Es ist absehbar, dass der BGH hier besonders genau hinschaut. Aber ob er korrigierend eingreift, dürfte völlig offen sein.
Auf ein spezielles Risiko sei aufmerksam gemacht: Die Entscheidung befasst sich mit einem Mikrokosmos. Beim energiewirtschaftlichen Regulierungsrecht handelt es sich um ein binnen weniger Jahre entstandenes neues Rechtsgebiet. Es erzwingt besondere Sachkunde und führt allein dadurch automatisch zur Erzeugung einer speziellen Expertengruppe, die sehr klein sein dürfte. Die große Frage ist, ob es sich der Gesetzgeber leisten kann, diese Reise in die Komplexität ungebremst fortzusetzen. Vor der Liberalisierung gab es 500 energierechtliche Paragrafen, jetzt sind es weit über 10.000, in zwanzig Jahren! Es ist nicht erkennbar, dass die Kassandra-Rufe (vgl. Verf. in: ZNER 2015, 517) irgendwie verfangen.
Auch die beiden Aufsätze sind Beispiele für die Komplexität: Frau Hanh Mai führt uns in einen weiteren Mikrokosmos: Es geht um die Frage, ob importierter Grünstrom mit der EEG-Umlage beaufschlagt werden darf. Die Autorin kommt zu dem Ergebnis, dass „nach derzeitiger Rechtslage festzustellen [sei], dass ein Verstoß der EEG-Umlage gegen Art. 110 AEUV durch teilweise Öffnung der Fördersysteme für alle Technologien nach EEG 2017 korrigiert wurde“. Und sie ermahnt uns, „dass der Komplex der EEG-Umlage mit seiner intensiven Reglementierung und andauernder inhaltlicher Änderung häufig nicht nur den Gesetzgeber, sondern auch die Juristen hierzulande bei rechtlicher Beurteilung überfordert“.
Schließlich wirft auch der Aufsatz von Köhler und Müller-Boysen Fragen auf, die es vor wenigen Jahren noch nicht gab: Was ist eine „Blockchain“, was sind „smart contracts“? Und ist das überhaupt denkbar, Energieversorgung ohne Energieversorger? Die Autoren kommen zum interessanten Ergebnis, dass Energieanbieter, die nicht selbst erzeugte Energie handeln, ihr eigenes Geschäftsmodell verteidigen müssen. Sonst würden sie von Blockchain verdrängt.
Peter Becker