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ZLR 2018, 299
Unland/Grube 

Von Topflappen, Steinkrügen und Pommes Frites

Die EU hat ihre Bürger immer wieder mit verblüffenden Regelungen überrascht. Häufig wird ihr Unrecht getan, wenn absurd erscheinende gesetzliche Vorgaben auf EU-Bürokratismus zurückgeführt werden. So ist bekanntermaßen die EU-Verordnung mit Vorschriften über den Krümmungswinkel der Banane eine Legende. Es war die Gurke der Handelsklasse „Extra“, für die Vermarktungsnormen eine maximale Krümmung von zehn Millimetern auf zehn Zentimetern Länge vorgesehen hatte. Allerdings kam der Vorschlag für diese Regulierung von Seiten der Wirtschaft, um durch eine Standardisierung die Warenlogistik zu erleichtern. Die Regelung wurde – gegen den Willen von Landwirtschaftsverbänden – 2009 von der Europäische Kommission wieder abgeschafft.

Die Europäische Union tritt mittlerweile dem Versuch von Politikern und Medien, ihr alle unpopulären oder seltsam anmutenden Neuerungen in die Schuhe zu schieben, entgegen. Hierzu hat sie eine eigene Dementi-Homepage mit dem Titel „EU-Mythen“1 eingerichtet, um dort Aufklärung zu betreiben.

Wie immer liegt jedoch die Wahrheit in einer differenzierten Betrachtung, und nicht in jedem Fall gelingt die Widerlegung eines „Mythos“ überzeugend. Dem Vorwurf, die EU verbiete gehäkelte Topflappen, wird etwas halbherzig entgegengehalten, man wolle schließlich nur, dass Ofenhandschuhe für den privaten Gebrauch genauso sicher seien wie die für professionelle Anwender. Richtig ist, dass die Verordnung (EU) 2016/425 für „persönliche Schutzausrüstungen zum Schutz des Körpers oder von Körperteilen gegen die Auswirkungen von Hitze“ vorschreibt, dass diese Ausrüstungen „eine den vorhersehbaren Einsatzbedingungen angemessene thermische Isolierungskraft und mechanische Festigkeit besitzen“ müssen. Ob die Häkelware diesen Anforderungen tatsächlich standhält?

Soweit der Europäischen Union nachgesagt wird, sie habe versucht, den Bierausschank aus traditionellen Steinkrügen zu verbieten, findet sich auch bei diesem „Mythos“ ein Fünkchen Wahrheit. Denn die Richtlinie 2014/32/EU über die Bereitstellung von Messgeräten auf dem Markt regelt, dass ein Trinkglas, Krug oder Becher als Hohlmaß ein Ausschankmaß und damit ein Messgerät sein können. Dies hat zur Folge, dass die „Nennfüllstandsmenge deutlich sichtbar und dauerhaft auf dem Maß anzugeben“ ist. Steinkrüge, die für den Ausschank von schäumendem Bier verwendet werden, eignen sich damit nicht mehr als Messgerät im Sinne der Vorschrift, da der Zecher den Eichstrich aufgrund des nicht durchsichtigen Steingutes und der Bierschaumkrone nicht mehr erkennen kann. Allerdings sollten bayerische Politiker dankbar sein, denn hier kann dann mittels der deutschen Mess- und Eichverordnung rettend eingesprungen werden: nach der Verordnung findet das Eichrecht auf „nichtdurchsichtige Ausschankmaße“ keine Anwendung (mehr), wenn „gewährleis¬ZLR 2018 S. 299 (300)tet ist, dass auf Verlangen des Kunden in seiner Anwesenheit die Füllmenge mittels eines Umfüllmaßes überprüft werden kann und auf diese Möglichkeit deutlich sichtbar hingewiesen wird“.

Abbildung 1

Der Leser, der am 21. 11. 2017 einen Blick in das Amtsblatt der Europäischen Union geworfen hat, ahnt, was nun kommt. Jedem Freund der EU tut es weh zu sehen, wie sich dieser richtige und wichtige Zusammenschluss europäischer Staaten immer wieder selbst ein Bein stellt, ganz so, als habe es den Brexit nie gegeben. Seit dem 11. 4. 2018 gilt die Verordnung (EU) 2017/2158 zur Festlegung von Minimierungsmaßnahmen und Richtwerten für die Senkung des Acrylamidgehalts in Lebensmitteln. Sie regelt den Umgang mit stärkehaltigen Produkten wie Kartoffeln, Kaffee und Mehl, bei deren Verarbeitung unter hohen Temperaturen der als kanzerogen eingestufte Stoff Acrylamid entsteht. Die Regelungen betreffen u. a. geröstete, gebackene, gebratene und frittierte Produkte wie Pommes frites, Kartoffelchips, Snacks, Cracker, Brot, Feine Backwaren sowie Kaffee, kurzum alles, was dem Konsumenten so richtig schmeckt. Nach dem Willen der Verordnung sollen die Lebensmittelunternehmer „den Endverwendern“ (mit Ausnahme von Verbrauchern) empfehlen, dass sie ZLR 2018 S. 299 (301)z. B. den Köchen „geeignete Tools“2 für die sichere Anwendung bewährter Zubereitungsmethoden zur Verfügung stellen sollen. Hierzu gehören dann kalibrierte Ausrüstungen wie Farbkarten, z. B. „Munsell-Farbkarten nach USDA“, zumindest aber „deutliche Abbildungen mit den angestrebten Farben des zubereiteten Enderzeugnisses“. Ist ein Anthony Bourdain an der Fritteusen-Station mit der Farbkarte in der Hand vorstellbar? Souveränität sieht anders aus.

Das Dementi der Europäischen Kommission lautet: „Mythos: EU will Pommes und knuspriges Brot verbieten – Fakt: Die EU-Kommission will weder Pommes noch gerösteten Kaffee verbieten. Auch das besonders in Deutschland beliebte Pumpernickel und jedes andere Brot mit einem dunklen Teig dürfen selbstverständlich dunkel bleiben.“ Unvereinbar mit der Verordnung ist jedenfalls eine Zubereitung von Pommes Frites, wie in Belgien üblich – dort werden die Kartoffelstäbchen zweimal frittiert: beim ersten Mal bei einer Temperatur von ca. 140 bis 180°C, bis sie blassgelb sind, nach dem Abkühlen ein zweites Mal bei etwa 190 bis 200°C (in der Nähe des Rauchpunktes), bis sie eine goldene Farbe angenommen haben.

Die EU sollte gelobt werden, wo sie zu loben ist, und kritisiert werden, wo sie zu kritisieren ist. Im Zuge der zurzeit zu verzeichnenden Renationalisierung auch des Lebensmittelrechts sollte die Europäische Union mehr Sensibilität entwickeln, um abzuschätzen, wie regulatorische Maßnahmen in den Mitgliedstaaten von den Verbrauchern wahrgenommen werden. Im laufenden REFIT-Prozess könnten einzelne Bereiche des europäischen Lebensmittelrechts konsolidiert, d. h. auch nachgebessert werden, indem man aus Erfahrungen lernt und Bereiche, die als überreguliert wahrgenommen werden, vereinfacht.

Dr. Petra-Alina Unland, Bielefeld, und Rechtsanwalt Dr. Markus Grube, Gummersbach

1

Https://ec.europa.eu/germany/news/eu-myths_de.

2

So heißt es tatsächlich in der amtlichen deutschen Sprachfassung der Verordnung.

 
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