R&W Abo Buch Datenbank Veranstaltungen Betriebs-Berater
 
BM - Berater-Magazin
Header Pfeil
 
 
ZLR 2023, 145
Neitzel/Rühl 

Sollten wir Insekten essen?

Fabiola Neitzel und Prof. Dr. Martin Rühl, Gießen

Insekten sind seit jeher Bestandteil der menschlichen Ernährung. Sie sind omnipräsent, vergleichsweise einfach zu fangen und bieten ernährungsphysiologisch wertvolle Proteine und Fette. So sind es sicherlich über 2.000 Insektenspezies, die weltweit konsumiert wurden und werden. Dabei ist die Variabilität erheblich und abhängig vom jeweiligen Vorkommen. Sie reicht von Käferlarven (31 %) und Raupen (17 %) über Wespen, Bienen und Ameisen (15 %) bis hin zu Grashüpfern und Heuschrecken (13 %) sowie weiteren Arten.1 Mit der Sesshaftwerdung, dem Ackerbau und der zunehmenden Vorratshaltung haben Insekten als Krankheitsüberträger und Vorratsschädlinge aber auch viel Leid über die Menschheit gebracht. Entsprechend ambivalent ist unser Verhältnis zu Insekten als Nahrungsmittel noch heute. Daher stellen wir uns zu Recht die Frage: Sollten Insekten (wieder) unseren Speiseplan bereichern?

Im Zuge der wachsenden Weltbevölkerung und Ressourcenverknappung sind Insekten in den letzten Jahren auch in Europa wieder als Nahrungsquelle in den Fokus gerückt. Sie gelten als umweltschonende Alternative zu herkömmlichen Nutztieren. Dies lässt sich durch verschiedene Punkte belegen. Zum einen verbrauchen Insekten weniger Fläche und Wasser, um eine mit herkömmlichen Nutztieren vergleichbare Proteinmenge zu produzieren. Zum anderen verwerten Insekten ihr Futter effektiver als Schweine und Rinder. So benötigt der Gelbe Mehlkäfer (Tenebrio molitor, Abbildung 1) nur etwa 2,2 kg Futter, um 1 kg Lebendgewicht aufzubauen. Er ist somit um einiges effizienter als Rinder oder Schweine, die 8,8 kg bzw. 4,0 kg benötigen.2,3 Nachteilig hingegen wirkt sich die Eigenschaft der Insekten aus, ihre Körpertemperatur nicht kontrollieren zu können. Als wechselwarme Tiere benötigen sie gleichbleibende Temperaturen, um eine reproduzierbare Zucht und Mast zu gewährleisten. Dies führt in nördlichen Breitengraden zu einem nicht geringen Energieverbrauch während der kalten Jahreszeit. Dennoch erscheint die Nutzung von Insekten als Lebensmittel oder deren indirekte Nutzung als Tierfutter vielversprechend. Dies liegt nicht zuletzt auch an der Möglichkeit, Insekten mit Futtermitteln zu versorgen, die für herkömmliche Nutztiere nur bedingt einsetzbar sind. So werden in zahlreichen wissenschaftlichen Arbeiten die unterschiedlichsten organischen Materialien für die Insektenzucht bzw. deren Mast getestet. Dies reicht von herkömmlichen Küchenabfällen bis hin zu Biertreber oder Kartoffelpülpe aus der Stärkegewinnung. Durch die Verwendung organischer Seitenströme aus der Lebens- und Agrarindustrie als Fut-ZLR 2023 S. 145 (146)termittel für Insekten kann eine nachhaltigere Produktion tierischen Proteins umgesetzt werden. Dabei sind natürlich gesetzliche Bestimmungen bezüglich des Futtermittels einzuhalten (siehe unten). Zudem trägt das natürliche Schwarmverhalten der Insekten zur Möglichkeit einer intensiven Zucht auf geringer Fläche bei. Allerdings bleibt abzuwarten, ob die dadurch entstehenden tierischen Monokulturen auch Boden für Krankheitserreger werden können. Gerade die beiden letzten Punkte, Futtermittel und Haltung, sind für eine nachhaltige und gesunde Insektenzucht unabdingbar.

Abbildung 1

Welche Regeln gelten für die Zucht von Insekten?

Die Regelungen für die Zucht von Speise- und Futterinsekten in der EU sind an die klassische Nutztierhaltung angelehnt. Jede Insektenart hat dabei ihre eigenen Anforderungen bezüglich Haltungsbedingungen und Fütterung. So macht es natürlicherweise einen Unterschied, ob die Zucht für einen Zweiflügler (z. B. Hermetia illucens), für eine Heuschrecke (z. B. Locusta migratoria) oder für einen Käfer (z. B. T. molitor) etabliert wird. Bei Insektenarten, die eine vollständige Metamorphose durchlaufen (sog. holometabole Arten, Bsp. Käfer, Fliegen, Schmetterlinge), unterscheiden sich die Larvenstadien in Aussehen und Bedürfnissen bezüglich Futter und Haltung oft wesentlich vom adulten Stadium. Heimchen und Heuschrecken hingegen ändern ihre Gestalt während ihrer Entwicklung kaum, sondern nehmen hauptsächlich mit jeder Häutung an Größe zu (sog. hemimetabole Arten). In der Regel werden Zuchtinsekten im letzten Larvenstadium geerntet, während ein kleiner Teil zur Nachzucht bis zum adulten Stadium gehalten wird. Dies spiegelt sich dann auch meist in den HaltungsbedingungenZLR 2023 S. 145 (147) und dem eingesetzten Futter wider. Generell sind für Speiseinsekten Futtermittel erlaubt, die für nahrungsmittelproduzierende Tiere zugelassen sind: u. a. unverarbeitete, vorherige Nahrungsmittel außer Fisch und Fleisch sowie Nebenströme aus der Primärproduktion von Nahrungsmitteln nicht-tierischen Ursprungs. Nicht zulässig sind hingegen Gülle und Mist, Catering-Abfälle, unverarbeitete vorherige Nahrungsmittel mit Fisch und Fleisch und verarbeitete Tierproteine (Processed Animal Proteins, PAPs) außer Fischmehl (Verordnung (EG) Nr. 767/2009).

Eine Sorge bezüglich der Massenzucht von Futter- und Speiseinsekten ist, dass sich innerhalb der Zuchtanlagen Krankheiten ausbreiten könnten, durch die die Zuchten kollabieren. Hierbei wird an die konventionelle Schweine- und Geflügelhaltung gedacht, die strikte Hygiene und mitunter den Einsatz von Antibiotika erfordern. Veterinäre sind bisher nur ungenügend darauf vorbereitet, die Gesundheit von Insekten in Intensivhaltung zu überwachen und bei Bedarf zu behandeln. Auch wenn die Forschung zur Pathologie von Insekten zunimmt, sind Zuchtbetriebe in erster Linie auf Hygienemaßnahmen und die Verhinderung der Einschleppung von Krankheitserregern angewiesen. Anzumerken ist auch, dass Insekten als Wirbellose bisher nicht unter die Tierschutzverordnung fallen. Dennoch hat der europäische Verband von Insektenzüchtern IPIFF (International Platform of Insects for Food and Feed) Standards als Selbstverpflichtung entwickelt, wonach Insekten frei von Hunger, Unbehagen, Krankheit und Leiden gehalten werden sollen und dabei ihr artgerechtes Verhalten ausleben können.4

In welcher Form können wir Insekten konsumieren?

Die einfachste und unmittelbarste Form von Insektenprodukten stellen im Ganzen getrocknete und gegebenenfalls geröstete als auch gewürzte Insekten dar. Diese können als Snack verzehrt werden oder als Garnierung auf Salaten und anderen Speisen dienen. Eine derartige Verwendung ist bereits im Alltag des Verbrauchers angekommen. Produkte verschieden gewürzter Heuschrecken oder Mehlwürmer können im Supermarkt erworben werden und auch in einigen Restaurants sind Insekten Teil der Speisekarte.5 Bei eigener Zubereitung von frischen Insekten ist darauf zu achten, die Tiere komplett durchzuerhitzen, um die im Darm befindlichen Mikroorganismen abzutöten. Denn im Vergleich zu herkömmlichen Tieren wird der Verdauungstrakt nicht vorab entfernt. Während diese Darreichungsform ganzer Tiere sicherlich vielen Konsumentinnen und Konsumenten Überwindung abverlangt und an eine Dschungelprüfung aus dem Fernsehprogramm erinnern mag, können Insekten in verarbeiteter Form als Zutat in vielen Produkten für breite Konsumentengruppen sensorisch ansprechend integriert werden. Im BereichZLR 2023 S. 145 (148) Fleischersatz werden Insekten z. B. in Hacksteaks (Patties) und Bällchen verarbeitet. Aber auch Fertiggerichte auf Basis von Grillen6 oder Leberwurstimitate aus Mehlwürmern sind bereits entwickelt und werden vermarktet. Zudem gibt es Teigwaren wie Pasta und Cracker mit Insektenanteil auf dem Markt. Auch Müsli- bzw. Proteinriegel sowie Schokoladen mit Insekten werden angeboten.7 Selbst bei gelungener Sensorik bleibt jedoch das individuelle “Kopfkino” der Verbraucherinnen und Verbraucher beim Verzehr insektenbasierter Produkte. Untersuchungen zufolge können im Produktnamen Begriffe wie “Insekt” oder Artbezeichnungen wie “Mehlwurm” verkaufshemmend wirken, während abstraktere Begriffe wie “Ento” oder kreative Wortneuschöpfungen zu einer höheren Akzeptanz führen.8 Weitere mögliche Anwendungsgebiete für Insektenprodukte sind Insektenfette und -öle in Kosmetika und Pflegeprodukten.

Wie funktioniert der Zulassungsprozess neuer Insektenprodukte?

Um als Insektenproduzent Insekten als Lebensmittel vermarkten zu dürfen, ist eine Zulassung im Sinne der Novel Food-Verordnung (EU) 2015/2283 notwendig. Die Novel Food-Verordnung regelt den Umgang mit neuartigen Lebensmitteln, die in der EU vor Mai 1997 nicht in nennenswertem Umfang konsumiert wurden. Im Rahmen der Antragsprüfung durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) werden umfangreiche wissenschaftliche Gutachten erstellt. Dadurch soll sichergestellt werden, dass der Verzehr der entsprechenden Insektenprodukte unbedenklich ist. Die Prüfung dauert in der Regel mehrere Jahre und ist mit bedeutendem Aufwand für die Antragsteller verbunden. Die Zulassung erfolgt spezifisch für eine Insektenart in bestimmten Verarbeitungsformen (z. B. gefroren, getrocknet, als Pulver). Festgelegt wird auch, in welchen Lebensmitteln und in welchen Mengen die Insektenprodukte eingesetzt werden dürfen. Zu beachten ist, dass die Zulassung für die Dauer von fünf Jahren exklusiv für das antragstellende Unternehmen gilt, wenn sie auf individuell geschützten wissenschaftlichen Daten beruht. Bisher haben vier Insektenarten diese Hürde gemeistert und eine Zulassung als neuartiges Lebensmittel erhalten (Tabelle 1 siehe S. 149).

ZLR 2023 S. 145 (149)

Welche Insekten sind zugelassen?

Abbildung 2

Sind Insekten wirklich neuartig?

Die Zulassungen neuer Insektenprodukte als neuartiges Lebensmittel Anfang dieses Jahres führten zu einem großen Medienecho, in dem die Verbraucher unter anderem vor “versteckten” Insekten in Lebensmitteln gewarnt wurden. Tatsächlich sind Insekten und ihre Produkte schon seit vielen Jahren fester Bestandteil unserer Ernährung:

– Schellack (E 904)

Schellack ist eine harzige Substanz, die von Lackschildläusen der Art Kerria lacca zum Schutz ihrer Brut produziert wird. Sie wird als Überzugsmittel für Süßwaren, Zitrusfrüchte, magensaftresistente Nahrungsergänzungsmittel und Medikamente eingesetzt.

– Echtes Karmin (E 120)

Echtes Karmin mit dem Hauptbestandteil Karminsäure ist ein aus Cochenilleschildläusen (Dactylopius coccus) gewonnener roter Farbstoff, der in vielerlei Lebensmit-ZLR 2023 S. 145 (150)teln eingesetzt werden darf. Ursprünglich verdankte z. B. die Spirituose Campari ihre typisch rote Farbe dem echten Karmin. Seit 2006 wurde jedoch auf synthetische Farbstoffe umgestellt, um auf tierische Inhaltsstoffe zu verzichten.

– Honig

Honig gilt als Klassiker auf den Frühstückstischen, im Tee und in der Weihnachtsbäckerei. Bienen (hauptsächlich Apis mellifera) nehmen zuckerhaltigen Blütennektar oder Honigtau (eine Ausscheidung von Schild- und Rindenläusen) auf. In ihrem Honigmagen wird der Nektar enzymatisch gespalten. Im Bienenstock durchläuft der unreife Honig mehrere Arbeiterbienen, bevor er in Waben zur weiteren Trocknung und Reifung eingelagert wird.

Neben den bereits zugelassenen Arten werden von Industrie und Forschung beständig weitere Arten hinsichtlich ihrer Eignung zur Zucht und den sensorischen und technologischen Eigenschaften untersucht. Dabei bringt jede Insektenart ihr individuelles Nährwertprofil mit sich. Während das Aminosäureprofil je Art genetisch festgelegt ist, kann das Fettsäureprofil zu einem gewissen Grad durch die Fütterung beeinflusst werden. Die natürliche große Vielfalt an Insekten bietet hierdurch die Möglichkeit, zukünftig für eine Bandbreite gewünschter Nährwerte und Produkteigenschaften die jeweils passende Art auszuwählen. Letztendlich wird aber der Verbraucher entscheiden, ob Insekten als Lebensmittel in Europa eine Chance erhalten.

1

Jongema Y, List of edible insect species of the world. Wageningen. Laboratory of Entomology. 2017.

2

Wilkinson JM, Re-defining efficiency of feed use by livestock. Animal 2011; 5: 1014–1022.

3

Oonincx DGAB, de Boer IJM, Environmental impact of the production of mealworms as a protein source for humans – a life cycle assessment. PLoS One 2012; 7: e51145.

4
5
6
7
8

Lürkens A, Naranjo-Guevara N, Floto-Stammen S, The influence of the product name on the acceptance of insect based food. Bornimer Agrartechnische Berichte. Heft 106, 67. 2022.

 
stats