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ZLR 2024, 323
Sosnitza 

Nachhaltigkeit und Lebensmittelrecht – Nichts bleibt, wie es ist?

Der 37. Deutsche Lebensmittelrechtstag fand im März 2024 in Wiesbaden unter dem Generalthema “Nachhaltigkeit und Lebensmittel – Nichts bleibt, wie es ist?” statt. Der Umbau der Gesellschaft auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit führt auch im Lebensmittelrecht dazu, dass Vieles in Frage gestellt und neue Rechtsgrundlagen geschaffen werden. Dabei bleibt von der Produktgestaltung über die Produktion bis hin zu Kennzeichnung und Vertrieb einschließlich Entsorgung kein Bereich des Lebensmittelrechts verschont.

Vor diesem Hintergrund hat sich der 37. Deutsche Lebensmittelrechtstag zunächst mit der geplanten Rahmenregelung der EU-Kommission für nachhaltige Lebensmittel auseinandergesetzt. Hier hat die Diskussion der im Raum stehenden Regelungsansätze die vielfältigen Zielkonflikte deutlich werden lassen. Vor allem der geplante Systemansatz durch Anknüpfung an Verbraucherverhalten (Stichwort “sanfte Lenkung” bzw. nudging) wirft dabei grundsätzliche Fragen zwischen staatlicher Gängelung und Freiheitssicherung auf. Die im Mai 2023 verabschiedete sogenannte “Entwaldungsfrei-VO” verfolgt das Ziel eines “Aus für importierte Entwaldung”. Nicht zuletzt die auffällige Parallele zum sogenannten Lieferkettengesetz zeigt die zahlreichen Probleme der praktischen Umsetzung bei der Informationsgewinnung und -zuordnung, wenn Produkte und Rohstoffe sogar chargengenau identifiziert werden sollen. Hier wird die Zukunft zeigen müssen, ob es sich, wie teilweise befürchtet, um ein “Gesetz für die Tonne” handelt. Die Diskussion hat zudem gezeigt, dass neben praktischen Schwierigkeiten auch das grundsätzliche Problem einer drohenden Marktabschottung erkennbar wird. Zahlreiche Neuerungen sind auch bei der Neuregelung der Produkthaftung nach dem Richtlinienvorschlag der EU-Kommission vom September 2022 zu erwarten. Gerade auch im Lebensmittelsektor droht eine massive Haftungsverschärfung durch Streichung von Haftungshöchstgrenzen, durch Einschränkung von Haftungsausschlüssen und nicht zuletzt durch prozessuale Offenlegungspflichten, die im Zusammenwirken mit neuen Verbandsklagemöglichkeiten die Lebensmittelunternehmen vor neue Herausforderungen stellen. Diskutiert wurde außerdem der aktuelle Stand bei der Beratung um Höchstmengen für Vitamine und Mineralstoffe bei Nahrungsergänzungsmitteln, nachdem auf Unionsebene bis auf weiteres keine Höchstmengenvorgaben zu erwarten sind.

Der zweite Themenblock war dem Feld der Kennzeichnung gewidmet. Der Lebensmittelrechtstag befasste sich zunächst mit dem zukünftigen Rechtsrahmen für Werbung mit Umweltaussagen auf der Grundlage des Entwurfs für eine neue Richtlinie über “Green Claims”. Ungeachtet der anstehenden Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni des Jahres ist absehbar, dass diese Richtlinie, neben der bereits verabschiedeten Änderung der Richtlinie 2005/29/EG (UGP-Richtlinie), kommen wird.ZLR 2024 S. 323 (324) Hier wurde ausführlich über das “Bürokratiemonster in grün” diskutiert, zumal gerade auch von naturwissenschaftlicher Seite die weithin fehlende Methodik bemängelt wird. Ob sich hier “Green Washing” letztlich in “Green Hushing” wandelt, bleibt abzuwarten. Anschließend wurde der (vierte) Entwurf des BMEL für ein Kinderlebensmittelwerbegesetz und die sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Werbefreiheit bei Lebensmitteln erörtert. In der Diskussion hat sich schnell gezeigt, dass die Spielräume – sollte dieses Vorhaben tatsächlich so umgesetzt werden – für eine sinnvolle Kommunikation bei den betroffenen Lebensmitteln äußerst eng werden. Im anschließenden Referat wurde die grundsätzliche Frage gestellt, wohin der Europäische Gerichtshof in seiner Rechtsprechungspraxis bei der Lebensmittelkennzeichnung steuert. Ausgehend von einem “Kuriositätenkabinett” ausgewählter Entscheidungen wurde hier diskutiert, inwieweit möglicherweise strukturelle Einflussfaktoren zu teilweise nicht konsistenten Entscheidungen führen. Schließlich wurde am Beispiel des “eLabel” bei Wein ein allgemeiner Trend zur Onlinekennzeichnung bei Lebensmitteln erörtert. Die zunehmende Digitalisierung und Nutzung von mobilen Endgeräten ermöglicht neue Gestaltungsformen bei der Auslagerung von Informationen weg vom Produkt auf andere Kanäle.

Der dritte Themenabschnitt befasste sich mit Produkten und dem Vertrieb. Den Auftakt machte ein Vortrag zu den just neu veröffentlichten Ernährungsempfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e. V. (DGE), die nun erklärtermaßen auch Umweltaspekte mit einbeziehen wollen. Daran anschließend wurden die neuen Regelungen für Lebensmittelverpackungen vorgestellt und im Einzelnen diskutiert, was sich hier ändert. Das Auditorium gewann dabei vertiefte Einblicke in technische Prozesse und Verfahren vor allem rund um das Recycling, wobei auch deutlich wurde, dass viele Details noch ungeklärt sind. Außerdem befasste sich der Deutsche Lebensmittelrechtstag mit dem Thema der Einziehung im Lebensmittelstrafrecht auf Grundlage der Kontroll-Verordnung. Hier ging es vor allem um die Einordnung der Bruttoabschöpfung als Maßnahme oder Sanktion, die letztlich vor allem für damit verbundene Verfahrensgarantieren von Relevanz ist. Den Abschluss bildete dann ein aktueller Überblick über den Gesetzesvorschlag der EU-Kommission zu durch neue genomische Verfahren gewonnenen Pflanzen. Diese Reaktion des Unionsgesetzgebers auf das Urteil des EuGH aus dem Jahre 2018 soll zusätzliche Gestaltungsmöglichkeiten beim Einsatz dieser neuen Verfahren ermöglichen, wobei allerdings nach der jüngsten Stellungnahme des Europäischen Parlaments noch zentrale Fragen, etwa zum Ausschluss des Patentrechts und zur Kennzeichnung, offen sind.

Wie gewohnt werden wir in diesem und in den folgenden Heften wieder die wichtigsten Beiträge des letzten Deutschen Lebensmittelrechtstags veröffentlichen, um die aktuelle Diskussion nicht nur abzubilden, sondern auch weiter zu begleiten und zu fördern.

Prof. Dr. Olaf Sosnitza, Würzburg

 
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