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ZLR 2005, 1
Mettke 

Lebensmittelsicherheit vor Menschlichkeit Zur Rückverfolgbarkeit von Lebensmittelspenden

Rechtsanwalt Thomas Mettke, München

Am 1. Januar 2005 ist die Verordnung (EG) Nr. 187/2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit in Kraft getreten. Ein Kernstück der Lebensmittelsicherheit (Art. 14 ff) ist die Rückverfolgbarkeit (Art. 18). Nach Art. 18 VO müssen die Lebensmittelunternehmen in der Lage sein, jede Person festzustellen, von der sie ein Lebensmittel erhalten haben. Dafür müssen besondere Systeme und Verfahren zur Feststellung der anderen Unternehmen eingerichtet werden, an die die Erzeugnisse geliefert worden sind. Dies alles muss durch sachdienliche Dokumentationen nachgewiesen werden.

Diese Verpflichtung trifft nach Art. 3 Ziff. 2 alle „Lebensmittelunternehmen“, unabhängig davon, ob sie auf Gewinnerzielung ausgerichtet sind oder nicht. Es ist leider nicht mehr festzustellen, welches Greenhorn die Idee geboren hat, daß auch karitative Einrichtungen unter den Begriff des Lebensmittelunternehmens fallen und damit der Dokumentationspflicht unterliegen. Neben anderen Wohlfahrtseinrichtungen sind davon insbesondere die deutschen „Tafeln“ betroffen. Dabei handelt es sich um Vereinigungen, die sich bemühen, von Lebensmittelherstellern und -händlern nicht mehr benötigte, aber verwendungsfähige Lebensmittel zu erhalten, um diese an Bedürftige, wie Obdachlose, Waisen und Arme, etc. abzugeben. Der Bundesverband Deutsche Tafel e.V. hat sich im vergangenen Jahr an den Bundeskanzler gewandt und um Unterstützung gebeten, die „Tafeln“ von der Dokumentationspflicht des Art. 18 zu befreien. Die Arbeit der Tafeln sei grundsätzlich gefährdet, wenn diese die Rückverfolgbarkeit von Lebensmittelspenden dokumentieren müssten; die abgebenden Unternehmen würden es ablehnen, Lieferscheine für Waren auszustellen, die nicht für den Verkauf bestimmt sind. Auch könnten die ehrenamtlichen Mitarbeiter im Rahmen ihres freiwilligen Engagements verwaltungstechnische Aufgaben nicht übernehmen. Es hat alles nichts genutzt.

Das Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (BMVEL) und die Ländergemeinschaft gesundheitlicher Verbraucherschutz (LAGV) haben in Übereinstimmung mit den Ministerpräsidenten der Bundesländer sich lediglich zu einem sogenannten „vereinfachten Dokumentationsverfahren“ verständigen können. Mit Pressemitteilung Nr. 339 vom 9. Dezember 2004 teilte die Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft mit: „Unbürokratische Rückverfolgbarkeitsregeln erleichtern den Helfern ihre Arbeit“. Auch die Schirmherrin der Tafeln, die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und ZLR 2005 S. 1 (2)Jugend ist offensichtlich außerstande, das „vereinfachte Dokumentationsverfahren“ zu unterbinden. Man ist lediglich bereit, diese Frage der Europäischen Kommission in Brüssel vorzulegen.

Mit „Info-Fax für alle Tafeln“ vom 2.12.2004 an die „Liebe Tafelfreunde“ hat der Bundesverband Deutsche Tafel e.V. daher alle Tafeln in Deutschland dahingehend unterrichtet, dass bei allen Lebensmittelspenden Lieferscheine ausgefüllt werden müssten. Dem vernünftigen Vorschlag des Bundes für Lebensmittelrecht- und Lebensmittelkunde (BLL), karitative Einrichtungen den Endverbrauchern gleichzustellen, weil diese wie in einer Familie oder im Wege der Nachbarschaftshilfe Lebensmittel an Bedürftige abgeben, ist nicht gefolgt worden.

Die Deutschen Tafeln sind keine „Lebensmittelunternehmen“ im Sinne der VO 178/2002, weil sie keine mit dem Vertrieb von Lebensmitteln zusammenhängende Tätigkeit ausüben. Sie handeln nicht wie Wirtschaftsunternehmen, sondern ausschließlich aus Gründen der Humanität, um die lebensnotwendige Versorgung mit Nahrung für Bedürftige sicherzustellen. Der Begriff „Unternehmen“ verweist immer auch auf eine wirtschaftliche Zielrichtung („Produktions-, Verarbeitungs- und Vertriebsstufen“), der rein private Bereich ist davon nicht erfasst (Art. 3 Nr. 18 VO 178/2002) Für eine derartige Auslegung sprechen auch die französische und englische Fassung der Verordnung, die die Lebensmittelunternehmen als „entreprise du secteur alimentaire“ bzw. als „food business operator“ bezeichnen.

Die Tafeln unterstützen täglich mehr als eine halbe Million bedürftige Menschen mit Lebensmitteln in Deutschland. Die von den Herstellern und Handelsunternehmen erhaltenen Waren werden noch am gleichen Tag weitergegeben und von den Empfängern verzehrt. Die Bedürftigen sind hungrige Menschen, die direkt nach Erhalt die Lebensmittel essen. Die Idee der Tafeln ist es, noch verkehrsfähige, aber nicht mehr zum Verkauf bestimmte Waren vor der Entsorgung zu bewahren und an hilfsbedürftige Menschen weiterzuleiten. Die Frage der Rückverfolgbarkeit stellt sich in diesen Fällen nicht. Das Lebensmittelsortiment entspricht der Vielfalt eines Großmarktes; es werden Obst, Gemüse, Milchprodukte, Fleisch, Käse, Backwaren, Süßwaren, Getränke, Fertiggerichte, Konserven, Tiefkühlwaren und sonstige Lebensmittel verteilt. Bei der Annahme und Weitergabe der Lebensmittel achten die Helfer selbstverständlich darauf, dass die Produkte in guter Qualität sind.

Es ist völlig ausgeschlossen mit den Helfern jede Spende nach einzelnen Produktgruppen zu erfassen und zu dokumentieren. Die Münchner Tafel e.V. verteilt z.B. mit acht festangestellten Mitarbeitern, die alle vom Sozialamt bezahlt werden wöchentlich 70 t Lebensmittel an ca. 12.000 Bedürftige – Tendenz steigend. Die Mitarbeiter kommen in der Regel aus aller Herren Länder und verfügen nur über begrenzte Deutschkenntnisse. Damit lässt sich das hohe Gut der Lebensmittelsicherheit bestimmt nicht dokumentieren. Die einzige und bereits angekündigte Konsequenz ZLR 2005 S. 1 (3)würde darin bestehen, die Verteilung an Arme und Obdachlose einzustellen und die Lebensmittel zu vernichten. Das nenne ich eine feine Politik, den Sozialstaat durch Überspannung des Verbraucherschutzes endgültig abzuwürgen. Jedes humane Handeln entzieht sich gesetzlicher Reglementierung; die tätige Güte geschieht um ihrer Selbstwillen und ohne öffentliches Aufsehen. Es ist kein gutes Zeichen, dass dies nicht anerkannt wird. In ersten Fällen ist es bereits zur Einstellung von Lebensmittelspenden gekommen, weil Tafeln Lieferscheine nicht ausfüllen konnten. Man kann es nicht deutlich genug sagen: Dieser bürokratische Unfug ist ein Vergehen gegen die Menschlichkeit; die karitative Arbeit muss stets Vorrang vor der Lückenlosigkeit des Systems haben.

Der heilige Benedikt hat in Kapitel 31 seiner Regeln festgelegt, daß der Cellerar eines Klosters sich besonders um Kranke, Kinder und Arme sorgen müsse. Zu den Ordenspflichten gehört daher auch die Armenspeisung. Nach dem Rechtsverständnis des Bundesministeriums für Verbraucherschutz sind damit auch die Klöster dokumentationspflichtige Lebensmittelunternehmen, wie auch die Heilsarmee und alle anderen sozialen Einrichtungen. Angesichts der steigenden Not vieler Menschen in Deutschland – besonders sind kinderreiche Familien betroffen – nimmt die Nachfrage nach Lebensmittelspenden zu. Sie müssen wie bisher ohne bürokratischen Aufwand verteilt werden können. Den Politikern sei angeraten, dem heiligen Benedikt mehr Respekt zu zollen als dem heiligen Bürokratius. Für den Standort Deutschland wäre dies nicht zum Nachteil.

 
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