Das neue Lebensmittelrecht
Verantwortung – Sanktionen – Kosten
Prof. Dr. Friedhelm Hufen, Universität Mainz
Die Einleitung zum 17. Deutschen Lebensmittelrechtstag beginnt mit dem Satz: „Das europäische und deutsche Lebensmittelrecht befindet sich immer noch in einer Umbruchsituation“. Das ist nicht untypisch. Das deutsche und europäische Lebensmittelrecht haben sich eigentlich immer in einer Umbruchsituation befunden, zumindest seitdem es den Deutschen Lebensmittelrechtstag gibt. Erinnern wir uns nur an die Einführung des Binnenmarkts, die Wiedervereinigung Deutschlands, die neue Konzeption der Kommission, die Folgen der Lebensmittelskandale und dergleichen mehr. „Umbruchsituation“ lautet also das Stichwort – und dies im Frühjahr 2004 vielleicht mehr denn je.
Drei Kraftquellen des Umbruchs kann man benennen:
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Es ist zum einen die Basisverordnung der EU, deren letzte Details Anfang 2005 in Kraft treten werden und die bis dahin den deutschen Gesetzgeber vor eine schwierige Aufgabe stellt.
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Da sind zum anderen die Vorstellungen der EU-Kommission zur gesundheitsbezogenen Werbung und zum Anreicherungsverbot bei Lebensmitteln, für die die Bezeichnung „Umbruch“ schon nicht mehr ausreicht und der Begriff der „Revolution“ am Platze ist.
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Die dritte Kraftquelle mag weniger augenscheinlich sein, aber sie wirkt doch erheblich auf das Lebensmittelrecht ein: Es sind die Entwicklungen des nationalen Rechts, die das immer noch ungefestigte Rechtsgebiet Lebensmittelrecht prägen. Ich nenne nur die aus dem Umweltrecht kommende Debatte um Vorsorgeprinzip und Risiko, die gravierenden Veränderungen des Wettbewerbsrechts und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu öffentlichen Informationen und Warnmitteilungen im Glykolweinurteil.
So läßt sich feststellen, daß wir uns wieder einmal auf dem Weg zu einem „neuen Lebensmittelrecht“ befinden, das die Verantwortung neu verteilt, Sanktionen neu bestimmt und Kosten verursacht.
Verantwortung meint zunächst einmal die Verantwortung des Gesetzgebers. Der deutsche Gesetzgeber ist durch die Basisverordnung vor eine schwierige Aufgabe gestellt. Er muß dem integrativen Ansatz des europäischen Rechts folgen und hat sich entschieden, das Futtermittelrecht und andere Rechtsgebiete einzubeziehen, die bis jetzt – nicht nur aus historischen Gründen – nicht in das LMBG integriert waren. Er
Damit sind wir schon beim Thema der Sanktionen. Der klassische Katalog zivilrechtlicher Haftung, verwaltungsrechtlicher Inpflichtnahme und strafrechtlicher Verfolgung reicht gewiß nicht aus, um die neuen Anforderungen hinreichend flexibel und ohne Überforderung der Betroffenen durchzusetzen.
Wo Verantwortung und Sanktionen bestehen, entstehen immer auch Kosten. Die sich daraus ergebenden Fragen sind bisher im Lebensmittelrecht überraschend selten gestellt worden. Die neue Sicherheit will bezahlt sein – und das ist nicht nur eine Frage der Gebühren: Auf der Seite der staatlichen Lebensmittelüberwachung ebenso wie auf seiten der Lebensmittelwirtschaft und – auch das muß gesagt werden – auf seiten des Verbrauchers. Angesichts der Knappheit öffentlicher Mittel besteht innerhalb der Verwaltung weithin die Tendenz zur Überfrachtung der öffentlichen Kosten auf das letzte Glied der Kette, also die Kommunen. Diese neigen – wie stets in solchen Fällen – statt zur Aufgabenkritik zur Kostenüberwälzung auf die Betroffenen, also auf die Betriebe der Lebensmittelwirtschaft. Zu fragen ist, ob nicht auch insofern das Konnexitätsprinzip – salopp formuliert: Wer die Musik bestellt, muß sie auch bezahlen, – gelten muß.
Eine Fülle von Problemen also, die sich der 17. Deutsche Lebensmittelrechtstag vorgenommen hat und die zu hochaktuellen und grundlegenden Beiträgen führten. Einige davon sind wahre Pionierleistungen im bisher kaum behandelten Feld. Um so schöner, daß die ZLR wieder die Gelegenheit bietet, die wichtigsten Beiträge einer erweiterten Fachöffentlichkeit zugänglich zu machen.