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ZHR 179 (2015), 395-403
Mülbert 

Inhaberschuldverschreibungen im Negativzinsumfeld

I. Einleitung

Nominale Negativzinsen sind im Einlagen- und Kreditgeschäft der Banken seit einiger Zeit zu beobachten:1 Negativzinsen auf Einlagen der Kreditinstitute bei der EZB, Negativzinsen auf Einlagen großer Vermögensverwalter und Unternehmen bei Kreditinstituten sowie ein seit April 2015 fast durchweg negativer EURIBOR. Im Kapitalmarkt hingegen bewendete es bislang bei der Emission von Schuldtiteln mit negativen Renditen, etwa durch die Bundesrepublik Deutschland bei Laufzeiten bis zu fünf Jahren.2 Hierzu wurde jeweils eine Kombination aus niedrigem Nominalzins und entsprechend hohem Ausgabeaufschlag gewählt, statt einen negativen Nominalzinssatz oder eine Zinsgleitklausel vorzusehen, die einen gegebenenfalls auch in den negativen Bereich rutschenden Referenzzinssatz in Bezug nimmt. Zur Begründung für die Vermeidung nominaler Negativzinsen wird sowohl auf abwicklungstechnische als auch wertpapierrechtliche Gründe verwiesen: Clearingsysteme – und dies gilt nahezu europaweit – seien technisch nicht auf das Inkasso von Zahlungen der Wertpapierinhaber angelegt, die Identifikation der Schuldner sei bei Inhaberschuldverschreibungen praktisch nicht möglich und die Verbriefung von Negativzinsansprüchen des Emittenten in einer Inhaberschuldverschreibung i.S.d. §§ 793 ff. BGB verbiete sich wertpapierrechtlich.3

Eine Überprüfung dieser wertpapierrechtlichen Bedenken erscheint schon deswegen von Interesse, weil das wirtschaftlich kontraintuitive Phänomen der Negativzinsen auch auf der rechtlichen Ebene bisherige Gewissheiten in Frage stellt und gerade im Schuldverschreibungsrecht einige Präzisierungen und sogar Rekonfigurierungen veranlasst. Zudem ist die von der Praxis gewählte Agio-Lösung der Vereinbarung einer etwa auf den EURIBOR referenzierenden Zinsgleitklausel wirtschaftlich insofern unterlegen, als der Nominalzins eine Änderung der Zinslandschaft nicht nachvollzieht,4 und für bestimmte Anleger wie insbesondere vermögensverwaltende Fonds ist sie auch steuerlich ZHR 179 (2015) S. 395 (396)nachteilig.5 Daher sind, sollten sich die Bedenken gegen die Möglichkeit von Inhaberschuldverschreibungen mit nominaler Negativzinsausstattung nur eingeschränkt ausräumen lassen (II.), Alternativlösungen in Gestalt strukturierter Negativzinsschuldverschreibungen in den Blick zu nehmen (III.).

II. Inhaberschuldverschreibungen mit Negativzinsen?

1. Keine Mitverbriefung eines Anspruchs des Emittenten auf negative Zinsen

Die Mitverbriefung eines Anspruchs des Emittenten auf negative Zinsen scheidet in der Tat aus. Weder lässt sich ein solcher Gegenanspruch in der Inhaberschuldverschreibung selbst noch in begleitend begebenen Zinsscheinen – diese sind ebenfalls Inhaberschuldverschreibungen i.S.d. § 793 BGB6 – verbriefen. Nach dem Wortlaut des § 793 Abs. 1 S. 1 verspricht der Emittent jedem Inhaber der Urkunde „eine Leistung“ (§ 241 Abs. 1 BGB), begründet also ein Forderungsrecht.7 Das ist zwar insofern zu eng, als eine Inhaberschuldverschreibung daneben auch den Anspruch auf Zinserneuerungsscheine und damit eine weitere Leistung des Emittenten umfasst.8 Zudem muss im Regelfall einer verzinslichen Inhaberschuldverschreibung auch das von den konkreten Einzelzinsansprüchen zu unterscheidende Zinsstammrecht mitverbrieft sein,9 da dieses andernfalls mit der Übereignung der Urkunde nicht ebenfalls überginge und gesondert nach § 398 BGB abgetreten werden müsste.10 Bei Optionsanleihen schließlich wird neben dem Zahlungsanspruch zusätzlich ein Optionsrecht verbrieft, und zwar nicht nur in Gestalt einer Schuldverschreibung mit Zusatzrechten, sondern sogar in Form eines abtrennbaren ZHR 179 (2015) S. 395 (397)Optionsscheins,11 was die Praxis sogar zur Emission von Inhaberschuldverschreibungen in Gestalt selbstständiger Optionsscheine veranlasst hat.12 Aus dieser Entwicklung ist aber keine generelle Aufgabe der Wortlautgrenze des § 793 Abs. 1 S. 1 BGB oder des Numerus clausus der Wertpapiere abzuleiten. Vielmehr ist diese ausnahmsweise Durchbrechung des § 793 BGB in § 221 Abs. 1 S. 1 AktG vorgezeichnet und in der Zwischenzeit vom Gesetzgeber vielfach bestätigt, etwa in § 2 Abs. 1 Nr. 3 lit. b WpHG.

Im Übrigen aber bewendet es dabei, dass § 793 BGB vorbehaltlich ausdrücklicher Ausnahmen lediglich das Versprechen „einer“ Leistung des Emittenten kennt und die Mitverbriefung eines Gegenanspruchs des Emittenten in der Schuldverschreibung gegen deren Inhaber daher (erst recht) nicht möglich ist.

2. Kein Negativzinsanspruch bei Inhaberschuldverschreibungen?

Damit richtet sich der Blick zunächst auf die Möglichkeit, dass das in der Inhaberschuldverschreibung verkörperte Leistungsversprechen des Emittenten einerseits und sein Anspruch auf negative Zinsen andererseits in einem einheitlichen Vertrag wurzeln. Alle hierbei in Betracht kommenden Gestaltungsvarianten weisen indes einen einheitlichen Schwachpunkt auf und sind zudem mit im Detail sehr unterschiedlichen Schwierigkeiten behaftet. Im Einzelnen:

a) Der übereinstimmende Schwachpunkt aller derartigen Gestaltungen besteht in der eingeschränkten Fungibilität dieser gewissermaßen komplexen Inhaberschuldverschreibungen. Wurzeln Inhaberschuldverschreibung und Negativzinsanspruch in einem einheitlichen Rechtsgeschäft, muss im Falle eines Gläubigerwechsels der neue Gläubiger der Inhaberschuldverschreibung notwendig zugleich auch zum neuen Schuldner des Anspruchs auf negative Zinsen werden. Diesem erforderlichen Schuldnerwechsel (§§ 414 ff. BGB) könnte der Emittent in den Anleihebedingungen zwar antizipiert zustimmen. Schwierigkeiten bereitet es hingegen sicherzustellen, dass stets auch eine wirksame Einigung von altem und neuem Anleihegläubiger über den Schuldübergang vorliegt. Letztlich ließe sich den hieraus resultierenden Schwierigkeiten nur mit einer Bedingungslösung dergestalt begegnen, dass die Übereignung der Inhaberschuldverschreibung – ebenso wie im Übrigen die alternativ zulässige Abtretung des verbrieften Anspruchs13 mit der Folge des Eigentumserwerbs an der Urkunde nach § 952 Abs. 2 BGB analog14 – in den Anleihebedingungen unter die Bedingung des wirksamen Eintritts auch in die Schuldnerposition gestellt wird. Bei einer solchen Bedingungskonstruktion würde es der Inha¬ZHR 179 (2015) S. 395 (398)berschuldverschreibung allerdings an der für die Börsenzulassung erforderlichen Verkehrsfähigkeit fehlen.

b) Darüber hinaus unterliegen zwei Gestaltungsvarianten einer komplexen Schuldverschreibung durchgreifenden Einwänden:

(i) Das gilt zunächst für die nur auf den ersten Blick nicht ganz fernliegende Kombination des in einer Schuldverschreibung typischerweise verkörperten abstrakten Schuldversprechens gemäß § 780 BGB mit einem entmaterialisierten Kapitalverwahrvertrag als einem Innominatkontrakt.15 Bei diesem Modell bilden Negativzinsen das Entgelt für die Verwahrung des Kapitals. Der Einwand, dass die Inhaberschuldverschreibung lediglich einen reinen Zahlungsanspruch verkörpert und der Emittent daher gar keine zu vergütende Leistung erbringt,16 wird durch die Vergütungsvereinbarung widerlegt: Damit dokumentieren die Parteien gerade, dass sie eine Leistung des Emittenten in Gestalt einer Verwahrung sehen. Auch der weitere Einwand, dass es einer Anspruchsdoppelung – der Anspruch aus einem abstrakten Schuldversprechen und der Rückgewähranspruch aus dem entmaterialisierten Verwahrvertrag – gar nicht bedarf, wäre jedenfalls dann unerheblich, wenn man für die Inhaberschuldverschreibung die Möglichkeit der Verbriefung eines kausalen Anspruchs in Abrede stellt.17 Unter einem etwas anderen Gesichtspunkt bestehen aber im Ergebnis gleichwohl durchschlagende Bedenken gegen diese Verbindung eines kausalen und eines abstrakten Rechtsgeschäfts in einem gemischten Vertrag. Ein abstraktes Rechtsgeschäft unterliegt beim Fehlen des notwendig außerhalb dieses Rechtsgeschäfts liegenden Rechtsgrunds der Kondiktion nach § 812 Abs. 2 BGB, wogegen das kausale Rechtsgeschäft seine causa in sich trägt und daher kondiktionsfest ist. Bestehen keine weiteren Parteiabreden, würde sich mit Blick auf den abstrakten Teil des gemischten Vertrages die inhärent widersprüchliche Frage stellen, ob die kausale Komponente dieses einen Rechtsgeschäfts die causa bilden kann. Würde man dies rechtsdogmatisch konsequent verneinen, wäre an sich die Kondiktion nach § 812 Abs. 2 BGB eröffnet. Jedoch ist eine Kondiktion allein des „abstrakten“ Teils eines gemischten Vertrags nicht vorstellbar, weil dies durch eine Vertragsänderung zu erfolgen hätte, die zumindest eine der Parteien gerade nicht möchte.

(ii) Unvereinbar mit dem Recht der Inhaberschuldverschreibung wäre es sodann, den Anspruch auf negative Zinsen beim Absinken eines Referenzzinssatzes unter Null als zusätzliche darlehensvertragliche Vereinbarung zu deuten. Allerdings findet sich gelegentlich die These, dass die Inhaberschuldver¬ZHR 179 (2015) S. 395 (399)schreibung einen Anspruch auf Darlehensrückzahlung verkörpere.18 Für das verzinsliche Darlehen geht dies aber schon deswegen fehl, weil der Zinsanspruch im Gegenseitigkeitsverhältnis zur Kapitalüberlassung und -belassung steht, nicht aber akzessorisch zum Rückzahlungsanspruch ist,19 während der Zinsanspruch bei einer verzinslichen Inhaberschuldverschreibung nach dem typisierten Parteiwillen akzessorietätsgleich vom Bestand der Hauptforderung abhängig ist.20 Das erweist schon § 803 Abs. 1 Alt. 1 BGB, wonach Zinsscheine ausnahmsweise in Kraft bleiben, auch wenn die Hauptforderung erlischt. Der Rückzahlungsanspruch aus einem unverzinslichen Darlehen wiederum kommt als Grundlage einer verzinslichen Inhaberschuldverschreibung nicht in Betracht.21

c) Damit verbleibt allenfalls die Möglichkeit, dass eine Inhaberschuldverschreibung mit Negativzinsen einen Rückgewähranspruch aus einem vertragstypenrechtlich als Innominatkontrakt einzuordnenden entmaterialisierten Verwahrvertrag verkörpert. Mit dem Schuldverschreibungsrecht unvereinbar wäre dies nur dann, wenn erstens eine Schuldverschreibung lediglich eine abstrakte Verbindlichkeit i.S.d. § 780 BGB verkörpern könnte, nicht aber eine kausale Forderung i.S. eines Anspruchs aus einem kausalen Rechtsverhält¬ZHR 179 (2015) S. 395 (400)nis,22 und wenn zweitens eine Inhaberschuldverschreibung i.S.d. §§ 793 ff. BGB als ein konstitutives Wertpapier23 einen bereits bestehenden Anspruch nicht auch noch nachträglich verbriefen könnte. Dabei besteht zwischen diesen beiden Fragen ein innerer Zusammenhang jedenfalls insofern, als eine Verkörperung einer kausalen Forderung nur dann möglich ist, wenn sich auch eine bereits bestehende Forderung noch verbriefen lässt. Der für die Schaffung des Wertpapiers konstitutive wertpapierrechtliche Begebungsvertrag24 kann zwar zugleich auch die darin verbriefte abstrakte Forderung begründen, nicht aber darüber hinausreichend ein zweiseitiges oder sogar ein synallagmatisches Schuldverhältnis.25

(i) Was die Möglichkeit einer nachträglichen Verbriefung einer existenten Forderung anbelangt, ist dies wertpapierrechtlich nicht ausgeschlossen, wie das Beispiel der Aktie belegt; für die Inhaberschuldverschreibung folgt aus den §§ 793 ff. BGB entgegen nahezu allseitigem Verständnis nichts anderes, wie namentlich das Recht der Zinsscheine illustriert. Diese können zeitgleich mit der Haupturkunde, aber auch noch später begeben werden, wie im Fall der späteren Ausgabe neuer Zinsscheine für künftige Zinsperioden (siehe § 805 BGB) besonders deutlich zu Tage tritt. Da es sich bei Zinsen um wiederkehrende Leistungen (§ 197 Abs. 3 BGB) handelt,26 lässt sich dieser Vorgang rechtsdogmatisch konsistent nur mit der Annahme erklären, dass der einzelne Zinsschein den aus dem Zinsstammrecht für die jeweilige Zinsperiode (laufend) fließenden, abtrennbaren Einzelzinszahlungsanspruch – er tritt mit der Fälligkeit als selbstständiges Forderungsrecht auf eine in sich abgeschlossene Leistung ins Leben27 – verbrieft. Dementsprechend muss auch in sonstigen Fällen die Verbriefung eines bereits bestehenden Anspruchs möglich sein, in¬ZHR 179 (2015) S. 395 (401)dem der konstitutive Begebungsvertrag sich darauf beschränkt, die eine Forderung verkörpernde Urkunde zu schaffen und dem Wertpapiergläubiger das (Mit-)Eigentum hieran zu verschaffen. Inhaberschuldverschreibungen i.S.d. §§ 793 ff. BGB sind also nicht notwendig ein konstitutives Wertpapier, sondern können auch als deklaratorisches Wertpapier begeben werden28.

(ii) Damit erledigt sich zugleich das Fundamentalbedenken gegen die Möglichkeit, dass eine Inhaberschuldverschreibung auch eine Forderung aus einem kausalen Schuldverhältnis verkörpern kann. Besteht die konstitutive Wirkung des Begebungsvertrages nicht notwendig auch darin, die in der Urkunde verkörperte Forderung überhaupt erst zur Entstehung zu bringen, lassen sich auch kausale Ansprüche (nachträglich) verbriefen. Mit Blick auf Zinsscheine mag man zunächst sogar annehmen wollen, dass die §§ 793 ff. BGB eine solche Möglichkeit überdies zwingend gebieten.29 Berücksichtigt man jedoch, dass die Zinsvereinbarung, also die Begründung des Zinsstammrechts, einen Bestandteil des einen Rechtsgeschäfts „verzinsliche Inhaberschuldverschreibung“ bildet und nicht etwa in einer gesonderten Abrede erfolgt, muss die Zinsvereinbarung notwendig die Qualifikation dieses einen Rechtsgeschäfts als kausal oder aber als abstrakt teilen. Andererseits ist den §§ 793 ff. BGB nichts zu entnehmen, was die Möglichkeit der (späteren) Verbriefung einer Forderung aus einem kausalen Rechtsgeschäft ausschließen würde. Zwar kann eine solche Forderung nicht in einer verzinslichen Inhaberschuldverschreibung verbrieft werden, weil bei dieser der Zinsanspruch notwendig akzessorietätsgleich zum Bestand der verkörperten Hauptforderung ist.30 Den Grundsatz, dass sich auch eine Forderung aus einem kausalen Schuldgeschäft verbriefen lässt, stellt dies aber nicht in Frage.

d) Als Ergebnis lässt sich damit festhalten, dass eine Inhaberschuldverschreibung auch den Rückgewähranspruch aus einem kausalen „entmaterialisierten“ Verwahrvertrag verkörpern kann und also eine Inhaberschuldverschreibung mit einem (unverbrieften) Anspruch des Emittenten auf negative Zinsen in engen Grenzen in Betracht kommt. Die Vereinbarung von referenzwertbasierten Gleitklauseln, bei denen der Referenzzins nicht nur negativ, sondern auch positiv sein kann, wäre aber nicht möglich, weil eine verzinsliche Inhaberschuldverschreibung eben keinen Anspruch auf Rückzahlung eines verzinslichen Darlehens verbriefen kann. Stellt man zudem in Rechnung, dass sich der Gegenleistungsanspruch auf negative Zinsen nicht mitverbriefen und nur nach den §§ 414 ff. BGB übertragen lässt, wird die Frage nach Alternativlösungen unabweisbar.

ZHR 179 (2015) S. 395 (402)

III. Strukturierte Negativzinsschuldverschreibungen

Für eine Alternativlösung ist daran anzuknüpfen, dass die Rückzahlung einer Inhaberschuldverschreibung nicht notwendig zum Nominalbetrag erfolgen muss. Vielmehr kann der Rückzahlungsbetrag je nach den Emissionsbedingungen auch unter pari liegen, was den breiten Zertifikatemarkt mit seiner Vielzahl an strukturierten Produkten überhaupt erst ermöglicht. Der dortige Ansatz, den Rückzahlungsbetrag in den Anleihebedingungen mittels Inbezugnahme im Einzelnen ganz unterschiedlicher Referenzwerte und Parameter zu strukturieren, lässt sich auch für das Phänomen negativer Zinsen fruchtbar machen: Die Emissionsbedingungen sehen vor, dass der Rückzahlungsbetrag sich jeweils um den Betrag mindert, der sich rechnerisch als negativer Zinsertrag gemäß dem für die einzelne Berechnungsperiode jeweils maßgeblichen Negativzinssatz ergibt.31 Eine derart strukturierte Negativzinsschuldverschreibung ist mithin das Gegenstück zu einem zum Barwert begebenen Zerobond.

Eine solche zinssatzgebundene Strukturierung des Rückzahlungsanspruchs erlaubt auch eine komplexere Gestaltung derart, dass der Rückzahlungsbetrag anhand einer Zinsgleitklausel ermittelt wird, die ihrerseits auf einen Referenzzinssatz wie etwa den EURIBOR (plus Marge) Bezug nimmt. Je nach Entwicklung des Referenzzinssatzes kann dies auch dazu führen, dass sich der Rückzahlungsbetrag erhöht und gegebenenfalls sogar den Nominalbetrag der Negativzinsschuldverschreibung übersteigt. Schuldverschreibungsrechtlich ist dies unbedenklich32 und auch das Zinseszinsverbot des § 289 S. 1 BGB ist jedenfalls dann nicht berührt, wenn die Berechnung der Veränderung des Rückzahlungsanspruchs den Nominalbetrag zur Ausgangsgröße hat, also etwaige positive Zinsen nicht in die Berechnungsgrundlage für den jeweiligen Periodenzinsertrag eingehen.

AGB-rechtlich unterliegen derartige Gestaltungen der Inhaltskontrolle am Maßstab des § 307 BGB, soweit es sich beim Emittenten um ein Unternehmen handelt (§ 310 Abs. 4 BGB). Entsprechende Klauseln bewirken keine unangemessene Benachteiligung der Schuldverschreibungsinhaber, sondern sind grundsätzlich unbedenklich. Erforderlich dürfte allerdings sein, dass derartige Klauseln nicht anders als Zinsänderungs- und auch Zinsgleitklauseln im Einlagengeschäft33 das Äquivalenzverhältnis wahren. Die Zinsanpassungsklausel darf mit anderen Worten nicht dazu führen, dass sich bei einer Zinsänderung die Höhe des Rückzahlungsbetrags im Verhältnis zur Größe der Zinsänderung überproportional zu Gunsten des Emittenten verändert. Ob es bei der Wahrung einer linearen Abhängigkeit zwischen der Zinssatzänderung und der ZHR 179 (2015) S. 395 (403)Veränderung des Rückzahlungsbetrags bewenden darf – im Einlagengeschäft als das Prinzip des konstanten Margenerhalts geläufig – oder ob die jeweilige Höhe der Veränderung des Rückzahlungsbetrags mit steigendem Negativzinssatz immer niedriger ausfallen muss – im Einlagengeschäft als das Prinzip des relativen Margenerhalts bezeichnet und dort höchstrichterlich vorgegeben34 –, kann und darf hier dahinstehen. Allerdings spricht einiges dafür, dass diese Frage auf der Basis der höchstrichterlichen Judikatur nicht anders als im Einlagengeschäft im Sinne eines relativen Margenerhalts zu beantworten ist.

Mit den skizzierten Gestaltungen, darauf sei abschließend hingewiesen, ist der vom Schuldverschreibungsrecht eröffnete Freiraum nicht etwa ausgeschöpft. Vielmehr lassen sich auch durchaus komplexere Strukturen aufsetzen. Ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit seien lediglich asymmetrische Strukturierungen genannt, bei denen der Emittent positive Zinsen auszahlt und gegebenenfalls sogar hierauf abgestimmte Zinsscheine begibt, wogegen negative Zinsen den Rückzahlungsanspruch entsprechend mindern.

IV. Schlussbemerkungen

Mit negativen Zinsen positive Erträge zu generieren, gehört zu den wirtschaftlichen Herausforderungen, die im Einlagen- und Kreditgeschäft der Banken bislang allenfalls unvollkommen bewältigt werden konnten. Aus rechtlicher Sicht vermag das Phänomen „Negativzinsen“ hingegen durchaus positive Wirkungen zu entfalten. Die damit verbundene Infragestellung etablierter rechtsdogmatischer Strukturen und Figuren kann für einige Bereiche gar einen gewissen Modernisierungsschub auslösen. Im Schuldverschreibungsrecht gibt das Phänomen der Negativzinsen jedenfalls Anlass, dessen Flexibilitätsgrenzen noch schärfer auszuloten und dem Recht der §§ 793 ff. BGB damit einen noch größeren Anwendungsbereich zu sichern.

Peter O. Mülbert

1

Zum Einlagengeschäft siehe Tröger, NJW 2015, 657; allgemeiner zu Negativzinsen Ernst, ZfPW 2015, 250.

2

Zu den Mitgliedern im „Klub der negativen Zinsen“ näher Naumer/Schneider, Die Bank 6/2015, 8.

3

Siehe auch Becker, WM 2013, 1736, 1739 f.

4

Ebenso Becker, WM 2013, 1736, 1741.

5

Vermögensverwaltende Fonds generieren mit den Zinsen aus den Schuldverschreibungen Einkünfte aus Kapitalvermögen nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG. Das Agio können sie aber nicht als Werbungskosten abziehen: zum einen sind die Anschaffungs(neben)kosten keine Werbungskosten für die Fruchtziehung im Rahmen von § 20 Abs. 1 EStG (anderes gilt bei der Besteuerung der Veräußerungsgewinne nach § 20 Abs. 2 Nr. 7 EStG), zum anderen ist der Werbungskostenabzug auf den Pauschbetrag von 801 Euro gedeckelt (§ 20 Abs. 9 EStG). Die im Folgenden entwickelte „Verrechnung“ der Negativzinsen mit dem Rückzahlungsbetrag (III.) würde diesen Nachteil vermeiden.

6

Siehe nur Staudinger/Marburger, BGB, §§ 779–811, Neub. 2015, § 803 Rdn. 3; MünchKommBGB/Habersack, Bd. 5, 6. Aufl. 2013, § 803 Rdn. 2.

7

Siehe nur Staudinger/Marburger (Fn. 6), § 793 Rdn. 6; MünchKommBGB/Habersack (Fn. 6), § 793 Rdn. 7; OLG Bamberg NJW-RR 1989, 1449, 1450.

8

Staudinger/Marburger (Fn. 6), § 803 Rdn. 14. Keine Sperre hierfür bildet § 797 BGB. Die dortige Einschränkung, dass der Aussteller nur gegen Aushändigung der Urkunde zur Leistung verpflichtet ist, gilt lediglich für die Hauptforderung.

9

Vgl. auch Art. 5 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Art. 14 Abs. 1 WG: Das Indossament (nebst Begebungsvertrag) überträgt „alle“ Rechte aus dem Wechsel und dies umfasst auch die durch einen Zinsvermerk begründete Zinspflichtigkeit der Wechselsumme.

10

Kein Übergang akzessorischer Zinsansprüche nach § 401 Abs. 1 BGB; siehe BGHZ 35, 172, 173 f. = NJW 1961, 1524.

11

Siehe nur MünchKommBGB/Habersack (Fn. 6), § 793 Rdn. 15 f.

12

Zu den Schwierigkeiten einer rechtsdogmatisch konsistenten Einfügung in das Schuldverschreibungsrecht näher Mülbert/Böhmer, WM 2006, 937, 944 f.

13

BGH WM 2013, 1264 Rdn. 17 ff.; MünchKommBGB/Habersack (Fn. 6), § 793 Rdn. 32.

14

BGH WM 2013, 1264 Rdn. 15.

15

Gegenstand eines Verwahrvertrags i.S.d. § 688 BGB können lediglich Sachen (§ 90 BGB) sein; siehe nur BGHZ 34, 349.

16

Vgl. Maier-Reimer in: Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, 2004, S. 129, 135: Schuldverschreibung verkörpert abstrakte Zahlungsforderung (§ 780 BGB), weswegen die Überlassung des Kapitals durch deren ersten Nehmer nicht als fortdauernde Leistung ihres jeweiligen Inhabers gewertet werden kann.

17

Dazu sogleich noch im Text bei Fn. 20 ff.

18

Staudinger/Freitag, BGB, §§ 488–490, 607–609 BGB, Neub. 2015, § 488 Rdn. 48; Lenenbach, Kapitalmarktrecht, 2. Aufl. 2010, Rdn. 2.62, 2.213; für die Aktienanleihe auch Marburger, FS Hadding, 2004, S. 949, 954; Schwark, WM 2001, 1973, 1976 f.; ausdrücklich a.A. Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, 2010, S. 14 ff., 337 f.; Maier-Reimer in: Baums/Cahn (Fn. 16), S. 135 f.; Langenbucher/Bliesener/Spindler/Bliesener/H. Schneider, Bankrechts-Kommentar, 2013, 17. Kapitel, § 5 SchVG Rdn. 84; Seibt/Schwarz, ZIP 2015, 401, 407; Sester, AcP 209 (2009), 29, 40.

19

Mülbert, AcP 192 (1992), 448, 499 ff.; ders., WM 2002, 465, 469 f.

20

Siehe Mülbert, AcP 192 (1992), 448, 500 Fn. 201.

21

Dass eine verzinsliche Inhaberschuldverschreibung keinen Rückzahlungsanspruch aus einem verzinslichen Darlehen verbriefen kann, besagt aber noch nichts zur Sanierungssituation in der instanzgerichtlichen Judikatur (umfangreiche Nachw. bei Florstedt/von Randow, ZBB 2014, 345 Fn. 1) und im Schrifttum (bejahend Florstedt/von Randow, ZBB 2014, 345, 347 ff.; Seibt/Schwarz, ZIP 2015, 401, 408 ff.; ablehnend Maier-Reimer in: Baums/Cahn (Fn. 16), S. 136; Langenbucher/Bliesener/Spindler/Bliesener/H. Schneider (Fn. 18), 17. Kapitel, § 5 SchVG Rdn. 82; Schmidtbleicher (Fn. 18), S. 339 f.; Paulus, WM 2012, 1109, 1111 f.; siehe auch Palandt/Grüneberg, BGB, 74. Aufl. 2015, § 314 Rdn. 4: Vorrang (wovon?) gilt wohl auch für Inhaberschuldverschreibungen) kontrovers diskutierten Frage, ob Inhaberschuldverschreibungen einer Kündigung aus wichtigem Grund (§ 314 BGB) unterliegen. Auch wenn verzinsliche Inhaberschuldverschreibungen ein lediglich einseitiges Schuldverhältnis begründen – es wird keine Belassungspflicht des Gläubigers begründet (vgl. auch Maier-Reimer in: Baums/Cahn (Fn. 16), S. 135; Schmidtbleicher (Fn. 18), S. 337; Seibt/Schwarz, ZIP 2015, 401, 407) –, ist die Möglichkeit einer die Fälligkeit der Hauptforderung herbeiführenden Kündigung aus wichtigem Grund (Fall der Fälligkeitskündigung; siehe etwa LG Bonn ZIP 2014, 1073, 1076; Schmidtbleicher (Fn. 18), S. 340; Seibt/Schwarz, ZIP 2015, 401, 411 f.) gleichwohl nicht a limine ausgeschlossen.

22

Ausdrücklich Schmidtbleicher (Fn. 18), S. 16 f., 337 f.; Langenbucher/Bliesener/Spindler/Bliesener/H. Schneider (Fn. 18), 17. Kapitel, § 1 SchVG Rdn. 13, § 3 SchVG Rdn. 27; Seibt/Schwarz, ZIP 2015, 401, 407; auch Maier-Reimer (Fn. 16), S. 135; a.A. – regelmäßig abstraktes Schuldversprechen – BGH WM 2014, 1624 Rdn. 32 (dogmatisches Grundmodell); Staudinger/Marburger (Fn. 6), § 793 Rdn. 6; MünchKommBGB/Habersack (Fn. 6), § 793 Rdn. 7, 34; ferner Schwark, WM 2001, 1973, 1974: insoweit herrscht Vertragsfreiheit.

23

Praktisch unstr., siehe nur MünchKommBGB/Habersack (Fn. 6), Vor § 793 Rdn. 23; Staudinger/Marburger (Fn. 6), § 793 Rdn. 6.

24

Dazu nur Staudinger/Marburger (Fn. 6), Vorbem. zu §§ 793–808 Rdn. 18 f., § 793 Rdn. 14; MünchKommBGB/Habersack (Fn. 6), Vor § 793 Rdn. 24 ff.; siehe auch BGH WM 2013, 1264 Rdn. 9.

25

Langenbucher/Bliesener/Spindler/Bliesener/H. Schneider (Fn. 18), 17. Kapitel, § 3 SchVG Rdn. 27; Schmidtbleicher (Fn. 18), S. 14; auch Mülbert/Böhmer, WM 2006, 937, 945; a.A. etwa Marburger (Fn. 18), S. 954 für die Aktienanleihe: „Begebungsvertrag ist in seinem obligatorischen Teil Darlehensvertrag, zugleich aber auch dinglicher Verfügungsvertrag“.

26

Siehe nur MünchKommBGB/Grothe, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, § 197 Rdn. 33.

27

Vgl. BGHZ 10, 391 = NJW 1954, 231, 232.; siehe ferner BGHZ 146, 228 = NJW 2001, 1063, 1064.

28

Schon Mülbert/Böhmer, WM 2006, 937, 945.

29

Siehe etwa MünchKommBGB/Habersack (Fn. 6), § 803 Rdn. 2: Zinsschein verkörpert im Gegensatz zur Haupturkunde keine abstrakte Forderung; wohl auch Staudinger/Marburger (Fn. 6), § 803 Rdn. 4.

30

Daher lassen sich letztlich nur verzinsliche Forderungen aus einem einseitigen kausalen Rechtsgeschäft in einer verzinslich gestellten Inhaberschuldverschreibung verbriefen. Entsprechende Gestaltungen sind aber eher selten.

31

Ganz ähnlich Becker, WM 2013, 1736, 1741.

32

Siehe nur MünchKommBGB/Habersack (Fn. 6), § 793 Rdn. 12.

33

Dazu BGHZ 185, 166 = WM 2010, 933 Rdn. 24 i.V.m. Rdn. 26 f.; OLG Düsseldorf, Urt. v. 20. 7. 2012 – I-16 U 149/08, BeckRS 2013, 09045.

34

BGHZ 185, 166 = WM 2010, 933 Rdn. 24 i.V.m. Rdn. 26.

 
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