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ZHR 167 (2003), 357-364
Hoffmann-Becking 

Grenzenlose Abwehrklagen für Aktionäre?

Es begann im Jahre 1982 mit der „Holzmüller“-Entscheidung des BGH,1 die nicht nur wegen der Begründung ungeschriebener Hauptversammlungs-Kompetenzen, sondern auch wegen ihrer Thesen zum Rechtsschutz der Aktionäre Aufsehen erregte und zumindest in diesem Punkt durchweg beifällig aufgenommen wurde:2 Der BGH bejahte erstmals die Zulässigkeit einer Aktionärsklage gegen rechtswidrige Maßnahmen des Vorstands. Konkret ging es bei der beanstandeten Ausgliederung des Seehafenbetriebs um eine Verletzung der Zuständigkeit der Hauptversammlung, aber der BGH zog die Linien weiter aus und sprach davon, dass jeder Aktionär „einen verbandsrechtlichen Anspruch darauf (hat), dass die Gesellschaft seine Mitgliedsrechte achtet und alles unterlässt, was sie über das durch Gesetz und Satzung gedeckte Maß hinaus beeinträchtigt.“ Damit waren die Türen geöffnet für alle Formen der aktienrechtlichen actio negatoria des Aktionärs gegen rechtswidriges Verwaltungshandeln, und zwar sowohl in der Form der Feststellungsklage als auch der allgemeinen Leistungsklage auf Beseitigung und Unterlassung der als rechtswidrig gerügten Maßnahmen der Verwaltung. Ebenso wie zwanzig Jahre vergingen, bis sich der BGH im Jahre 2002 im „Macrotron“-Urteil erneut zu den ungeschriebenen „Holzmüller“-Komponenten äußerte (und in concreto die Zuständigkeit der Hauptversammlung für das Delisting nicht mit der „Holzmüller“-Doktrin, sondern mit einer nicht minder gewagten und zweifelhaften verfassungsrechtlichen Argumentation begründete),3 gab es über lange Jahre auch keine Folgeentscheidung des BGH zur Abwehrklage gegen Maßnahmen der Verwaltung. Erst in der „Siemens/Nold“-Entscheidung aus dem Jahre 19974 nahm der BGH den Faden wieder auf mit der folgenden Feststellung: Wenn sich der Vorstand bei der Ausnutzung des genehmigten Kapitals nicht an die konkreten Voraussetzungen für einen Bezugsrechtsausschluss halte, müsse er damit rechnen, „dass die Pflichtwidrigkeit seines Verhaltens zum Gegenstand einer Feststellungsklage oder – soweit noch möglich – einer Unterlassungsklage, die beide gegen die Gesellschaft zu richten sind, gemacht wird.“

Das große Störpotential, das in den neuen Klagemöglichkeiten liegt, wurde den Unternehmen und offenbar auch den opponierenden Aktionären erst allmählich bewusst. Lange beruhigte man sich in den Rechtsabteilungen der Un¬ZHR 167 (2003) S. 357 (358)ternehmen mit der Überlegung, für „Berufsopponenten“ sei diese Form des Rechtsschutzes wegen des hohen Kostenrisikos und vor allem – bei Inanspruchnahme des Rechtsmittels der einstweiligen Verfügung – wegen des Risikos eines Schadensersatzes nach § 945 ZPO nicht interessant. Aber inzwischen hat man erkannt, dass das Kostenrisiko nicht zur Abschreckung taugt, weil sich der Streitwert, folgt man den allgemeinen Regeln der ZPO, ausschließlich nach dem wirtschaftlichen Interesse des Klägers, also nach dem Wert seines in der Regel geringen Aktienbesitzes, richten würde.5 Auf Grund der heute überwiegend befürworteten analogen Anwendung der Streitwertbemessungsregel des § 247 Abs. 1 AktG6 ist zwar auch das Interesse der beklagten Gesellschaft zu berücksichtigen, aber nur bis zum Höchstbetrag von 500000 EUR je Antrag. Das Kostenrisiko einer Aktionärsklage gegen Verwaltungshandeln ist also nicht größer als das Kostenrisiko einer Anfechtungsklage gegen einen Beschluss der Hauptversammlung und somit kein bedeutsames Hindernis für die Erhebung einer Klage.7 Das Risiko einer Verpflichtung zum Schadensersatz nach § 945 ZPO wiegt zwar schwerer, aber auch insoweit wissen sich die erfahrenen Kläger zu schützen, indem sie den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung durch eine „Prozess-GmbH“ stellen lassen und somit nur das gesetzliche Mindeststammkapital aufs Spiel setzen.8

Neuerdings häufen sich die Anwendungsfälle der durch den BGH in der „Holzmüller“-Entscheidung eröffneten Abwehrklage des Aktionärs. Dabei ging es in den Entscheidungen der Instanzgerichte nicht nur in Anlehnung an die „Holzmüller“-Entscheidung um Klagen und einstweilige Verfügungen gegen geplante Ausgliederungen9 oder Beteiligungsverkäufe10 ohne vorherige Zustimmung der Hauptversammlung, sondern zum Beispiel auch um die Ausnutzung eines genehmigten Kapitals für Sacheinlagen ohne vorherige Berichterstattung an die Aktionäre,11 um Werbemaßnahmen des Vorstands im Abwehrkampf gegen ein Übernahmeangebot,12 um den geplanten Börsengang einer Tochtergesellschaft ohne Einräumung eines vorrangigen Bezugsrechts an ZHR 167 (2003) S. 357 (359)die Aktionäre der Muttergesellschaft,13 um die angebliche Bevorzugung der bisherigen Großaktionäre im Rahmen einer Übernahme durch die Übertragung von Vermögen der Gesellschaft,14 um den vom Vorstand verweigerten Neuabschluss eines Unternehmensvertrags15 und um die Auszahlung einer angeblich unrichtig berechneten Aufsichtsratsvergütung.16 Weitere Fälle, die noch nicht vor die Gerichte gelangt sind, aber vermutlich nicht mehr lange auf sich warten lassen, sind vor allem zu den Themen eigene Aktien (§ 71 AktG), Gewinnthesaurierung (§ 58 AktG) sowie zum Übernahmerecht und zur Rechnungslegung zu erwarten, z.B. Klagen gegen eine bestimmte Verwendung eigener Aktien, Klagen gegen die Stellungnahmen von Vorstand und Aufsichtsrat zu einem Übernahmeangebot und gegen Abwehrmaßnahmen der Verwaltung im Übernahmekampf, Klagen gegen eine nach Meinung des Aktionärs übermäßige Thesaurierung bei Tochtergesellschaften und Klagen zur Erzwingung eines Konzernabschlusses. Schließlich ist auch damit zu rechnen, dass Aktionäre versuchen werden, mit Hilfe der Abwehrklage (und einer vorgeschalteten einstweiligen Verfügung) den Vorstand von geplanten Maßnahmen, z.B. dem Erwerb von Unternehmen, abzuhalten, weil sie die Maßnahme schlicht und einfach für vermögensschädigend halten und der Meinung sind, dass der Vorstand die Grenzen seines unternehmerischen Ermessens überschreitet, also gegen § 93 AktG verstößt.

Der Phantasie sind kaum Grenzen gesetzt, wenn man sich mögliche Anwendungsfälle ausdenkt, und es steht zu befürchten, dass die Abwehrklage zunehmend von „lästigen“ oder gar „räuberischen“ Aktionären genutzt wird, nachdem den Anfechtungsklagen gegen Umwandlungen, Eingliederungen und Squeeze Out-Beschlüsse durch das Freigabeverfahren ein wenig die Spitze genommen worden ist.17 Mit der steigenden Zahl von Fällen wird sich immer dringender die Frage stellen, ob die Abwehrklage des Aktionärs gegen rechtswidriges Verwaltungshandeln unbegrenzt zulässig ist oder diese neue Rechtsschutzform von Rechts wegen eingegrenzt werden kann und muss. Dabei geht es insbesondere um die folgende Frage: Genügt es zur Begründung der Klagebefugnis, dass der Aktionär die objektive Rechtswidrigkeit des Verwaltungshandelns rügt oder muss er auch die Beeinträchtigung eines subjektiven Rechts dartun, und genügt für Letzteres die undifferenzierte Berufung auf sein „Mitgliedsrecht“?

Die Rechtsprechung ist (noch) recht zurückhaltend in der Zulassung von Abwehrklagen gegen Maßnahmen der Verwaltung. Aber die Rechtslage ist unklar und umstritten und die Grenzen der Abwehrklage sind noch nicht aus¬ZHR 167 (2003) S. 357 (360)gelotet. Die zurückhaltende Tendenz, aber auch die verbreitete Unsicherheit in der Beurteilung der neuen Rechtsschutzform wurde in den Beratungen und Beschlüssen des 63. Deutschen Juristentags im Jahre 2000 besonders deutlich. Die Abteilung Wirtschaftsrecht plädierte mit großer Mehrheit dafür, aus der Eigenschaft als Aktionär kein allgemeines Klagerecht gegen gesetz- oder satzungswidriges Verhalten der Verwaltungsorgane herzuleiten, das durch eine Abwehrklage geltend gemacht werden könnte. Die Klagebefugnis für eine Abwehrklage solle vielmehr davon abhängen, dass der Kläger die Verletzung der Hauptversammlungskompetenz rügt. Eine darüber hinausgehende Klagebefugnis für alle Fälle, in denen der Aktionär durch die Maßnahme der Verwaltung in einem konkreten, aus der Mitgliedschaft folgenden subjektiven Recht individuell betroffen ist, lehnte die Abteilung ab, wenn auch mit einer geringeren Mehrheit.18

Es wäre gut, wenn der BGH alsbald Gelegenheit hätte, die Voraussetzungen und Grenzen der Aktionärsklage gegen Maßnahmen der Verwaltungsorgane näher zu bestimmen. Bei Durchsicht des Schrifttums und der bislang vorliegenden Entscheidungen zeichnen sich die folgenden Argumentationslinien ab:

1. Folgt man dem zitierten Beschluss des Juristentags, so ist die Abwehrklage des Aktionärs beschränkt auf die Abwehr von Eingriffen der Verwaltung in die Zuständigkeit der Hauptversammlung. So lag der Fall in der „Holzmüller“-Entscheidung, aber der BGH hat die Abwehrklage in der „Siemens/Nold“-Entscheidung bereits auf den Schutz eines anderen konkreten subjektiven Rechts des Aktionärs ausgedehnt, nämlich auf den Schutz des Bezugsrechts: Der Aktionär kann den Vorstand durch Klage an der Ausnutzung des genehmigten Kapitals mit Bezugsrechtsausschluss hindern, wenn die konkreten Tatsachen den Ausschluss des Bezugsrechts nicht rechtfertigen.19 Der BGH hat sich zwar nicht dazu geäußert, ob der Aktionär mit seiner Abwehrklage auch die Unangemessenheit des geplanten Ausgabebetrags, also die Verletzung des Verwässerungsverbots des § 255 Abs. 2 AktG, rügen kann.20 Aber da es auch bei § 255 Abs. 2 AktG um eine Voraussetzung für den Bezugsrechtsausschluss und somit letztlich um den Schutz des Bezugsrechts geht,21 wäre es nur konsequent, auch eine derart begründete Unterlassungsklage gegen die Ausnutzung des genehmigten Kapitals mit Bezugsrechtsausschluss zuzulassen.

2. Während eine Beschränkung der Abwehrklage auf Eingriffe in die Kompetenzen der Hauptversammlung in der Tat zu eng erscheint, kann es umgekehrt auch nicht angehen, die Abwehrklage grenzenlos zuzulassen, wie dies ZHR 167 (2003) S. 357 (361)jüngst wieder in der Habilitationsschrift von Paefgen22 verlangt wird und zuvor schon von Becker23 vertreten wurde. Folgt man dieser Ansicht, so genügt es, wenn der Aktionär mit seiner Klage die objektive Rechtswidrigkeit des Handelns der Verwaltungsorgane rügt. Es sei weder erforderlich, dass er sich auf ein spezielles subjektives Recht beruft, noch dass er durch das angegriffene Handeln des Verwaltungsorgans individuell betroffen ist. Als Aktionär besitze er nämlich ein umfassendes Recht auf gesetz- und satzungsgemäßes Verhalten aller Gesellschaftsorgane. Soweit es um Beschlüsse der Hauptversammlung geht, könne dieses Recht durch die Anfechtungsklage durchgesetzt werden, die unstreitig nicht den Nachweis eines besonderen subjektiven Rechts erfordere. Für die Abwehr rechtswidriger Maßnahmen der anderen Gesellschaftsorgane könne nichts anderes gelten, denn auch die Verwaltungsorgane seien zweifelsfrei an Gesetz und Satzung gebunden.

Paefgen und Becker scheinen sich mit dem Gedanken zu beruhigen, die Zulassung der Klage sei nicht weiter schädlich, da das Gericht bei der Prüfung der Rechtswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme, also im Rahmen der Begründetheitsprüfung, den bei fast allen Maßnahmen bestehenden weiten Ermessensspielraum des handelnden Organs zu respektieren habe.24 Aber damit würde die Funktion der Klagebefugnis als „Filter“ für systemwidrige Klagen verlorengehen. Wenn das Gericht in allen denkbaren Fällen der Abwehrklage in die materielle Prüfung der Rechtswidrigkeit eintreten und im Einzelnen untersuchen müsste, ob der Vorstand die Grenzen des unternehmerischen Ermessens, also der in der „ARAG“-Entscheidung des BGH25 herausgearbeiteten deutschen Version der „business judgment rule“ überschritten hat, wäre der Schaden für die Unternehmen groß, weil dann im öffentlichen Verfahren die Details der unternehmensinternen Entscheidungsprozesse ausgebreitet werden müssten. Der Schaden wäre um so größer, als dies bei einer Abwehrklage anders als bei einer Haftungsklage gegen die Organmitglieder nicht im nachhinein mit zeitlichem Abstand zum Geschehen erfolgen müsste, sondern ganz aktuell mitten hinein in die laufende unternehmerische Aktion.

3. Systematisch handelt es sich, wenn man diesem Weg folgt, nicht mehr um den individuellen Schutz subjektiver Rechte des Aktionärs, sondern um eine rein objektive Rechtmäßigkeitskontrolle. Richtig ist zwar, dass der Aktionär bei Anfechtungsklagen gegen Hauptversammlungsbeschlüsse kein besonderes verletztes Recht und nicht einmal ein persönliches Betroffensein nachzuweisen braucht, sondern sich auf die Rüge der objektiven Rechtswidrigkeit beschränken kann.26 Zutreffend ist auch der Hinweis, dass es sich auch bei der ZHR 167 (2003) S. 357 (362)Anfechtungsklage gegen Hauptversammlungsbeschlüsse um eine Form der „actio negatoria“ des Aktionärs handelt.27 Aber das erlaubt nicht den Rückschluss auf eine entsprechend unbegrenzte Zulassung der allgemeinen Abwehrklage des Aktionärs. Für die allgemeine Abwehrklage des Aktionärs fehlt eine gesetzliche Regelung, wie sie § 243 Abs. 1 AktG für die Anfechtungsklage bestimmt. Außerdem macht es qualitativ einen Unterschied, ob der Aktionär die Rechtswidrigkeit eines Beschlusses des Organs rügt, dem er selbst angehört und an dessen Beschlussfassung er mitgewirkt hat, oder ob er die Maßnahme eines anderen Gesellschaftsorgans angreift, dem er nicht angehört und dessen Rechtmäßigkeitskontrolle ihm nach der Kompetenzverteilung innerhalb der Gesellschaft nicht oder jedenfalls nicht primär zusteht.28

4. Aufschlussreich ist auch die von Paefgen gezogene Parallele zu den Klagebefugnissen im öffentlichen Recht, weil sie bei Licht besehen nicht für, sondern gegen die Auffassung von Paefgen spricht. Paefgen meint, der von ihm befürwortete Anspruch auf gesetz- und satzungskonformes Verhalten der Gesellschaftsorgane sei ein verbandsrechtliches Pendant zur Gesetzesbindung der Verwaltung nach Art. 20 Abs. 3 GG.29 Damit verkennt er die Rechtslage im öffentlichen Recht. Aus der umfassenden Gesetzesbindung der Verwaltung nach Art. 20 Abs. 3 GG kann man nämlich gerade nicht auf ein entsprechend umfassendes subjektiv öffentliches Recht des Bürgers auf gesetzmäßiges Verhalten der Verwaltung „kurzschließen“. Art. 20 Abs. 3 GG ist nach dem herrschenden Verständnis nur eine objektiv-rechtliche Verpflichtungsnorm.30 Es ist zwar versucht worden, eine entsprechend umfassende subjektiv-rechtliche Berechtigungsnorm für den Bürger aus dem Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit in Art. 2 Abs. 1 GG herzuleiten.31 Aber dem Versuch, auf diesem Wege die Klagebefugnis jedes durch ein rechtswidriges Verhalten der Verwaltung tatsächlich betroffenen Bürgers zu begründen, sind die Verwaltungsgerichte und das öffentlich-rechtliche Schrifttum nicht gefolgt, sondern sie verlangen durchweg für die Klagebefugnis des durch das Verwaltungshandeln nur tatsächlich oder mittelbar – also nicht durch einen an ihn adressierten Verwaltungsakt – betroffenen Klägers den Nachweis, dass die als verletzt gerügte Norm des objektiven Rechts auch den Schutz des Klägers bezweckt und ihm somit eine spezielle subjektive Rechtsstellung einräumt.32

ZHR 167 (2003) S. 357 (363)

5. Es bleibt die Frage, ob es für die Zulässigkeit der Abwehrklage des Aktionärs genügt, wenn er sich außer der Rüge der objektiven Rechtswidrigkeit der Maßnahme darauf beruft, dass er durch die Maßnahme in seinem Mitgliedsrecht verletzt werde. Wenn man die undifferenzierte Berufung auf die Mitgliedschaft als verletztes Recht für die Zulässigkeit der Abwehrklage genügen lässt, ist das im Ergebnis gleichbedeutend mit der Anerkennung eines umfassenden Rechts auf gesetz- und satzungsmäßiges Handeln der Gesellschaftsorgane. Dieser Zusammenhang wird im Schrifttum nicht immer klar genug gesehen.33 Wer mit der ganz überwiegenden Auffassung ein subjektives Recht des Aktionärs auf gesetz- und satzungsmäßiges Handeln aller Gesellschaftsorgane ablehnt,34 muss auch die undifferenzierte Berufung auf die Mitgliedschaft als verletztes subjektives Recht zur Begründung der Klagebefugnis bei der Abwehrklage für ungenügend halten.

Damit sind wir bei der Frage, was es mit der Mitgliedschaft als subjektivem Recht in der internen Verbandsordnung auf sich hat. Ist das Mitgliedschaftsrecht per se verletzt, wenn ein Organ der Gesellschaft rechtswidrig handelt? Im Ergebnis kann das nicht richtig sein. Die Mitgliedschaft ist zwar nach herrschender Auffassung ein subjektives Recht, das sogar als „sonstiges Recht“ deliktsrechtlichen Schutz genießt.35 Aber sie ist zugleich gesellschaftsintern ein Sammelbegriff, durch den alle mitgliedschaftlichen Einzelrechte, nämlich die einzelnen Verwaltungs- und Vermögensrechte des Mitglieds, gebündelt werden. Es spricht viel dafür, als subjektives Recht, dessen Verletzung durch die Abwehrklage des Aktionärs gerügt werden kann, nur ein konkretes Einzelrecht genügen zu lassen, also z.B. das Stimmrecht, das Gewinnbezugsrecht, das Bezugsrecht auf neue Anteile und nicht zuletzt die auf die Mitwirkung in der Hauptversammlung bezogenen Verwaltungsrechte. Würde man dagegen die undifferenzierte Berufung auf die Mitgliedschaft als verletztes Recht genügen lassen, würde man im Ergebnis auf jede Begrenzung der Klagebefugnis verzichten.36 Vor allem könnte sich der klagende Aktionär mit der bloßen Behauptung begnügen, die angegriffene Maßnahme verletze ihn – ihre objektive Rechtswidrigkeit unterstellt – schon deshalb in seinem Mitgliedsrecht, weil sie das Vermögen der Gesellschaft und damit auch den Wert seiner Mitgliedschaft schmälert.

Wenn man das bedenkt, erscheint es nicht von ungefähr, dass der BGH in der „Holzmüller“-Entscheidung nicht in der Einzahl von „dem Mitglieds¬ZHR 167 (2003) S. 357 (364)recht“ gesprochen hat, sondern davon, dass jeder Aktionär einen Anspruch darauf habe, dass die Gesellschaft seine „Mitgliedsrechte“ achtet und alles unterlässt, was sie über das durch Gesetz und Satzung gedeckte Maß hinaus beeinträchtigt. Da es, wie auch der BGH feststellt, nicht darum gehen kann, „gewöhnliche, vom Vertretungsorgan allein zu verantwortende Geschäftsführungsmaßnahmen“ auf eine Klage des Aktionärs hin vom Gericht überprüfen zu lassen,37 liegt es auch auf der Linie der Rechtsprechung des BGH, wenn zur Begründung der Klagebefugnis die Berufung auf ein spezifisches verbandsinternes Mitgliedsrecht verlangt wird.38

Michael Hoffmann-Becking

1

BGHZ 83, 122, 133.

2

Nachw. bei Habersack, Die Mitgliedschaft – subjektives und „sonstiges“ Recht, 1996, S. 307f.

3

BGH ZIP 2003, 387.

4

BGHZ 136, 133, 140f.

5

Krieger, ZHR 163 (1999), 343, , 355 m. Nachw.

6

OLG Düsseldorf DB 2000, 2210, 2211 „Mannesmann“; Baums, Gutachten F zum 63. DJT, 2000, S. 220; Brondics, Die Aktionärsklage, 1988. S. 174; Knobbe-Keuk, FS Ballerstedt, 1975, S. 239, 254; Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, S. 649; Schlitt/Seiler, ZHR 166 (2002), 544, , 577f.

7

Seiler/Singhof, Der Konzern 2003, 313, 317.

8

So im Fall LG Frankfurt ZIP 2001, 117 und OLG Frankfurt WM 2001, 206 „Commerzbank“.

9

AG Schleswig, nicht veröffentlichter Beschluss v. 8. 11. 1999, 2 C 483/99, „Mobil-Com“.

10

LG Duisburg NZG 2002, 643 und Der Konzern 2003, 291 „Babcock-Borsig“.

11

LG Frankfurt ZIP 2001, 117, OLG Frankfurt WM 2001, 206, AG 2003, 276 und ZIP 2003, 902 „Commerzbank“.

12

LG Düsseldorf WM 2000, 528 „Mannesmann“.

13

OLG Düsseldorf, nicht veröffentlichtes Urteil v. 18. 7. 2002, 6 U 170/01 „Thyssen Krupp“.

14

LG Berlin, Beschluss vom 5. 11. 2002 – 91 O 58/02 (nicht veröffentlicht) „Condat“.

15

OLG München AG 1994, 134 „Spinnerei“.

16

LG Frankfurt AG 2001, 491.

17

Vgl. Hoffmann-Becking, Wpg Sonderheft 2001, 121, 122ff.

18

Verhandlungen des 63. DJT 2000, Sitzungsbericht O S. 78f.

19

BGHZ 136, 133, 140f. Zustimmend Krieger, ZHR 163 (1999), 343, , 356f.; Habersack, DStR 1998, 533, 537.

20

BGHZ 136, 133, 142f.

21

Vgl. Hoffmann-Becking, FS Lieberknecht, 1997, S. 25/29.

22

Paefgen, Unternehmerischen Entscheidungen und Rechtsbindung der Organe in der AG, 2002, S. 188ff., insbes. S. 314ff.

23

Becker, Verwaltungskontrolle durch Gesellschafterrechte, 1997, S. 613ff.

24

Vgl. Paefgen, a.a.O. S. 318f.; Becker, a.a.O. S. 617f.

25

BGHZ 135, 244.

26

Dazu Baums, Gutachten F zum 63. DJT, S. 99ff.

27

Zu diesem Zusammenhang Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 646ff. u. Baums, Gutachten F zum 63. DJT, S. 201.

28

Habersack, a.a.O. S. 293; Zöllner, ZGR 1988, 392, 422; Ulmer, ZHR 163 (1999), 290, , 340.

29

Paefgen a.a.O. S. 316.

30

Nachw. bei Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, 11. Aufl. 1999, § 43 I 3 Rdn. 10 S. 645; Rüfner in: Erichsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, 10. Aufl. 1995, § 50 Rdn. 22; Hoffmann-Becking, DVBl. 1970, 850/853; ders., JuS 1972, 509, 510.

31

Vgl. zu diesem Ansatz BVerfGE 9, 83/88 u. Hoffmann-Becking, DVBl. 1970, 851, 854.

32

Zur Rechtfertigung der Schutznormtheorie s. Erichsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, 10. Aufl. 1995, § 11 Rdn. 32f.; Schmidt-Aßmann in: Maunz/Dürig, GG, 1985, Art. 19 Abs. 4 Rdn. 122; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 14. Aufl. 2002, § 8 Rdn. 13.

33

Sehr klar Zöllner, ZGR 1988, 392, 425f. Unklar dagegen Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 649.

34

Nachw. bei Baums, Gutachten F zum 63. DJT, S. 202 Fn. 22 u. Zöllner, ZGR 1988, 392, 421ff.

35

Habersack, a.a.O. S. 98ff. et passim.

36

Pointiert in diesem Sinne Krieger, ZHR 163 (1999), 343, , 356: „Mit dem Schlagwort von der Verletzung des Mitgliedschaftsrechts kommt man nicht weiter“.

37

BGHZ 83, 122, 134.

38

Baums, Gutachten F zum 63. DJT, S. 208.

 
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