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ZFWG 2022, 397
Ennuschat 

Interessiert sich die Politik noch für Glücksspiel und Glücksspielrecht?

Abbildung 1

Im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP auf Bundesebene vom 7.12.2021 finden sich keine Aussagen zum Glücksspiel, ebenso wenig im Koalitionsvertrag von CDU und Grünen in NRW vom 23.6.2022. Auch die Koalitionsverträge in Bayern (CSU, Freie Wähler, Nov. 2018), Brandenburg (SPD, CDU, Grüne, Nov. 2019), Mecklenburg-Vorpommern (SPD, Linke, Nov. 2021), Sachsen (CDU, Grüne, SPD, Dez. 2019), Sachsen-Anhalt (SPD, CDU, FDP, Sept. 2021) und Thüringen (Linke, SPD, Grüne, Febr. 2020) erwähnen das Glücksspiel nicht. Hat die Politik etwa das Interesse am Glücksspiel und am Glücksspielrecht verloren?

Nein, andere aktuelle Koalitionsverträge gehen noch auf das Glücksspiel ein. Zu nennen sind Baden-Württemberg (Grüne, CDU, Mai 2021), Berlin (SPD, Grüne, Linke, Nov. 2021), Bremen (SPD, Grüne, Linke, Nov. 2021), Hamburg (SPD, Grüne, Juni 2020), Hessen (CDU, Grüne, Dez. 2018), Rheinland-Pfalz (SPD, Grüne, FDP, Mai 2021) und Schleswig-Holstein (CDU/Grüne, Juni 2022). Entsprechendes gilt für das zum Regierungsprogramm gewordene Wahlprogramm der ohne Koalitionspartner regierenden SPD im Saarland (März 2022). In Niedersachsen fanden die Landtagswahlen am 9.10.2022 statt. Dort äußerten sich die Wahlprogramme von CDU und FDP zu glücksspielpolitischen Fragen. Dies bedeutet: In gut der Hälfte der Bundesländer gibt es in den aktuellen Koalitionsverträgen oder Regierungsprogrammen glücksspielpolitische Aussagen.

Was sind die glücksspielbezogenen Themen, die in diesen Koalitionsverträgen oder Regierungsprogrammen angesprochen werden? Neuere Phänomene, wie etwa Sportwetten im Bereich e-Sport oder Glücksspielelemente bei Online-Spielen (z. B. Loot-Boxen) werden nur im Koalitionsvertrag Schleswig-Holstein genannt; die Landesregierung will sich insoweit für eine Regulierung auf Bundesebene einsetzen. Der Koalitionsvertrag Hessen setzt sich wiederum für eine Überführung der Regulierung von Geldspielautomaten vom Bundesrecht in das Landesrecht ein. Mehr Staat im Glücksspiel will das Wahl- und Regierungsprogramm der SPD im Saarland: Nur staatliche Gesellschaften sollen eine Erlaubnis zum Online-Casino-Spiel erhalten. Demgegenüber soll es in Schleswig-Holstein weniger Staat geben, weil dort die Spielbanken privatisiert werden sollen. Der Koalitionsvertrag Rheinland-Pfalz bekräftigt das staatliche Lotteriemonopol. In Bremen soll eine Restrukturierung der Landeslotteriegesellschaft geprüft werden. Der Kampf gegen illegales Glücksspiel ist Teil des Wahl- und Regierungsprogramms der SPD im Saarland. In Hessen sollen die Kontrollen der Spielgeräte in Gaststätten und Spielhallen verstärkt werden. Gegen Mehrfachkonzessionen von Spielhallen und für Mindestabstände setzen sich die Koalitionsverträge in Baden-Württemberg und Hamburg ein, während Rheinland-Pfalz mit Blick auf die pandemiebedingten Auswirkungen auf die kommunalen Haushalte und den Arbeitsmarkt eine siebenjährige Übergangsphase erhalten will, in der bei bestehenden Spielhallen der Mindestabstand nicht beachtet werden muss. Vielfach genannt wird das Ziel der Suchtprävention (Baden-Württemberg, Berlin, Bremen, Rheinland-Pfalz, Saarland und Schleswig-Holstein). Das Wahl- und Regierungsprogramm der SPD im Saarland führt dazu aus, dass ein Teil der Glücksspieleinnahmen der Prävention, Beratung und Forschung für den Jugend- und Spieler:innenschutz dienen müsse. Es dürften nicht die Gewinne der Unternehmen privatisiert werden, während die Kosten der negativen Folgen für Suchtkranke der Gesellschaft aufgetragen würden. Ebenfalls wiederholt angeführt wird die Förderung des Sports durch Glücksspielabgaben (Hessen, CDU und FDP Niedersachsen, Schleswig-Holstein).

Was lässt sich den Koalitionsverträgen mit Blick auf das Interesse der Politik am Glücksspiel und Glücksspielrecht entnehmen? Erkennbar ist vielleicht noch nicht Desinte¬ZfWG 2022 S. 397 (398)resse, aber wohl der Wunsch nach Ruhe. So wird eine Weiterentwicklung des Glücksspielstaatsvertrages 2021, soweit ersichtlich, nur im Wahlprogramm der FDP zur Niedersachsenwahl im Okt. 2022 gefordert, und zwar nach skandinavischem Vorbild. Die übrigen Wahlprogramme und Koalitionsverträge äußern sich nur zu Einzelfragen oder gar nicht, wollen jedenfalls augenscheinlich am derzeitigen Glücksspielstaatsvertrag erst einmal nicht rütteln.

Prof. Dr. Jörg Ennuschat, Bochum*

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