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WRP 2011, III
Stillner 

Sprache

Abbildung 1

Das verrückt gewordene Grenzzeichen hat in § 919 BGB mehr als 100 Jahre überdauert: „Der Eigentümer eines Grundstücks kann von dem Eigentümer eines Nachbargrundstücks verlangen, dass dieser …, wenn das Grenzzeichen verrückt oder sonst unkenntlich geworden ist, zur Wiederherstellung mitwirkt.“ „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“, ist man versucht mit Bastian Sick zu sagen. Denn ein Grenzzeichen kann zwar unkenntlich geworden sein, aber wenn der Nachbar es heimlich versetzt hat, ist es verrückt worden, also ohne das Präfix „ge-“.

Was die Schöpfer unseres BGB übersehen haben, ist der Umstand, dass das Wort „werden“ sowohl als Vollverb verwendet werden kann (Gesunde werden krank oder eben verrückt), als auch als Hilfsverb in der Passivform (Beklagte werden verurteilt und Grenzzeichen werden von ihrer ursprünglichen Position entfernt, also verrückt). In beiden Fällen wird im Präsens das Verb „werden“ verwendet. Erst im Perfekt unterscheidet die deutsche Sprache zwischen dem Vollverb, das das Präfix „ge-“ bekommt (über den, der irrational handelt, sagt man, er sei verrückt geworden), während das Hilfsverb sich mit einem „worden“ begnügt.

Der Schöpfer eines Slogans, der mit einer solchen bewusst gewählten sprachlichen Unstimmigkeit Aufmerksamkeit für das zu bewerbende Produkt erregt, wird bei seinem Auftraggeber in hohen Ehren stehen, vor allem wenn dieser mit Grenzzeichen handelt. Für die Väter des BGB war dieser Regelverstoß etwas weniger ruhmreich.

Sprache ist eigentlich, wenn wir Wilhelm von Humboldt folgen, das Medium des Denkens schlechthin. Aber die Werbung folgt bekanntlich ihren eigenen Gesetzen. Denken und Gedankenvermittlung sind dort mitunter etwas weniger gefragt. Der Alltag des Wettbewerbsrechtlers ist voll davon: „Geiz ist geil“, „Ich bin doch nicht blöd“ und „For you, vor Ort“ zeichnen sich nur sehr beschränkt durch intellektuellen Scharfsinn aus. Aber sie wirken – gleichwohl oder vielleicht gerade deshalb!

Intellektueller Scharfsinn ist erst gefragt, wenn es darum geht, einen solchen Slogan anzugreifen oder zu verteidigen!

Mephisto schlägt im „Faust“ den Bogen von den Leitlinien des Werbetexters zu dem einen oder anderen Stilmittel schriftsätzlicher Streitkultur, wenn er seinen Schüler Wagner belehrt: „Denn eben wo Begriffe fehlen, da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein. Mit Worten lässt sich trefflich streiten …“

Das klingt gelegentlich auch in Schriftsätzen an. Denn Sprache kann auch manipulieren. Und Richter sind nicht immer gefeit davor. So kommt es, dass man, wenn man nur die Möglichkeiten der Sprache zu nutzen versteht, mitunter auch den schlechteren Argumenten zum Sieg verhelfen kann.

Wie nahe sich die Poesie der Sprache und die Sprache des BGH sein können, verdeutlicht uns in diesem Heft Heinrich Heine, einfühlsam optimiert durch Frau Teplitzky, die ihre Liebe zu der meisterhaften Sprache von Heinrich Heine und ihre Nähe zu den „Wettbewerbsrechtlichen Ansprüchen und Verfahren“ miteinander verschmelzen lässt. Dass das Gedicht „ORACLE“ heißt, ist kein Zufall. Auch Pythias Sprache war dunkel. Der Sinn des delphischen Orakelspruchs musste erst ergründet werden. So soll auch „ORACLE“ den Leser anregen nachzuforschen, welche Botschaft der BGH mit dem so sprechend gewählten und im Gedicht in Majuskeln gesetzten (Kenn-) Wort verschlüsselt hat. Oder anders formuliert: Es soll anregen, die Entscheidungen nachzulesen und so zu ergründen, welche juristischen Erkenntnisse uns der STRAUCHELNDE LIEBLING erschließen kann.

Jede wissenschaftliche Disziplin braucht ihre Fachsprache. Das wichtigste Merkmal der juristischen Fachsprache, heißt es in Wikipedia, ist die Eindeutigkeit (Konkordanz) der WRP 2011, Heft 12, Umschlagteil S. III (4)Begriffe. Das gilt aus den bereits angedeuteten Gründen nicht mit letzter Konsequenz für Schriftsätze. Aber das gilt jedenfalls kompromisslos für den Gesetzgeber – oder sollte es zumindest.

Seit 2.000 Jahren wird schon im allgemeinen Sprachgebrauch bei Personengruppen beiderlei Geschlechts das Maskulinum als Kollektivform verwendet statt einer hölzernen Aneinanderreihung von Feminin- und Maskulinform. Das haben schon die Römer so gehalten, und die deutsche Sprache ist dem gefolgt. Das hat nichts mit männlicher Überheblichkeit zu tun. Es ist nichts weiter als die historisch gewachsene Übereinkunft über die Regeln der Kommunikation.

Der juristische Sprachgebrauch geht sogar noch einen Schritt weiter. Hier steht der Adressat einer Norm sogar im Singular geschlechtsneutral allein im Maskulinum. Der eingangs zitierte § 919 BGB gilt natürlich nicht nur für männliche Grundstückseigentümer – obwohl der Gesetzgeber sich auf die männliche Form „Der Eigentümer kann …“ beschränkt hat statt zu formulieren „Der Eigentümer oder die Eigentümerin eines Grundstücks können ….“.

Im politischen Sprachgebrauch ist das inzwischen ganz anders. Viele Politiker glauben, nur noch die Doppelform „Wählerinnen und Wähler“ verwenden zu dürfen, um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, den weiblichen Teil ihrer Wähler gering zu achten. Das kann als Modetorheit bezeichnet werden oder wertneutral als Eigenart des politischen oder journalistischen Sprachgebrauchs. Für die um Eindeutigkeit der Begriffe bemühte juristische Fachsprache taugt das jedenfalls nicht. Leider hat genau diese höchst überflüssige Modetorheit Eingang in ein sehr modernes Gesetz gefunden. Die Rede ist vom UWG. In § 1 Satz 1 UWG heißt es: „Dieses Gesetz dient dem Schutz der Mitbewerber, der Verbraucherinnen und Verbraucher …“. Hier bezieht der Gesetzgeber ersichtlich den Plural „Verbraucher“ nur auf den männlichen Teil der Bevölkerung. Denn er hält es ja für erforderlich, die „Verbraucherinnen“ zusätzlich zu erwähnen. Konsequenterweise müsste sich also der Schutz des UWG auf männliche Unternehmer beschränken; denn „Mitbewerberinnen“ werden nicht genannt! Und auch bei der Legaldefinition des „Mitbewerbers“ in § 2 UWG erscheint nur die männliche Form: „Jeder Unternehmer, der mit einem oder mehreren Unternehmern als Anbieter oder Nachfrager von Waren oder Dienstleistungen in einem konkreten Wettbewerbsverhältnis steht“.

Da fordert die Politik mehr Frauen in den Chefetagen, aber im UWG fallen die Unternehmerinnen einfach unter den Tisch!

Man kann schon dankbar sein, dass der Gesetzgeber seine Reverenz vor dem Zeitgeist nicht mit dem sprachlichen Monstrum „VerbraucherInnen“ und „UnternehmerInnen“ fortgesetzt hat!

Die juristische Fachsprache verwendet traditionell das Maskulinum geschlechtsneutral als Kollektivform. Die Erwähnung der „Verbraucherinnen“ in § 1 Satz 1 UWG war nicht nur überflüssig. Mit dieser Anleihe bei der wolkigen Sprache der Politik verließ der Gesetzgeber bewusst den juristischen Sprachgebrauch, ohne allerdings den eingeschlagenen Weg konsequent zu Ende zu gehen. Das war ein gravierender handwerklicher Schnitzer, der so rasch als möglich wieder getilgt werden sollte. Das vor 111 Jahren verrückt gewordene Grenzzeichen war demgegenüber allenfalls ein bedeutungsloser Ausrutscher.

Walter Stillner
Dr. Heinz & Stillner Rechtsanwälte, Stuttgart

 
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