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WRP 2017, I
Hofmann 

Rechtsdurchsetzung im Internet – Aufregung um das NetzDG

Abbildung 1

Prof. Dr. Franz Hofmann

Glaubt man so manchem Kritiker des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG), steht der Untergang des Abendlands unmittelbar bevor. Da der Bundestag ein Gesetz verabschiedet hat, durch das namentlich Facebook unter Androhung von Bußgeldern verpflichtet wird, bestimmte rechtswidrige Inhalte zu löschen, genauer: ein Verfahren vorzusehen, wodurch Beschwerden über Verstöße gegen diverse Strafgesetze abgeholfen werden soll, sehen sie die Meinungsfreiheit aufs Äußerste gefährdet. Es drohe Zensur! Sogar der UN-Sonderberichterstatter für Meinungsfreiheit fühlte sich herausgefordert, sich mahnend an Deutschland zu wenden. Es gilt als ausgemacht, dass soziale Netzwerke im Zweifel löschen, statt auch unliebsamen Meinungen Raum zu geben („chilling effect“).

Dabei ist die Plattformverantwortlichkeit keineswegs neu. Längst ist das Privatrecht im Ausgleich der Interessen von Personen, die in ihren Rechten online verletzt wurden, Internetnutzern und Intermediären erprobt. Wenn freilich für die Durchsetzung des Rechts im Internet abschließende Antworten mitnichten gefunden, die Regeln der Online-Kultur längst nicht ausgehandelt sind, besteht im Ausgangspunkt gleichwohl Einigkeit, dass die das Internet dominierenden Vermittler eBay, Google, YouTube oder Facebook bei der Rechtsdurchsetzung herangezogen werden können. Neue Kommunikationsformen, und damit neue Formen der Gefährdung Rechte Dritter, finden ihre Ursache eben auch bei Facebook & Co. Insbesondere sind jene häufig am „besten in der Lage“, Rechtsverletzungen abzustellen. Während die sozial erwünschte Rolle diverser Internetdienstleister durch Haftungsprivilegierungen nach der E-Commerce-RL honoriert wird, werden sie zugleich über das „Notice-and-take-down-Verfahren“ in Verantwortung genommen, sobald sie vom rechtswidrigen Inhalt Kenntnis haben. Das gilt nicht nur für die Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums (Art. 11 S. 3 Enforcement-RL; Art. 8 Abs. 3 InfoSoc-RL). Auch Persönlichkeitsrechtsverletzungen sind nicht hinzunehmen, nur weil sie in der digitalen Welt passieren. Der VI. Zivilsenat hat zu Recht ein „Moderationsverfahren“ entwickelt, wodurch z. B. Bewertungsplattformen für persönlichkeitsrechtsverletzende Nutzerkommentare verantwortlich gemacht werden können (BGH, 25.10.2011 – VI ZR 93/10, WRP 2012, 217 – Blog-Eintrag; BGH, 01.03.2016 – VI ZR 34/15, WRP 2016, 731 – jameda.de). Die Grundsätze mittelbarer Verantwortlichkeit (dazu Hofmann, JuS 2017, 713) gelten nicht nur in Form der „mittelbaren Störerhaftung“, sondern auch über lauterkeitsrechtliche Verkehrspflichten (BGH, 19.03.2015 – I ZR 94/13, WRP 2015, 1326 – Hotelbewertungsportal) oder über die Haftung für ein Unterlassen (BGH, 14.05.2013 – VI ZR 269/12, WRP 2013, 917 – Autocomplete-Funktion).

Das Beschwerdeverfahren nach § 3 NetzDG bringt im Grundsatz damit wenig Neues. Dass ein Anbieter eines sozialen Netzwerks „ein wirksames und transparentes Verfahren (…) für den Umgang mit Beschwerden über rechtswidrige Inhalte“ vorhalten muss, durch welches zu gewährleisten ist, dass der Anbieter des sozialen Netzwerks „unverzüglich von der Beschwerde Kenntnis nimmt und prüft, ob der in der Beschwerde gemeldete Inhalt rechtswidrig und zu entfernen oder der Zugang zu ihm zu sperren ist“, erinnert eher an die „Blog-Eintrag“-Rechtsprechung denn an einen Paradigmenwechsel. Weitergehende Konkretisierungen (etwa zeitliche Vorgaben) einschließlich der Bußgeldvorschriften sind nicht zuletzt als politischer Druck auf soziale Netzwerke zu verstehen. Deutsches Haftungsrecht gilt auch für amerikanische Konzerne.

Dessen ungeachtet ist das Ringen um den Ausgleich zwischen der notwendigen Durchsetzung des Rechts im Internet und der Wahrung der Meinungsfreiheit richtig. Wenn auch der Vorwurf der Privatisierung der Rechtsdurchsetzung überzogen ist (Tageszeitungen entscheiden täglich selbst, was publiziert wird und was nicht), bleibt das Problem des Prognoserisikos: Welcher Inhalt konstituiert eine Straftat im Sinne von § 1 Abs. 3 NetzDG, welcher nicht? Während die Wahrheit einer Tatsachenbehauptung durch eine Stellungnahme des Nutzers leichter eingeschätzt werden kann (§ 3 Abs. 2 Nr. 3a NetzDG), ist für Grenzfälle die Abgabe an Einrichtungen der Regulierten Selbstregulierung vorgesehen (§ 3 Abs. 2 Nr. 3b NetzDG). Gerade in den schwierigen Fällen ist es gut, wenn den Nutzern Beschwerdemöglichkeiten zur Seite stehen (§ 3 Abs. 6 Nr. 4 NetzDG). Genau hierin liegt ein wichtiger Gegenpol zur Löschungsverpflichtung rechtswidriger Inhalte. Auch wenn sozialen Netzwerken ein Eigeninteresse daran unterstellt werden kann, legale Inhalte nicht vorschnell zu löschen (Wie attraktiv wäre eine „Kuschelplattform“ langfristig?), ist es wichtig, Nutzerrechte – ggf. über den Nutzungsvertrag mit Facebook – justiziabel zu machen. Staatliche Gerichte hätten das letzte Wort nicht nur, wenn nicht gelöscht wird, sondern auch, wenn so verfahren wird. Erst recht gilt dies, wenn die direkt betroffenen Privaten den Konflikt selbst austragen könnten (Art. 14 Abs. 3, 4 TMG n. F.).

Prof. Dr. Franz Hofmann, LL.M. (Cambridge)

 
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