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Meisterernst 

Kinderwerbung, Nachhaltigkeit, Gelbwurst – 2024 kann kommen!

Abbildung 1

RA Prof. Andreas Meisterernst

Das Lebensmittelrecht ist bereits ein überregulierter Bereich. Jetzt will und muss die Wirtschaft auch noch nachhaltig werden, wie es die Farm to Fork-Strategie der EU-Kommission postuliert. Reguliert wird aber wie üblich sehr detailverliebt. Beispiele sind zurzeit auf EU-Ebene die geplante Green Claims Directive (COM(2023) 166 final), die bereits beschlossenen Änderungen der UGP-RL (COM(2022) 143 final), die bislang nicht vorgestellte Rahmenverordnung zu nachhaltigen Lebensmittelsystemen, die bereits verabschiedete Verordnung über entwaldungsfreie Produkte (Verordnung (EU) 2023/1115) und das geplante Europäische Pendant zum deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (COM(2022) 71 final).

Gleichzeitig fühlt sich der deutsche Gesetzgeber berufen, das Regelungsgeflecht mit einem Alleingang zum Verbot der Werbung für ungesunde Lebensmittel für Kinder anzureichern. Die unions- und verfassungsrechtlichen Bedenken sind gewichtig, doch wer könnte etwas dagegen haben, wenn übergewichtige Kinder schlanker werden? Dass Werbeverbote dabei etwas bringen, ist zwar nicht geklärt, aber einen Versuch ist es doch wert, oder? Der für den bislang nur geleakten Entwurf verantwortliche grüne Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft Cem Özdemir bemüht in seinen Vorträgen zu dem Gesetzentwurf stets das Schicksal des Marlboro-Manns: So wie sich vor 50 Jahren niemand vorstellen konnte, dass Tabakwerbung verboten werden könnte, werde man in naher Zukunft auch diejenigen belächeln, die sich gegen ein Verbot von Kinderwerbung zur Wehr gesetzt haben. Ob dieser Vergleich zwischen einem per se gesundheitsschädlichen Produkt und allenfalls bei übermäßigem Verzehr gesundheitlich nicht zuträglichen Lebensmitteln valide ist, sei an dieser Stelle dahingestellt: Jedenfalls ist das geplante Kinder-Lebensmittel-Werbegesetz (KLWG) eine Mogelpackung.

Es geht dabei gar nicht um das politisch eingängige Verbot gezielter Ansprache von Kindern (die weitgehend bereits durch bestehende Werberegeln ausgeschlossen ist), sondern um die Durchsetzung umfassender Nährwertprofile, mit denen das WHO-Regionalbüro für Europa erreichen will, dass das Ernährungsverhalten beginnend mit der Jugend umgesteuert wird. Unter die geplanten Werbeverbote fallen daher auch Grundnahrungsmittel wie Müsli, Käse, Ravioli, vegane oder vegetarische Ersatzprodukte, Konfitüre, Ölsardinen und vieles mehr. Zudem sollen die Werbeverbote bereits immer dann greifen, wenn auch Kinder erreicht werden könnten, weil sie z. B. im Kreise der Familie auch Programme mitansehen. Dementsprechend soll z. B. im Fernsehen die Werbung für negativ eingestufte Produkte wochentags von 17 bis 22 Uhr allgemein verboten werden. Die Kinder bis 14 Jahre ansprechende Bewerbung dieser Produkte wird allgemein verboten, natürlich auch in den sozialen Medien. Auch Sponsoring und das Umfeld von Schulen wird erfasst.

Bei alledem fehlt dem zuständigen Ministerium offenbar grundlegend das Verständnis für die Funktion von Werbung. Diese wird wohl generell als überflüssig betrachtet, so wie im häuslichen Bereich der Werbeflyer durch einen Aufkleber am Briefkasten abgewehrt wird. Dass mit dem Werbeverbot aber der Zugang zu Märkten kanalisiert wird, das Verhältnis zwischen Einzelhandel und Markenherstellern neu austariert wird, Innovationen verhindert und en passant die Medienlandschaft durch den Wegfall von Werbeeinnahmen in prognostizierter Höhe von 3,5 Milliarden umgestaltet wird, sind alles Kollateralschäden.

Aber nicht nur der Gesetzgeber kann Großes bewegen, auch die Rechtsprechung. Falls auch Sie sich wundern, dass es immer weniger Frischetheken mit Fleisch- und Wurstwaren in den Supermärkten gibt: Dies liegt an einer Entscheidung des VGH Mannheim (GewA 2019, 153), der deren Betrieb ohne Anwesenheit eines Metzgermeisters handwerksrechtlich für unzulässig hält. Da diese nicht in der nötigen Anzahl zur Verfügung stehen, bleibt dem betroffenen Einzelhandel nur, Frischetheken stillzulegen und abgepackte Ware anzubieten. Diese ist vorportioniert, eingeschweißt, in der Menge nicht variabel – also alles andere als nachhaltig. Wer noch nie eine Frischetheke betrieben hat, kann damit vermutlich besser leben, als derjenige, für den dieses Angebot zum Markenkern zählt. Aber so können wenigstens die Kinder nicht mehr an der Theke mit einer Scheibe Gelbwurst angefixt werden.

Wie dieses kleine Beispiel demonstriert, hat auch das KLWG das Potential, die Lebensmittelwirtschaft disruptiv zu verändern. Die Medien- und Handelslandschaft wird sich verschieben. Influencer werden von Mallorca oder anderen Orten aus posten, Hersteller von Süßigkeiten aus dem EU-Ausland importieren und unter dem Schutz der Warenverkehrsfreiheit werben. Das alles hoffentlich „klimaneutral“ – aber das ist ein anderes Thema.

RA Prof. Andreas Meisterernst, München

 
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