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WRP 2020, I
Schneider/Kremer 

Keine Macht den Plattformen? Zur neuen P2B-Verordnung

Abbildung 1

RAin Nadine Schneider

Abbildung 2

RA Sascha Kremer

Die Verordnung (EU) 2019/1150 zur Förderung von Fairness und Transparenz für gewerbliche Nutzer von Online-Vermittlungsdiensten (kurz „P2B-Verordnung“) ist seit dem 12.07.2020 geltendes Recht in den Mitgliedstaaten. Ziel der Kommission ist es, mit der Verordnung den fairen Wettbewerb durch Transparenz zwischen Online-Plattformen und Online-Suchmaschinen (zusammengefasst als „Online-Vermittlungsdienste“) auf der einen und deren gewerblichen Nutzern auf der anderen Seite zu stärken (ausführlich dazu Alexander, WRP 2020, 945 ff., in diesem Heft).

Mit der P2B-Verordnung setzt die Kommission ihre legislativen Bemühungen im digitalen Sektor fort. Standen bislang Gesetzgebungsvorhaben zum Verbraucherschutz im E-Commerce im Mittelpunkt, rückt jetzt erstmals die Plattformökonomie als Kernbereich der digitalen Transformation in den gesetzgeberischen Fokus. Viele Unternehmen nutzen die Online-Vermittlungsdienste neben den eigenen Unternehmen-Websites als strategisches Instrument zur Erweiterung ihrer Vertriebskanäle.

Heute ist es für Unternehmen ein Leichtes, aus einem gemeinsamen Datenbestand mit allen relevanten Informationen (wie Produkte, Preise und Fotos) mehrere Verkaufskanäle („Sales Channel“) parallel und gleichzeitig zu bedienen, ohne hierfür jeweils eigene Infrastrukturen aufbauen und betreiben zu müssen. Die Bezeichnung hierfür heißt „Headless Commerce“: Die Trennung zwischen E-Commerce (dem eigenen Online-Shop), M-Commerce (der eigenen Shopping-App) und dem Agieren auf virtuellen Marktplätzen (wie eBay und Amazon) entfällt damit.

Da nur wenige Betreiber auf dem globalisierten Markt der Online-Vermittlungsdienste aktiv sind, sind elementare Abhängigkeiten der privaten und gewerblichen Nutzer gegenüber den Diensten und ihren Betreibern entstanden. Diese Abhängigkeiten verdichten sich zunehmend zu Konflikten wegen mangelnder Transparenz von Rankings, Meistbegünstigungsklauseln, Datenzugang, Bereitstellung oder Aussetzung von Diensten oder willkürlichen und gern auch rückwirkenden Änderungen Allgemeiner Geschäftsbedingungen. Ein heute noch essentieller „Sales Channel“ kann so morgen zum Sargnagel für ein Unternehmen werden, wenn dessen eigene Produkte vom Plattformbetreiber kopiert und sodann in den Rankings an der Spitze und preislich günstiger platziert werden.

Die von der Kommission mit der P2B-Verordnung propagierte Lösung folgt einem koregulativen Ansatz, bei dem weniger die materiell-rechtliche Regulierung im Vordergrund steht als vielmehr das Arbeiten mit formellen Transparenzvorschriften. Allein das Verbot einer rückwirkenden Änderung Allgemeiner Geschäftsbedingungen wird in Art. 8 der Verordnung materiell-rechtlich angeordnet. Anregungen des Europäischen Parlaments im Gesetzgebungsverfahren, die „Fairness“ im Wettbewerb mit materiell-rechtlichen Lauterkeitsregelungen zum Leben zu erwecken, fanden jedoch keine weitere Berücksichtigung im Verordnungstext.

Stattdessen mäandert die Verordnung mit ihren vielfältigen Transparenzanforderungen zwischen AGB- und Lauterkeitsrecht, streift ein bisschen das Kartellrecht, touchiert nebenbei auch das Datenschutzrecht, ohne aber dessen Begrifflichkeiten oder Systematik zu übernehmen, um am Ende der alternativen Streitbeilegung Raum zu geben. Dass Zuwiderhandlungen gegen die Transparenzvorschriften nur vereinzelt mit der absoluten Nichtigkeitskeule sanktioniert werden, die Ausgestaltung der Rechtsfolgen im Übrigen aber den Mitgliedstaaten übertragen wird, ohne dass die P2B-Verordnung deren Instrumentarium näher spezifiziert, bestätigt diesen unsteten, heterogenen Eindruck dieser Kodifikation.

Damit drängt sich der Eindruck auf, dass es bei dem ambitionierten, in einem Parforceritt durch das Gesetzgebungsverfahren gepeitschten Vorhaben in der Kürze des Zeit schlicht an der wissenschaftlichen und empirischen Durchdringung der komplexen Strukturen der Plattformökonomie an den Schnittstellen zwischen Vertrags-, Lauterkeits-, Wettbewerbs- und Datenschutzrecht fehlte. Offensichtlich ist auch allen Beteiligten klar, wo nachjustiert werden muss. Dafür spricht, dass schon Anfang 2022 die erste Evaluation der P2B-Verordnung ansteht, deren Inhalte detailliert festgelegt worden sind.

Nichtsdestotrotz ist die von der P2B-Verordnung geforderte Transparenz als erster, tastender Schritt des europäischen Gesetzgebers auf dem Gebiet der Plattformökonomie sehr zu begrüßen, da er vielfältige Aktivitäten in Gang setzen wird: Die Verbraucherverbände werden sich wohl mit Freude und Engagement ihren neuen Aufgaben aus der P2B-Verordnung annehmen und die Umsetzung derselben in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen durch die Online-Vermittlungsdienste überwachen. Die Datenschutzbehörden werden die erforderlichen Aktualisierungen der Datenschutzinformationen begleiten und die Kartellbehörden können auf Grundlage der neuen Transparenzvorschriften ihr Vorgehen gegen Online-Vermittlungsdienste besser orchestrieren. Inwieweit die Regelungen das derzeitige Machtgefälle zu Gunsten der Intermediäre und zu Lasten der gewerblichen Nutzer in der Plattformökonomie auflösen werden, entscheidet sich letztendlich an der Schlagkraft der mitgliedstaatlichen Sanktionen nach Verordnungsverstößen: Transparenz allein verändert keine wirtschaftlichen Asymmetrien.

RAin Nadine Schneider und RA Sascha Kremer, Köln

 
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