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WRP 2015, I
Alexander 

Durchbruch für die private Rechtsdurchsetzung im Kartellrecht?

Abbildung 1

Bereits seit Jahren wurde intensiv über eine europäische Richtlinie zu Schadensersatzklagen bei Kartellrechtsverstößen diskutiert. Ein solches Vorhaben war und ist rechtlich wie politisch heikel: Einerseits ist eine wirksame private Rechtsdurchsetzung zum Schutz des funktionsfähigen Wettbewerbs wünschenswert und sachgerecht. Andererseits birgt ein solches Projekt Risiken und Unwägbarkeiten; es sieht sich vielfältigen Einwänden und Bedenken ausgesetzt. Daher verwundert es nicht, dass sich die Arbeit an der Richtlinie über die Amtszeiten mehrerer EU-Wettbewerbs-Kommissare erstreckte. Bisweilen schien das Vorhaben ganz auf Eis zu liegen.

Nunmehr ist die Richtlinie 2014/104/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. 11. 2014 über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union verabschiedet. Am 05. 12. 2014 wurde sie im Amtsblatt veröffentlicht. Die Richtlinie trat am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung in Kraft (Art. 23) und ist bis zum 27. 12. 2016 umzusetzen (Art. 21 Abs. 1 S. 1).

Gewissermaßen den Stein ins Rollen brachte vor allem die Entscheidung EuGH, 20. 09. 2001 – C-453/99, Slg.2001, I-6297 = ECLI:EU:C:2001: 465 = WRP 2001, 1280 – Courage und Crehan. In dieser Rechtssache stellte der Gerichtshof erstmals grundlegende und konkrete Vorgaben zu Schadensersatzklagen auf. Die Kommission erschloss daraufhin die private Rechtsdurchsetzung als Handlungsfeld. Eine vorbereitende Studie aus dem Jahr 2004 gelangte zu dem (durchaus angreifbaren) Ergebnis, die private Rechtsdurchsetzung bei Kartellrechtsverstößen biete in den Mitgliedstaaten ein Bild von erstaunlicher Diversität und völliger Unterentwicklung. In der Folgezeit legte die Kommission 2005 ein Grünbuch und 2008 ein Weißbuch zu Schadensersatzklagen bei Verstößen gegen EU-Kartellrecht vor. Die weiteren Schritte auf dem Weg zur Richtlinie sind auf den Internet-Seiten der GD Wettbewerb (http://ec.europa.eu/competition/antitrust/actionsdamages/directive_en.html) nachgezeichnet.

Die Richtlinie 2014/104/EU bezweckt die Einrichtung eines unionsweit gleichwertigen Schutzes für jeden, der durch einen Verstoß gegen Kartellrechtsvorschriften einen Schaden erlitten hat (Art. 1 Abs. 1 S. 2), und diesen Schaden vor einem nationalen Gericht geltend macht (Art. 1 Abs. 2). Erfasst sind Zuwiderhandlungen gegen das EU-Kartellrecht sowie gegen nationales Kartellrecht, wenn und soweit dieses parallel zum Unionsrecht angewendet wird (Erwägungsgrund 9 S. 2). In zeitlicher Hinsicht sollen die Vorgaben der Richtlinie nicht für Schadensersatzklagen gelten, die vor dem 26. 12. 2014 bei einem nationalen Gericht erhoben werden (Art. 22 Abs. 2). Eine rückwirkende Übernahme der Richtlinienbestimmungen in das nationale Recht ist ausgeschlossen (Art. 22 Abs. 1).

In sieben Kapiteln stellt die Richtlinie nähere Regelungen zu den materiellrechtlichen und verfahrensrechtlichen Anforderungen an Schadensersatzklagen auf. Das erste Kapitel (Art. 1 bis 4) beinhaltet neben dem Anwendungsbereich und dem Definitionskatalog die Grundaussagen zum Schadensersatz. Diese Grundsätze entsprechen im Kern der bisherigen EuGH-Rechtsprechung. Das zweite Kapitel (Art. 5 bis 8) befasst sich mit der Offenlegung von Beweismitteln. Im dritten Kapitel der Richtlinie (Art. 9 bis 11) finden sich Regelungen zur Bindungswirkung von kartellbehördlichen Entscheidungen, zur Verjährung sowie zur gesamtschuldnerischen Haftung mehrerer Schädiger. Die Problematik der „Abwälzung“ überhöhter Preise wird eingehend im vierten Kapitel (Art. 12 bis 16) behandelt. Das lediglich einen Artikel umfassende fünfte Kapitel betrifft die Ermittlung des Schadensumfangs (Art. 17). Die einvernehmliche Beilegung von Streitigkeiten ist Gegenstand des sechsten Kapitels (Art. 18 und 19). Das letzte Kapitel enthält die Schlussbestimmungen (Art. 20 bis 24).

Aufmerksamkeit verdient, dass zwei besonders umstrittene Bereiche der privaten Rechtsdurchsetzung keinen Eingang in die Richtlinie gefunden haben. So spricht sich die Richtlinie eindeutig gegen einen überkompensatorischen Schadensersatz, z. B. in Form des Strafschadensersatzes, aus (Art. 3 Abs. 3 und Erwägungsgrund 13 S. 3). Außerdem bleibt die kollektive Rechtsdurchsetzung ausdrücklich ausgespart (Erwägungsgrund 13 S. 2). Die Richtlinie sieht daher keine Gruppenklagen oder ähnliche Instrumente vor; sie schließt solche Mechanismen allerdings auch nicht aus.

Aus unionsrechtlicher Sicht bildet die Richtlinie ein vorläufiges Etappenziel in dem Bemühen, die private Rechtsdurchsetzung bei Kartellrechtsverstößen zu stärken. Nach dem schwierigen Start der Richtlinie wird es jetzt die Aufgabe der Mitgliedstaaten sein, die Vorgaben im nationalen Recht mit Leben zu erfüllen. Ihre eigentliche Bewährungsprobe wird die Richtlinie jedoch erst in der Rechtspraxis bestehen müssen.

Prof. Dr. Christian Alexander, Jena

 
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