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WRP 2020, I
Münker 

Corona-Krise – Werbung und Wettbewerbsrecht in Ausnahmezeiten

Abbildung 1

Dr. Reiner Münker

Die sog. Corona-Krise bringt massive wirtschaftliche, teilweise gar existenzgefährdende Einschnitte für die Unternehmen. Seit Mitte März verfolgt die Wettbewerbszentrale daher Rechtsverstöße mit besonderem Augenmaß und spricht Abmahnungen nur in notwendigen Fällen aus, um etwaige Existenzerhaltungsmaßnahmen nicht durch Rechtsdurchsetzungsverfahren zu erschweren. Gleichzeitig weist sie daraufhin, dass gerade in derartigen Krisenzeiten ein Mindestmaß an Fairness und Lauterkeit im Wettbewerb erforderlich ist, um das Funktionieren des Marktes zu gewährleisten. Schwerwiegende Rechtsverstöße im Wettbewerb werden daher weiter geahndet – wie hat es ein betroffener Unternehmer treffend ausgedrückt: „Corona heiligt weder alle Mittel noch wird das Internet dadurch zum rechtsfreien Raum!“

Festzustellen ist, dass nicht nur windige Geschäftemacher mit teilweise betrügerischer Absicht und krimineller Energie in Krisenzeiten versuchen, die Sorgen der Bevölkerung auszunutzen, sondern auch etliche, grundsätzlich als seriös einzustufende Anbieter, mit Corona-bezogenen Aussagen den Absatz ihrer Produkte und Leistungen zu steigern versuchen. Seit Mitte Februar 2020 sind bei der Wettbewerbszentrale hierzu mehr als 100 Anfragen und Beschwerden zu Sachverhalten eingegangen, von denen hier nur wenige angesprochen werden können.

Im Vergleich zu anderen Branchen häufen sich derartige Praktiken naturgemäß im Gesundheits- und Lebensmittelbereich. Ganz subtil wird hier mit den Ängsten der Bevölkerung gespielt: Eine Apotheke warb im Schaufenster mit „Schützen Sie sich mit dem Corona Komplex Z Globuli“, eine andere meinte, ein Gurgelwasser (Kosmetikum) in Anspielung auf die Corona-Krise mit den Worten „Viren fürchten sich vor Blutwurz und Süssholzwurzel“ anpreisen zu müssen. Ein Heilpraktiker bot „(…) Duftbeutel zur Prävention gegen Viren, einschließlich den Coronavirus (…)“ an, ein anderer eine Infusion mit der Aussage „Corona-Virus (…) Vitamin C-Hochdosisinfusion hilft!“. Derartige Werbeaussagen verstoßen gegen das Irreführungsverbot, § 3 HWG.

Darüber hinaus ist auch § 7 HWG zu beachten, der Rabatte und Zugaben in diesem regulierten Bereich verbietet. Kostenlose Fahrdienste zur Praxis, ein kostenloser „Corona-Check“ durch Ärzte oder die altruistisch anmutenden, aber an den Brillenkauf gekoppelten Gutscheine für eine „Danke-Brille“ für „den persönlichen Alltagshelden“ müssen sich also an diesem Verbot messen lassen. Es gelten die Vorschriften des Art. 7 LMIV und der HCVO und damit u. a. ein Verbot krankheitsbezogener Aussagen für Lebensmittel. So hat etwa ein Anbieter versucht, den Produktabsatz mit der Aussage „In Zeiten von Grippe- und Coronavirus deckelt das Lebensmittel – Kokosöl – den viruellen Belastungsdruck“ anzukurbeln. Das LG Gießen hat per Beschluss vom 06.04.2020 (8 O 16/20, WRP 2020, 792 (in diesem Heft) – nicht rechtskräftig) die Werbeaussage „CORONA-INFEKTION: Wie wir uns mit Vitalpilzen schützen können!“ untersagt.

Nicht immer sind Sachverhalt und Rechtslage klar.

Es treten Fragen auf, die sich nur im Einzelfall beantworten lassen: Handelt es sich bei Kopplungsangeboten wie der Abgabe von Masken nur beim Erwerb anderer Produkte und dem Verkauf von eingeschränkt erhältlichen Produkten wie Masken oder Desinfektionsmitteln zu „überhöhten“ Preisen um aggressive Geschäftspraktiken im Sinne des § 4a UWG? Generell herrscht Preisbildungsfreiheit, der Unternehmer kann also nach seiner eigenen Preiskalkulation die Preise bilden. Wie soll der Marktpreis für bestimmte Produkte in der Krise überhaupt festgestellt werden? Hier wird es im Hinblick auf Zwangslage und Marktpreis immer auf den Einzelfall ankommen. Nicht einheitlich zu beantworten ist auch, wie die unterschiedlichen Kategorien der Mundschutzmasken nach Medizinprodukterecht und TextilkennzeichnungsVO richtig zu kennzeichnen sind.

Bereiche, in denen eine persönliche Leistungserbringung oder Anwesenheit vor Ort erforderlich ist, die Leistung aber nunmehr online angeboten wird, werfen ebenso Fragen auf. Darf etwa der Sachverständige in Corona-Zeiten auf die gesetzlich vorgeschriebene „persönliche Inaugenscheinnahme“ verzichten, indem er die Werkstatt bittet, unter seiner „Anleitung“ Fotos per Handy vom Unfallwagen anzufertigen, mit denen er dann sein Gutachten erstellt? Im Fahrschulbereich war etwa umstritten, ob die „Online-Theorieschulung“ ohne konkrete Erlaubnis als Verstoß gegen das FahrlehrerG und damit als Wettbewerbsverstoß anzusehen ist. Dies hat die Wettbewerbszentrale in einer ausführlichen Stellungnahme ausdrücklich bejaht.

Fragen stellen sich ferner im Hinblick auf die sich im Zeitablauf schnell verändernden Verordnungen zur Eindämmung des Corona-Virus (Schließung von Geschäftslokalen). Sie divergieren länder- und zum Teil ortsbezogen und haben unterschiedliche – auch unbestimmte und nicht geklärte – Anforderungen und Ausnahmen je nach Branche und Betrieb zum Inhalt, deren Auslegung je nach Bundesland und zum Teil auch örtlich völlig unterschiedlich erfolgt. Eine Rechtsdurchsetzung stößt nicht nur auf viele Sachverhalts- und ungeklärte Abgrenzungsfragen (Mischbetriebe, Schwerpunktprinzip), sondern etwa im Bereich des § 3a UWG auch an Grenzen, die der BGH in der sog. Atemtest II-Entscheidung (BGH, 24.09.2013 – I ZR 73/12, WRP 2014, 429) vorgegeben hat. Ein Unternehmer darf sich auf die Freigabe und Erlaubnis seiner Geschäftsöffnung durch die zuständige Behörde vor Ort verlassen. Er mag einen Wettbewerbsvorteil haben, handelt aber nicht unlauter.

Im Zusammenhang mit diesen Corona-Verordnungen und ihrer Auslegung zeigt sich letztlich auch Folgendes: angesichts ihrer kurzen Halbwertszeiten sind Versuche der gerichtlichen Rechtsklärung im Rahmen des Wettbewerbsrechts jenseits eines durchaus riskanten einstweiligen Rechtsschutzes dazu verdammt, letztlich nicht mehr als einen in der aktuellen Notsituation der Gewerbetreibenden kaum hilfreichen rechtsgeschichtlichen Beitrag zu liefern, wenn eine Klärung etwa in II. Instanz erst nach vielen Monaten zu erwarten und die betreffende VO schon längst wieder aufgehoben ist. Dies ist anders bei den o. g. Verboten im Lebensmittel- und Heilmittelbereich und der aggressiven Praktiken, die unabhängig von Corona weitergelten.

Dr. Reiner Münker, Bad Homburg

 
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