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WRP 2017, I
Pohlmann 

9. GWB-Novelle: Bitte mehr Rechtssicherheit in intertemporalen Verjährungsfragen!

Abbildung 1

Prof. Dr. Petra Pohlmann

Kartelle werden häufig erst aufgedeckt, nachdem sie jahrelang praktiziert wurden. Kartellschadensersatz wird daher oft für weit zurückreichende Zeiträume verlangt. So sind in Deutschland und anderen EU-Ländern Prozesse anhängig, in denen es um Schadensersatz wegen Kartellverstößen bis in die 1990er Jahre hinein geht. Für sie ist eine verjährungsrechtliche Norm von besonderer Relevanz: Gemäß § 33 Abs. 5 GWB, in Kraft seit dem 01. 07. 2005, wird die Verjährung von Schadensersatzansprüchen nach § 33 Abs. 3 GWB durch ein kartellbehördliches Verfahren gehemmt. Nach § 33h Abs. 6 S. 1 Nr. 1 und 2 des Regierungsentwurfs eines 9. Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 28. 09. 2016 (RegE) soll für den Schadensersatzanspruch aus § 33a RegE dasselbe gelten. Für Ansprüche, die vor dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes entstanden sind (Altansprüche), stellen sich zwei Fragen:

1. Gilt die Hemmungsvorschrift für sie?

2. Hemmt ein Behördenverfahren, das vor Inkrafttreten der Hemmungsvorschrift begann und danach weiterlief, die Verjährung von Altansprüchen ab Inkrafttreten der Hemmungsvorschrift?

Diese Fragen sind höchstrichterlich nicht geklärt. Das OLG Düsseldorf bejahte beide Fragen (29.01.2014 – VI-U (Kart) 7/13, Rn. 156 f. – juris; 18.02.2015 – VI-U (Kart) 3/14, Rn. 130 ff. – juris), mehrere Landgerichte in ganz Deutschland bejahen die erste (LG München I, 27. 07. 2016 – 37 O 24526/14, weitere Urteile bei Fritzsche/Klöppner/Schmidt, NZKart 2016, 501, 502 Fn. 19). Das OLG Karlsruhe verneinte die erste Frage (09. 11. 2016 – 6 U 204/15 Kart (2), WuW 2017, 43). § 33 Abs. 5 GWB betreffe nur die Verjährung eines Anspruchs aus § 33 Abs. 3 GWB. Der BGH habe entschieden, dass § 33 GWB auf Altfälle keine Anwendung finde (BGH, 28. 06. 2011 – KZR 75/10, WRP 2012, 209 Rn. 13 – ORWI). Allerdings bezieht sich die Aussage des BGH inhaltlich nur auf die Anspruchsgrundlage des § 33 Abs. 1 GWB. Unglücklicherweise hat der BGH aber § 33 GWB in toto zitiert. Dieses ungenaue Gesetzeszitat führt zu dem Missverständnis, dass der Hemmungstatbestand des § 33 Abs. 5 nicht für Altansprüche gelte.

Der Gesetzgeber sollte die Rechtsunsicherheit dringend beheben, indem er beide Fragen bejaht. Nur das steht im Einklang mit den allgemeinen Grundsätzen des intertemporalen Verjährungsrechts. Diese sind z. B. in Art. 169 Abs. 1, Art. 229 § 6 Abs. 1, Art. 231 § 6 Abs. 1 EGBGB, § 31 GebrMG, § 147 Abs. 1 PatG, § 70 SGB I normiert. Sie sehen zur ersten Frage vor, dass neue Verjährungsregeln ab dem Stichtag auf Altansprüche anwendbar sind. Die Hemmung richtet sich nur für die Zeit vor Inkrafttreten des neuen Rechts nach den bisherigen Gesetzen, ab diesem Zeitpunkt nach dem neuen Recht. Dahinter steht die Überlegung, dass unverjährte Alt- und Neuansprüche denselben Verjährungsregeln unterliegen sollen. Man will aus Gründen der Rechtsvereinfachung und -sicherheit nicht über Jahre hinweg verschiedene Varianten des Verjährungsrechts für alte und neue Ansprüche parallel mitführen.

Speziell bei der Hemmung entspricht es – im Zusammenhang mit der zweiten Frage – allgemeinen Grundsätzen, hemmende Dauertatbestände wie das behördliche Kartellverfahren, die stichtagsübergreifend bestehen, auch hemmend wirken zu lassen, wenn sie bereits vor dem Inkrafttreten der Hemmungsnorm begannen. Die Hemmung beginnt mit Inkrafttreten des neuen Hemmungstatbestands (vgl. Rauscher, in: Staudinger, Neubearbeitung 2016, Art. 231 § 6 EGBGB Rn. 38, 39; KG, 05. 06. 2008 – 8 U 213/07, ZEV 2008, 481, 482; Grothe, in: Münchener Kommentar zum BGB, 5. Aufl. 2010, Art. 229 § 6 Rn. 6; Budzikiewicz, AnwBl. 2002, 394, 399).

Die Übergangsregelung des § 186 Abs. 3 RegE verwirklicht diese Grundsätze nur teilweise:

1§ 33h ist auch auf bestehende Unterlassungs-, Beseitigungs- und Schadensersatzansprüche nach § 33 in der bis zum [Datum des Tages, der dem Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes vorangeht] geltenden Fassung anzuwenden, die am [Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes] noch nicht verjährt waren. 2Der Beginn, die Hemmung, die Ablaufhemmung und der Neubeginn der Verjährung bestimmen sich jedoch nach den bisherigen Verjährungsvorschriften.“

Satz 1 überzeugt. Allerdings sollte klargestellt werden, dass das neue Verjährungsrecht auch für unverjährte Ansprüche aus älteren, inhaltlich vergleichbaren Anspruchsgrundlagen gilt (z. B. § 35 GWB oder § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit dem EU-Kartell- oder Machtmissbrauchsverbot). Das kann in der Begründung oder im Wortlaut – „(…) aus Kartellverstößen (…)“ statt „nach § 33 in der bis zum (…) geltenden Fassung“ – geschehen.

Satz 2 weicht nicht nur von den Grundsätzen des intertemporalen Verjährungsrechts ab, indem er § 33h Abs. 6 RegE auf unverjährte Altansprüche für unanwendbar erklärt und so für unverjährte alte und neue Ansprüche unterschiedliche Regeln aufstellt. Die Vorschrift ist auch ungerecht. So käme z. B. die Jahresfrist des § 33 Abs. 6 S. 2 RegE nur neuen Ansprüchen zugute, während für Altansprüche die Sechs-Monats-Frist des § 204 Abs. 2 S. 1 BGB gälte.

§ 186 Abs. 3 S. 2 RegE sollte daher wie folgt gefasst werden:

Der Beginn, die Hemmung, die Ablaufhemmung und der Neubeginn der Verjährung bestimmen sich jedoch für die Zeit vor [Datum des Inkrafttretens der 9. GWB-Novelle] nach den bisherigen Verjährungsvorschriften.

Auch sollte in Gesetz oder Begründung klargestellt werden, dass die Hemmung ab dem Inkrafttreten der Novelle auch greift, wenn das behördliche Verfahren vorher eröffnet wurde. Schließlich sollte die Begründung ausführen, dass man mit diesen Regeln das normiert, was sich für das Übergangsrecht zur 7. GWB-Novelle von 2005 schon aus allgemeinen Grundsätzen ergab. Der Gesetzgeber könnte so vermeiden, dass über diese Rechtsfragen im In- und Ausland noch jahrelang prozessiert werden muss.

Prof. Dr. Petra Pohlmann, Münster

 
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