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Stahlschmidt 

Die Manipulation von Kassensystemen – oder: “Der Hase und der Igel”

Abbildung 1

Ab dem 1.1.2017 sind Unterlagen, die mittels elektronischer Registrierkassen, Waagen mit Registrierkassenfunktion, Taxametern und Wegstreckenzähler erstellt worden sind, für die Dauer der Aufbewahrungsfrist jederzeit verfügbar, unverzüglich lesbar und können maschinell auswertbar aufbewahrt werden. Das Gesetz zum Schutz vor Manipulationen an digitalen Grundaufzeichnungen vom 22.12.2016 (BGBl. I, 3152) statuiert eine Einzelaufzeichnungspflicht. Diese Einzelaufzeichnungspflicht bedeutet, dass es verpflichtend ist, Geschäftsvorfälle laufend zu erfassen, einzeln festzuhalten sowie aufzuzeichnen und aufzubewahren. So soll sichergestellt werden, dass die einzelnen Geschäftsvorfälle in ihrer Entstehung und Abwicklung verfolgbar sind. Flankiert wurde dieses Gesetz mit der am 1.1.2018 eingeführten Maßnahme der sog. Kassen-Nachschau. Seit 1.1.2020 müssen elektronische Aufzeichnungssysteme über eine zertifizierte technische Sicherheitseinrichtung verfügen, die aus drei Bestandteilen besteht, nämlich einem Sicherheitsmodul, einem Speichermedium und einer digitalen Schnittstelle. Das Sicherheitsmodul protokolliert den Aufzeichnungsvorgang. Die Speicherung über den Zeitraum der gesetzlichen Aufbewahrungsfrist übernimmt das Speichermedium. Die Schnittstelle dient schließlich zur Datenübertragung für Prüfungszwecke. Mit diesen Maßnahmen sah sich der Gesetzgeber gut aufgestellt, die Probleme der bargeldintensiven Betriebe über Elektronik in den Griff zu bekommen. Steuerpflichtige, die elektronische Aufzeichnungssysteme verwenden, müssen seit dem 1.1.2020 die Art und Anzahl der im Unternehmen eingesetzten elektronischen Aufzeichnungssysteme und der zertifizierten technischen Sicherheitseinrichtungen dem zuständigen Finanzamt mitteilen.

Wie nun ein Fall in Oldenburg zeigt, scheint die Technik Teil der Lösung und zugleich Teil des Problems zu sein. Die bei der Staatsanwaltschaft Oldenburg ansässige Zentralstelle für Wirtschaftsstrafsachen hat gegen einen 39-jährigen wegen des Vorwurfs der Beihilfe zur Steuerhinterziehung in fünf Fällen sowie der Beihilfe zum Fälschen technischer Aufzeichnungen in 189 Fällen Anklage zur Wirtschaftsstrafkammer vor dem Landgericht Osnabrück erhoben. Der Angeklagte soll faktischer Geschäftsführer einer in Frankfurt ansässigen Firma sein, die Kassen für die Gastronomie entwickelt. Sie vertrieb die Kassen selber und über Dritte. 189 Kunden sollen in der Zeit von Mai 2016 bis März 2021 mit Kassensystemen beliefert worden sein. Diese Kassen mussten selbstverständlich über die oben näher beschriebenen technischen Eigenschaften verfügen, was sie auch taten. Der Service des Angeklagten ging aber noch weiter: Er lieferte gleich noch eine App mit, mittels der in erheblichem Umfange die Umsätze manipuliert werden konnten, um so schlussendlich Steuerhinterziehung zu ermöglichen. Die App war in der Lage, bereits erfasste Gästezahlungen aus den Kassendaten wieder zu löschen. Angeboten wurde das System bundesweit an über 470 Kunden. Polizeibeamte durchsuchten im Auftrag der Staatsanwaltschaft Oldenburg im März 2021 bundesweit die über 470 Kunden und stellten die Kassensysteme nebst Mobilgeräten mit der Manipulations-App sicher. Beamte der Steuerfahndung Oldenburg werteten die Kassensysteme aus und stellten fest, dass in 95 % der Kassen Hinweise auf Datenmanipulation feststellbar waren. Die hinterzogenen Steuern werden auf ca. 140 Mio. Euro geschätzt. Bei den Haupttätern, den Kassennutzern, steht neben dem Straftatbestand der Steuerhinterziehung auch der Straftatbestand des Fälschens technischer Aufzeichnungen im Raum. 460 Kassennutzer, die sich nicht im Zuständigkeitsbereich der Staatsanwaltschaft Oldenburg befinden, sehen sich nun durch die örtlich zuständigen Staatsanwaltschaften der Strafverfolgung ausgesetzt und das selbstverständlich zu Recht! Auch das Bundeszentralamt für Steuern ist involviert. Anders als das Betrugssystem der Marke “Multiway”, welches speziell für asiatische Buffetrestaurants vertrieben wurde, ist das hier in Rede stehende System gastronomieoffen. Die Herstellerfirma in Frankfurt sieht sich nun mit der Einziehung der Erlöse aus dem Verkauf der Kassensysteme konfrontiert. Die Höhe soll bei ca. 1 Mio. Euro liegen. Fünf Gastronomen aus dem Raum Papenburg, Leer, Ganderkesee, Haselünne und Wilhelmshaven wird vorgeworfen, ca. 884 033 Euro an Steuern mit Hilfe des Kassensystems des Angeschuldigten hinterzogen zu haben. Keinesfalls soll die kriminelle Energie, die hinter den Manipulationssystemen steht, verniedlich werden, aber irgendwie erinnert es an die Fabel der Brüder Grimm “Der Hase und der Igel”.

Prof. Dr. iur. Michael Stahlschmidt, M.R.F., LL.M., MBA, LL.M., RA/FAStR/FAInsSanR/FAMedR/StB, Dipl.-Betriebswirt/FH, lehrt an der FHDW Paderborn Steuerrecht, Rechnungswesen und Controlling und ist Ressortleiter des Ressorts Steuerrecht des Betriebs-Berater und Chefredakteur Der SteuerBerater, Frankfurt am Main/Medebach.

 
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