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(Nicht-)Besteuerung virtueller Wertschpfungen oder wie man Wettbewerber aushebelt

Abbildung 1

Man muss kein studierter konom sein, um festzustellen, dass sich die Geschftsmodelle internationaler Konzerne immer strker auf virtuelle Leistungen beziehen. Whrend sich am Anfang des sog. “e-commerce” die Geschftsanbahnung und die Abrechnung elektronisch vollzogen, werden auch die Geschftsgegenstnde selbst immer virtueller. Auf den Kauf von Gegenstnden ber das Internet (z. B. Bcher) folgte der Erwerb von Lizenzen ber das Internet (z. B. fr Musik) und erreicht in rein virtuellen Dienstleistungen wie online-Casinos oder -Werbung, insbesondere in Suchmaschinen, auf Immobilien- oder PKW-Brsen und Partnerschaftsbrsen seinen vorlufigen Hhepunkt. Aufgrund der mobilen Dienstleistung und ihrer mobilen Vermittlung ber Lizenzsysteme knnen die handelnden Unternehmen letztlich bestimmen, in welcher Steuerjurisdiktion die Wertschpfung anfllt. Aus der Sicht der Unternehmen nutzen diese das Steuergeflle, das insbesondere bei Prferenzregimen entsteht, fr bestimmte Einknfte aus. Vornehmlich geschieht dies bei passiven Einknften, wie Lizenzen oder Kapitaleinknften.

Die Auswertung von Geschftsberichten IT-lastiger internationaler Unternehmen zeigt eine deutlich niedrigere Steuerbelastung ihrer Auslandseinknfte gegenber ihrer Stammsitz-Besteuerung. Zwar stand in den internationalen Organisationen, vor allem in der Organisation fr wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD), schon immer die faire Besteuerung internationaler Konzerne auf der Agenda. Doch zeigt sich, dass das internationale Steuerrecht bisher keine insgesamt befriedigenden Regelungen fr die Aufteilung zunehmend virtueller Wertschpfungen gefunden hat. Aus diesem Grund hat die OECD im Juni 2012 beschlossen, ein weitreichendes Projekt – “Tax Base Erosion and Profit Shifting” (BEPS) – zur Frage der fairen Besteuerung von multinational ttigen Unternehmen zu initiieren.

Aufgrund der unterschiedlichen nationalen Steuergesetze gibt es fr multilaterale Konzerne weltweit steuerlich begnstigende Regelungen, die auch durchaus vom jeweils nationalen Gesetzgeber gewollt sind. Aus Sicht der USA bestehen z. B. Gewinnverlagerungsmglichkeiten darin, dass im Ausland erzielte Einknfte im niedrig oder nicht besteuernden Ausland belassen werden. Auf diese Einknfte kann die US-Steuerverwaltung nach derzeitigem US-Recht zumindest so lange nicht zugreifen, bis sie repatriiert werden. Im Gegensatz zu den USA greift Deutschland bereits mit den bestehenden Steuergesetzen auf im Ausland erzielte passive Einknfte aufgrund der Hinzurechnungsbesteuerungsregelungen in den §§ 7 ff. AStG zu. Dem in der Fachliteratur benannten “Google-Lizenzmodell” via Bermuda knnten die USA also allein mit nationaler US-Steuergesetzgebung entgegenwirken.

Auf der anderen Seite gab es auch noch fr deutsche – international agierende – Unternehmen Mglichkeiten, ihre Steuerbemessungsgrundlagen zu mindern. Diese bestehen insbesondere in der Kombination von unterschiedlichen steuerlichen Regelungen in verschiedenen anderen Staaten. Im Ergebnis kann dadurch erreicht werden, dass Einknfte gar nicht besteuert, Aufwendungen doppelt abgezogen oder in einem ersten Staat abgezogen und in einem zweiten Staat nicht als Einknfte klassifiziert werden. Deutschland reagiert jeweils konsequent gesetzgeberisch mit der berarbeitung seiner Doppelbesteuerungsabkommen sowie zwischenzeitlich durch Erweiterungen des § 50 d EStG.

Die Bundesregierung hat an der Aufarbeitung und Lsung der Problematik schon lange ein besonderes Interesse. Auch sehr flexible multinationale Unternehmen mssen sich am Steueraufkommen der Staaten, in denen sie Wertschpfung erzielen, beteiligen. Diese Unternehmen drfen aufgrund ihrer internationalen Aufstellung keine Wettbewerbsvorteile im Vergleich zu rein national aufgestellten Unternehmen beanspruchen. Zur Erhaltung eines wettbewerbsfhigen deutschen Steuerstandorts muss hier ein internationales Gleichgewicht durch international abgestimmte, einheitliche Standards hergestellt werden – ein sog. “level playing field”. Genau aus diesem Grund hat der Bundesminister der Finanzen, Dr. Wolfgang Schuble, dieses Thema zusammen mit seinen Amtskollegen aus Frankreich und Großbritannien auf die internationale Agenda gebracht. Er setzt sich fr internationale Standards ein, die durch vergleichbare steuerliche Wettbewerbsbedingungen zu mehr Steuergerechtigkeit fhren sollen. Gleichzeitig stellen solche Standards sicher, dass der an sich wettbewerbsfhige deutsche Steuerstandort erhalten bleibt.

Bemerkenswert an der gegenwrtig gefhrten Diskussion ist, dass international ein erhebliches politisches Momentum erreicht worden ist, um diese Probleme anzugehen und einen Konsens zu erzielen. Es besteht daher die Chance, dass einzelne Staaten sich diesem Trend nunmehr bloß schwer entziehen knnen und es daher zu Fortschritten kommen wird. Nachdem steuerliche Intransparenz politisch gechtet und rechtlich beendet wurde, ist bei konsequentem politischen Druck hnliches bei unangemessenen Steuerprferenzregimen einzelner nationaler Staaten zu erwarten. Der jeweilige Staat hat dann potenzielle Mehreinnahmen durch Prferenzregime einem mglichen politischen Reputationsschaden gegenberzustellen und politisch zu bewerten.

Im Juni 2013 soll der Fiskalausschuss der OECD einen Aktionsplan verffentlichen, der die vorzunehmenden Maßnahmen zur Anpassung bzw. nderung der internationalen Standards enthlt. Die Projektarbeit der OECD wird von drei Arbeitsgruppen ausgefhrt:

(1) Abwehrmaßnahmen, Verhinderung doppelter Nichtbesteuerung und steuerschdliche Regimes;

(2) Besteuerungsrechte nach Doppelbesteuerungsabkommen;

(3) Verrechnungspreise, insbesondere in Zusammenhang mit immateriellen Wirtschaftsgtern.

Deutschland hat den Vorsitz in der ersten Arbeitsgruppe.

Als Fazit bleibt festzuhalten: Wer die beschriebenen legalen Steuervermeidungsstrategien internationaler Unternehmen auch weiterhin fr legitim hlt, spricht sich inzidenter politisch dafr aus, die daraus entstehende Wettbewerbsverzerrung zu Lasten jeweils national agierender und vor Ort Steuern zahlender Unternehmen zu akzeptieren.

Michael Sell, Steuerabteilungsleiter im BMF, Berlin

 
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