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RIW 2006, 1
Leible 

Neues Internationales Vertragsrecht für Europa – Der Vorschlag für eine Rom I-VO

Abbildung 1

Verträge sind das Herzstück grenzüberschreitenden Wirtschaftens und die Regeln des Internationalen Vertragsrechts für die Marktteilnehmer daher von besonderem Interesse. Diese Regeln müssen im Binnenmarkt einheitlich sein, würde doch der Kläger ansonsten nachgerade zum Forum Shopping eingeladen, da ihm die Europäische Gerichtsstands- und Vollstreckungsverordnung (EuGVVO) häufig die Wahl zwischen verschiedenen Gerichtsständen lässt. Einheitlichkeit gewährleistete bislang das Europäische Schuldvertragsübereinkommen von Rom aus dem Jahre 1980 (EVÜ). Seine Tage sind indes gezählt. Es soll nach den Vorstellungen der EG-Kommission in eine EG-Verordnung, die sog. Rom I-VO, überführt werden. Das Gesetzgebungsverfahren wurde mit Vorlage des “Vorschlags für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I)” am 15. 12. 2005 eingeleitet (KOM [2005] 650 endg.).

Der Vorschlag der Kommission möchte das europäische Internationale Vertragsrecht nicht revolutionieren, sondern behutsam fortentwickeln. Denn das EVÜ hat sich in der Praxis bewährt. Gleichwohl sind einige bedeutsame Änderungen vorgesehen. Zukünftig soll – zwar in engen Grenzen, aber immerhin – die Wahl nichtstaatlichen Rechts möglich sein, die Ausweichklausel des Art. 4 Abs. 5 S. 2 EVÜ gestrichen und eine Rechtswahl bei Verbraucherverträgen ausgeschlossen werden. Geplant ist außerdem die Schaffung im EVÜ bislang nicht enthaltener Anknüpfungsregeln für Vertreterverträge, die dinglichen Wirkungen einer Zession, Gesamtschulden und die gesetzliche Aufrechnung.

Der sachliche Anwendungsbereich soll im Wesentlichen unverändert bleiben. Das ist vor allem deshalb bedauerlich, da das Grünbuch zu einer Rom I-VO (KOM [2002] 654 endg.) die Hoffnung weckte, der allgemein als unbefriedigend empfundenen Zersplitterung des Kollisionsrechts für Versicherungsverträge könnte alsbald ein Ende bereitet werden. Diese Hoffnung wird, wie Art. 22 lit. a i.V. m. Anhang I deutlich macht, bitter enttäuscht. Überhaupt nicht überzeugend ist außerdem die Ausnahme von “Verpflichtungen aus einem vorvertraglichen Rechtsverhältnis” (Art. 1 Abs. 2 lit. i). Damit wird eine vom EuGH für das Prozessrecht entwickelte und an sich schon kritikable Rechtsprechung ohne weitere Reflexion auf das Vertragsrecht übertragen und gesetzlich fixiert. Korrekturmöglichkeiten bleiben dann keine mehr.

Das tragende Element der Rom I-VO ist nach wie vor die Parteiautonomie. Sie wird sogar erweitert. Die Parteien sollen künftig auch “auf internationaler oder Gemeinschaftsebene anerkannte Grundsätze und Regeln des materiellen Vertragsrechts wählen” können (Art. 3 Abs. 2). Das ist zu begrüßen, ist doch der Gerechtigkeitsgehalt derartiger Regelungen nicht geringer als der staatlichen Rechts. Ausgeschlossen bleibt damit nach wie vor die Wahl einer diffusen “lex mercatoria”. Aufgewertet werden jedoch Regelwerke wie die “Principles of European Contract Law” oder die “UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts”. Deutlich erkennbar ist außerdem das Bestreben der Kommission, die Wahl eines künftigen “Common Frame of Reference” zu ermöglichen. Über die Attraktivität dieser Weiterung wird der Markt entscheiden.

Art. 3 soll außerdem um eine Binnenmarktklausel ergänzt werden. Danach berührt die Wahl drittstaatlichen Rechts die zwingenden Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts nicht, wenn sie “im konkreten Fall anwendbar wären” (Art. 3 Abs. 5). Eine etwas präzisere Umschreibung hätte man sich freilich gewünscht, zumal selbst zwingendes Richtlinienrecht mangels horizontaler Wirkung von Richtlinien zwischen Privaten gar nicht anwendbar sein kann. Gemeint ist wohl die Anwendung derjenigen nationalen Umsetzungsnormen, die beim Fehlen einer Rechtswahl nach Art. 4 aufgrund objektiver Anknüpfung zum Zuge gekommen wären.

Die objektive Anknüpfung soll im Grundsatz unverändert bleiben. Man hält zu Recht am Prinzip der charakteristischen Leistung fest. Einige neue Regelbeispiele kommen hinzu, so etwa – zur Korrektur einer fehl gehenden französischen Rechtsprechung – für Vertriebsverträge in Art. 4 Abs. 1 lit. h. Darüber, ob angesichts der Auslegungszuständigkeit des EuGH überhaupt Regelbeispiele erforderlich sind, kann man trefflich streiten. Das sind freilich nur Quisquilien. An die Substanz geht hingegen die vorgesehene Streichung der Auswahlklausel des Art. 4 Abs. 5. Damit schüttet die Kommission das Kind mit dem Bade aus. Der Wunsch nach mehr Rechtssicherheit ist zwar verständlich, doch ließe sich dem unerfreulichen Heimwärtsstreben zahlreicher (vor allem englischer) Gerichte auch mit einer deutlich restriktiveren Formulierung der Ausweichklausel begegnen. Denn als Korrektiv der statischen Momente des Art. 4 ist sie unverzichtbar, wenn die Anknüpfung zu einem aus kollisionsrechtlicher Sicht sachfernen Recht führt, obgleich tatsächlich ein sachnäheres Recht ermittelbar ist. Bei Arbeitsverträgen möchte daher auch die Kommission – sachlich richtig, aber inkonsequent – an einer Korrekturmöglichkeit festhalten (vgl. Art. 6 Abs. 3).

Grundlegend umgestaltet werden soll die Anknüpfung von Verbraucherverträgen. Die Möglichkeit einer Rechtswahl entfällt. Anzuknüpfen ist allein objektiv. Das ist angesichts der bei Geltung fremden Rechts stets bestehenden Informationsprobleme des Verbrauchers überzeugend. Weniger überzeugend gelingt hingegen die Anpassung des Anwendungsbereichs des Art. 5 an den des Art. 15 EuGVVO. Zu bemängeln ist vor allem die unvollkommen allseitige Ausgestaltung der Norm. Art. 5 schützt nur Verbraucher mit gewöhnlichem Aufenthalt in einem Mitgliedstaat. Zurückführen lässt sich das wohl auf eine etwas unreflektierte Übernahme des Wortlauts von Art. 15 EuGVVO, für die es aber überhaupt keinen sachlichen Grund gibt. Hier sollte dringend nachgebessert werden.

Bereits diese wenigen Beispiele haben gezeigt, dass der Diskussionsbedarf noch groß ist. Mit einer raschen Verabschiedung der Rom I-VO ist daher nicht zu rechnen. Eile wäre auch schädlich, will gut Ding doch Weile haben. So lange lässt sich auch noch mit dem EVÜ leben.

Professor Dr. Stefan Leible, Jena

 
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