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RIW 2021, I
Schunder-Hartung 

Mehr als McDonald's: Bryter & Co verändern das Anwaltsgeschäft

Abbildung 1

Die digitale Revolution kommt im anwaltlichen Kerngeschäft gerade an

Während im Bankengeschäft FinTechs schon vor Jahren Einzug gehalten haben, vollzieht sich die digitale Transformation im juristischen Bereich eher zögerlich. Das Anwaltsgeschäft, so eine beliebte Argumentation, sei jedenfalls am oberen Ende derart kompliziert, dass man um die eigenen Mandate nicht zu fürchten brauche. Das ist schlicht Hybris – denn was wir im Kern tun, ist das Verarbeiten von Sachverhalten (“Daten”) mit Hilfen von Regeln zu neuen Ergebnissen. Nichts anderes bewerkstelligen auch automatisierte Systeme, je differenzierter, d. h. mit je cleverer (von sachkundigen Kolleginnen und Kollegen) geschriebenen Algorithmen, desto besser. Dabei geht es keineswegs nur um das Durchsuchen großer Vertragsdokumente bzw. – um ein lange zitiertes Lieblingsbeispiel zu nennen – um die Erleichterung von Due Diligences. Daneben ist an das Herausfiltern strukturierter Informationen z. B. aus Arbeitsverträgen oder im Immobilienrecht zu denken. Wirklich spannend wird es, sobald KI-artige Systeme Entscheidungsvorhersagen und Risikobewertungen treffen können. Bei hinreichend guter Datenbeschaffung dringen sie damit in den innersten Bereich der Rechtsfindung vor.

Vor diesem Hintergrund hat im April eine Meldung über das Frankfurter Legal Tech-Unternehmen Bryter aufhorchen lassen, das schon seit seiner Gründung vor rund drei Jahren mit Tools zur Entscheidungsautomation von sich reden gemacht hat und so prominente Unternehmen wie McDonald's und Telefónica zu seinen Kunden zählt. Von US-Investoren hat Bryter umgerechnet knapp 60 Mio. Euro erhalten und ist jetzt insgesamt etwa 400 Mio. Dollar wert – Aufstieg in die Einhörnerliga nicht ausgeschlossen. Die Förderer setzen auf eine Plattformstruktur, die für die Rechtskunden Abläufe automatisiert, die sonst von Rechtsabteilungen übernommen worden wären . . . oder eben von Anwaltskanzleien. Geschätzte 100 Kunden im Bestand, Tendenz steigend: Das bedeutet einen entsprechenden Mandatsverlust auf der Kanzleiseite. Für den szenekundigen Beobachter wenig erstaunlich, waren es in dieser Situation gerade die Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, die recht frühzeitig mit einer Umarmungsstrategie reagiert haben. Einer unserer Autoren aus dem Werk Schulz/Schunder-Hartung, Recht 2030 (2019), hat das mit den Worten auf den Punkt gebracht: “Embrace the Revolution”. Gerade diejenigen Einheiten, die selbst mit entsprechenden Systemen experimentierten, nahmen dann zusätzlich auch noch die Dienste des Softwarehauses in Anspruch. Nicht, dass es sich dabei um die einzige Lösung handeln würde. Hoch renommiert ist beispielsweise die Software des kanadischen Unternehmens Kira Systems. Es gibt aber auch Eigenlösungen deutscher Sozietäten. So ist z. B. aus einem sehr fortschrittlichen Anwaltsmittelständler heraus mit Clarius.Legal in Hamburg ein externer Anbieter entstanden, der weitreichende Legal Tech-Lösungen anbietet. Andere Sozietäten berichten von der Entwicklung und dem Einsatz eigener Programmierlösungen, die sie fortwährend weiter optimieren.

Je besser die Analyseresultate entsprechender Softwareanwendungen werden, umso weiter entfernen sie sich von Status der Hilfstechnologie. Bei graduellen Zeit- und Kostenersparnissen wird es vor diesem Hintergrund nicht bleiben. Sie werden Entscheidungstechnologien! Unsere Auftraggeber kennen sie, und unsere Auftraggeber haben die Wahl: Inwieweit müssen sie künftig überhaupt noch outsourcen? Und wenn ja, an Anwaltskanzleien outsourcen? In welchem Ausmaß, wie stark segmentiert? Das versetzt uns Anwälte als Berufsstand in eine zunehme Sandwichposition, als hätten wir mit der Covid-Krise und den Herausforderungen rund um den immer stärker abweichenden Wertekodex der nachrückenden Anwaltsgeneration nicht schon genug zu tun. Allerdings gewährt uns, um es mit dem bekannten israelischen Historiker Y. N. Harari zu formulieren, die Geschichte keinen Rabatt. Den werden wir Anwälte durch einen geschickten strategischen Mix schon selbst herausarbeiten müssen. An einem soliden Legal Tech-Konzept führt da kein Weg vorbei – allerdings auch nicht an einer passenden Gesamtaufstellung, in die das Ganze eingebunden ist. Wer können und wollen sie denn als Sozietät, als Anwältin und Anwalt im immer noch jungen Jahrzehnt sein und werden? Was soll die Anwälte in den Augen aller Interessierten (weiterhin) so attraktiv machen, dass die Mandanten ihnen erhalten bleiben? Ein bewährter Wegweiser ist hier beispielsweise SAM, ein Akronym für systematisches Arbeiten in klaren Strukturen, das Anwenden agiler Arbeitsprozesse und Praktizieren multimedialer Darstellungsweisen (dazu im Einzelnen Schunder-Hartung/Kistermann/Rabis, Strategien für Dienstleister, 2021).

Letztlich müssen wir Anwälte uns im Zuge der digitalen Transformation alle neu erfinden – übrigens, dies nur am Rande, vielleicht auch in standesrechtlicher Hinsicht. Dort ist die Beteiligung von Finanzinvestoren an Kanzleien heute noch immer ein No-Go. Aber womöglich sollten wir auch hier Bryter & Co als Anschubhilfe “embracen”.

Dr. Anette Schunder-Hartung, Rechtsanwältin, Frankfurt a. M.

 
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