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RIW 2012, 1
Breckheimer 

“Lex Vodafone”? – Indien verunsichert ausländische Investoren

Abbildung 1

Ausländische Investoren beobachten mit Spannung den “Fall Vodafone” und die rechtlichen und politischen Weiterungen, die dieser in Indien nimmt:

Dabei hatte man bei Vodafone, im indischen Markt drittgrößter Mobilfunkanbieter, zunächst aufgeatmet: Im Januar 2012 entschied der indische Supreme Court zu Gunsten von Vodafone, dass der Konzern keine Steuern in Höhe von 2,2 Mrd. US-Dollar nachzahlen muss. Der mehrjährige Rechtsstreit zwischen Vodafone und den indischen Steuerbehörden schien damit beigelegt. Hintergrund war der Kauf des indischen Mobilfunkunternehmens Hutchison Essar Limited, einer Tochtergesellschaft von Hutchison Whampoa, im Jahr 2007. Die 11 Mrd. US-Dollar-Übernahme wurde seinerzeit über die Cayman-Inseln abgewickelt. Indische Steuerbehörden wollten die Kapitalgewinne aus dieser Übernahme besteuern. Vodafone verweigerte dies mit der Begründung, dass weder Vodafone noch Hutchison Essar Limited ihren Sitz in Indien hätten und es sich daher um eine Transaktion zwischen zwei ausländischen Unternehmen handele. Außerdem sei eine eventuell anfallende Steuer nach anwendbarem Recht allenfalls vom Verkäufer, nicht aber vom Käufer zu zahlen – der Gewinn sei auf Seiten von Hutchison entstanden.

Dieser Auffassung trat der High Court in Mumbai in erster Instanz jedoch entgegen. Die Forderung der indischen Steuerbehörden sei berechtigt, da vorliegend ein Großteil der capital assets in Indien liege und nach lokalem indischem Recht in dieser Konstellation der Käufer steuerpflichtig sei. Der von Vodafone angerufene Supreme Court hingegen entschied im Januar 2012 anders. Da nur capital assets, die sich tatsächlich in Indien befinden, versteuert werden könnten, es sich aber vorliegend um eine “bonafide offshore transaction” zwischen zwei ausländischen Unternehmen handele, sei keine Steuerpflicht gegeben. Voraussetzung sei jedoch, dass die Transaktion “auf redliche Weise” (bonafide) vollzogen und Strukturen für “legitime Wirtschaftsziele” (legitimate business purposes) geschaffen wurden. Dies wurde im aktuellen Fall bejaht. Gegen diese Entscheidung des Supreme Court legten die indischen Steuerbehörden umgehend eine review petition ein.

Damit aber nicht genug der Unsicherheit für Vodafone: Im März 2012 präsentierte die indische Regierung das aktuelle “Union Budget 2012” und damit eine Reihe von Maßnahmen, die vornehmlich der Ankurbelung der indischen Wirtschaft dienen sollen.

Besonderes Aufsehen vor allem bei ausländischen Investoren erregte der im aktuellen Budget, dort in der Finance Bill 2012, enthaltene Vorschlag, Section 2 und Section 9 des Income Tax Act, 1961 dergestalt zu ändern, dass dadurch faktisch das im Januar 2012 ergangene Vodafone-Urteil des Supreme Court nachträglich ausgehebelt würde. Konkret soll diese Änderung rückwirkend ab dem 1. 4. 1962 wirksam sein – damit würde eine rückwirkende Gesetzesänderung über einen Zeitraum von 50 Jahren vorgenommen.

Nach indischem Verfassungsrecht ist eine echte Rückwirkung von Gesetzen unzulässig. Die Regierung nimmt daher für sich in Anspruch, mit dem Gesetzesvorschlag nur bestehende Unklarheiten im Rahmen des geltenden Rechts durch “clarificatory amendments” zu beseitigen und somit insgesamt mehr Rechtssicherheit herzustellen.

Ungeachtet dieser Begründung ist bei Beobachtern allerdings der Eindruck entstanden, als versuche die indische Regierung, durch eine “Lex Vodafone” diese und ähnlich gelagerte Konstellationen in Indien steuerpflichtig zu machen. Und ein weiterer Grund wird hinter vorgehaltener Hand angeführt: Vodafone musste seinerzeit eine Kaution von 300 Mio. US-Dollar hinterlegen; nach dem Supreme Court-Urteil ist diese Summe mit 4 % p. a. seit 2007 zu verzinsen und an Vodafone zu erstatten. Die indische Regierung könnte durchaus ein Interesse daran haben, mit den skizzierten Gesetzesvorschlägen einen Vergleich hierüber vorzubereiten. Ausländische und indische Juristen jedenfalls sehen eine derart gravierende rückwirkende Änderung der Gesetzeslage als hochproblematisch, wenn nicht gar verfassungswidrig an.

Die gegenwärtige Verunsicherung bei ausländischen Investoren ist groß. Sie sehen durch eine rückwirkende Besteuerung von bereits abgeschlossenen Unternehmenstransaktionen die Rechtsstaatlichkeit Indiens in Gefahr und haben ihre Bedenken sogar in einem offenen Brief an den indischen Premierminister zum Ausdruck gebracht. Es bleibt somit abzuwarten, ob die Regierung an der vorgeschlagenen Gesetzesänderung tatsächlich festhalten wird. Ihr Vorstoß ist sicher auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass in Indien mit seinen 28 Bundesstaaten und 7 Unionsterritorien stets irgendwo ein Wahlkampf stattfindet und die Regierung somit versucht ist, sich als Streiter für die heimische Bevölkerung und die lokale Wirtschaft zu gerieren. In jedem Falle wird man die jüngsten Schritte der indischen Regierung aber als kurzsichtig bezeichnen müssen, da sie mit derartigen Vorschlägen Gefahr läuft, das Vertrauen internationaler Investoren zu beschädigen.

Dr. Fabian Breckheimer, Rechtsanwalt, Düsseldorf

 
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