R&W Abo Buch Datenbank Veranstaltungen Betriebs-Berater
 
BM - Berater-Magazin
Header Pfeil
 
 
RIW 2012, 1
Kondring 

Law Made in Germany und das deutsche AGB-Recht

Abbildung 1

Anlässlich der Überreichung der 2. Auflage der von der Initiative “Law Made in Germany” herausgegebenen gleichnamigen Broschüre an Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger forderte Hans Heinrich Driftmann, Präsident des DIHK (BRAK-Mitt. 2012, 111, 112): “ ‘Law-Made in Germany’ darf sich . . . nicht auf den bloßen Transfer deutschen Rechts beschränken. Für deutsches Recht im weltweiten Wettbewerb einzutreten bedeutet vielmehr, zu Hause die Aufgaben zu erledigen und Fehlentwicklungen zu vermeiden. Außerdem sind wir gut beraten, offen zu sein für gute Beispiele aus anderen Rechtsordnungen.”

Das deutsche AGB-Recht ist im B2B-Bereich eine solche Fehlentwicklung. Sein Schutz schießt im B2B-Bereich über das Ziel hinaus. Dies zeigt auch ein internationaler Vergleich. Beredtes Beispiel sind insoweit die sog. Orgalime-Bedingungen. Die Orgalime ist ein Verbund der führenden Wirtschaftsverbände des Maschinenbaus, der Elektroindustrie und der Metallverarbeitung aus 23 europäischen Ländern. Die von der Orgalime entworfenen Standardbedingungen sind nach dem Recht von 22 der beteiligten 23 Staaten wirksam, nur für Deutschland ist von der Orgalime ein Zusatzblatt vorgesehen, das den Besonderheiten des deutschen AGB-Rechts Rechnung tragen soll.

Das “Alleinstellungsmerkmal” AGB-Recht führt dazu, dass das deutsche Recht im internationalen Rechtsverkehr zunehmend im Abseits steht. Es geht nicht um einen “race to the bottom”. Aber es muss doch Anlass zum Nachdenken geben, dass das Recht des langjährigen Exportweltmeisters international im Handelsverkehr eine absolut untergeordnete Rolle spielt. So verwundert es nicht, dass gemäß der Statistik des Schiedsgerichtshofs der Internationalen Handelskammer ICC bei den dort im Jahre 2008 anhängigen 575 Rechtsstreiten, in denen die Parteien das anwendbare Recht gewählt hatten (allesamt aus dem unternehmerischen Rechtsverkehr), in nur 4,8 % der Fälle deutsches Recht gewählt worden war. Und dies, obwohl deutsche Unternehmen neben US-Parteien besonders häufig sich der Streitbeilegung durch die ICC bedienen. Damit liegt das deutsche Recht in der ICC-Statistik abgeschlagen auf Platz fünf. Die auf den Plätzen eins bis vier rangierenden Rechte Englands, der Schweiz, Frankreichs und der diversen US-Bundesstaaten wurden dagegen zusammen in mehr als 36 % der Fälle gewählt. Nach anderen Erhebungen rangiert das deutsche Recht gar völlig unter ferner liefen (www.choices.whithecase. com). Was sich hier abspielt, ist eine Flucht vor dem deutschen Recht. Und der Einladungen anderer Rechtsordnungen an deutsche Unternehmen, über die Rechtswahl doch bitte dort Exil zu suchen, gibt es einige (vgl. nur für das Schweizer Recht Ehle/Brunschweiler, RIW 2012, 262; Voser/Boog, RIW 2009, 126).

Freilich hatte Graf v. Westphalen diese Flucht mit Blick auf das deutsche AGB-Recht genau an dieser Stelle (RIW 1/1999, Die erste Seite) bereits vor 13 Jahren empfohlen: “Meidet das deutsche Recht! – Diese Aufforderung klingt dem Exporteur wie Hohn. Warum denn? . . . Jeder Exportvertrag lebt von der Standardisierung. Diese erweist sich als unerlässlich . . . [Aber] gerade bei den ‘neuralgischen’ Haftungsreglungen, insbesondere bei der Haftungsfreizeichnung oder Haftungsbegrenzung versagt selbst die Phantasie des begabtesten Juristen. Und wenn es gilt, eine Haftungsfreizeichnung solide zu fundamentieren, dann bleibt nichts übrig, als den Schadenersatzanspruch – wie immer man im Einzelnen textiert – abzubedingen . . . [E]ine . . . wirksame Haftungsfreizeichnungsklausel wird man in einem – vorformulierten – Exportvertrag, der deutschem Recht unterworfen ist, vergeblich suchen. Auf dem Weg über vorformulierte Klauseln nämlich ist ausgeschlossen, das Risiko . . . angemessen zu begrenzen.”

Weshalb der gleiche Graf v. Westphalen trotz dieser richtigen Bemerkungen heute eine “nachhaltige Opposition gegen die Reform des AGB-Rechts” (BB 20/2012, Die erste Seite) betreibt, ist schwer verständlich.

In Exportsituationen schützt das deutsche AGB-Recht, wie Detzer ebenfalls an dieser Stelle angemerkt hat (RIW 11/2001, Die erste Seite), zudem regelmäßig nicht den deutschen Exporteur, sondern den ausländischen Kunden: Denn hat der ausländische Kunde eine größere Verhandlungsmacht als der deutsche Exporteur, so wird der ausländische Kunde neben den Vertragsbedingungen auch sein Heimatrecht durchdrücken, was dazu führt, dass der deutsche Exporteur nicht gegen vom ausländischen Kunden gestellte unfaire Bedingungen geschützt wird, da das deutsche AGB-Recht wegen der Wahl des ausländischen Kundenrechts nicht anwendbar ist. Und dies gilt bis zur Grenze der ordre public-Widrigkeit selbst dann, wenn die Parteien vor einem deutschen Gericht streiten. Ist der deutsche Exporteur dagegen in der stärkeren Verhandlungsposition und gelingt es ihm deshalb, seinen Vertragsstandard und deutsches Recht durchzusetzen, so schützt das deutsche AGB-Recht regelmäßig den ausländischen Kunden. Wir müssen darüber nachdenken, ob dieser Zustand rechtspolitisch tatsächlich im Sinne der deutschen Wirtschaft ist.

Was nicht sein kann, ist das, was noch unlängst von den Gegnern einer AGB-Rechtsreform, namentlich u. a. von Christoph Schäfer vom Gesamtverband der deutschen Textil- und Modeindustrie, allen Ernstes wohl als Lösungsmodell propagiert wurde (BB 2012, 1231, 1234: “Als letzter Ausweg bliebe immer noch die Flucht ins Schweizer Recht. Möglicherweise ist das der Preis, den die deutsche Rechtsordnung im Einzelfall bezahlen muss, um die bewährte AGB-Kontrolle zu erhalten.”

Das ist ein Offenbarungseid. Law Made in Germany geht anders.

Dr. Jörg Kondring, Rechtsanwalt, Heidenheim

 
stats