Ferienzeit – Zeit des konzeptionellen Stillstands?
Die sommerliche Zeit lässt einen immer gerne über Ferien nachdenken, also jene schöne Zeit, in der sich beruflich wenig bewegt. Wer sich für das Steuerrecht interessiert – für andere Bereiche vermag ich nicht zu sprechen –, dem kommt allerdings irgendwann der Gedanke, ob die Ferienzeit nicht vielleicht schon etwas länger dauert: jedenfalls bei Gesetzgebung, Minsterien und Gerichtsbarkeit.
Sicher, auf den ersten Blick macht es nicht den Eindruck: Da produzieren Ministerien umfangreiche Gesetzentwürfe (warum sind es eigentlich immer mehrere so kurz hintereinander?) und Gerichte fällen ein spannendes Urteil nach dem anderen zu lebenswichtigen Details. Trotz all dieser Emsigkeit herrscht aber friedlichste Ferienzeit, wo es an das Konzeptionelle geht, also um die Gestaltung der grundlegenden Strukturen des Rechts.
Reformwillen ist mehr als genug vorhanden! Aber welche Konzepte werden dabei umgesetzt? Nehmen wir die letzte größere strukturelle “Reform”: Da entscheidet man sich im Jahre 2000, das Körperschaftsteuersystem zu verändern. Zielvorgabe war damals, im neuen Körperschaftsteuersystem die Doppelbelastung aus Körperschaftsteuer und Einkommensteuer weiterhin auf eine wirtschaftlich nur einmalige Belastung zu begrenzen, diesmal nun allerdings europakonform und in pauschaler Form. Folglich baut man das System auf die Entscheidung auf, von einer typischen Gesamtbelastung bei den Körperschaften die erste Hälfte bei der Entstehung des Gewinns zu vereinnahmen (auf der KSt-Ebene), und dann mit der zweiten Hälfte der Ertragsteuerbelastung bis zur Gewinnausschüttung zu warten (deshalb die nur hälftige ESt auf die ausgeschütteten Dividenden!). Das und nichts anderes legitimiert den KSt-Satz von 25 %. Ziemlich kurze Zeit später wird dann der ESt-Spitzensatz weiter gesenkt, aber der KSt-Satz bleibt seinerzeit unverändert; die eigene Logik ist also offenbar nicht wichtig. Noch viel erhellender ist, dass unser Gesetzgeber in gar nicht so großem zeitlichem Abstand hierzu die Erkenntnis gewonnen hat, dass auch die Doppelbelastung der Erträge mit Einkommensteuer und Gewerbesteuer von Übel sei, und deswegen durch Anrechnung beseitigt werden müsse. Mit demselben Mechanismus dann auch eine Anrechnung der Gewerbesteuer auf die Körperschaftsteuer umzusetzen, wird dann aber beim Systemwechsel verweigert, weil “Kapitalgesellschaften ohnehin schon so wenig zahlen”: Das ist, da das neue KSt-System darauf beruht, für Körperschaften und Personenunternehmen eine gleich hohe Gesamtbelastung zu verwirklichen, immerhin überraschend unlogisch: Hier hat ein Gesetzgeber die Grundgedanken seines eigenen Systems noch während des Gesetzgebungsprozesses selbst wieder vergessen.
Ferienzeit herrscht aber auch, wenn es um die Frage geht, ob irgendwelche politisch angedachten Konzeptionen letztendlich tatsächlich funktionieren können: So wollen wir ja demnächst die KSt noch einmal möglichst radikal senken, um optisch neben Niedrigsteuerländern besser bestehen zu können. Sicher, es mag ihn ja geben, den Investor, der sich für Deutschland deswegen entscheidet, weil Deutschland dann vielleicht 15 Prozent KSt anbietet und die Slowakei immer noch “nur” 19 Prozent. Ob gerade er, der Preisbewusste, aber wirklich nicht in Erfahrung bringen wird, dass es am Ende wegen der Gewerbesteuer dann eben doch 30 Prozent sind? Und was sagt uns eigentlich die viel zitierte “Lebenserfahrung” darüber, wie diejenigen Leute reagieren werden, die man der Zahl 15 anlockt, um ihnen dann im “Kleingedruckten” zu verraten, dass es am Ende dann doch 30 sein werden?
Gut, über so etwas ist noch Meinungsstreit immerhin denkbar; die wirklich spannenden Fragen der Philosophie aber finden sich dort, wohin sich freiwillig ohnehin niemand verirrt: Bei der Technik der Berechnung der Gewerbesteuer. Wo liegt der Sinn darin, den Gewerbeertrag erst mit einer Messzahl von – meist – 5 Prozent klein zu rechnen, um davon dann anschließend typischerweise 400 Prozent als Steuer einzufordern? Das machte Sinn, als es noch galt, Ertrag, Kapital und Lohnsumme zu einer einheitlichen Größe zu aggregieren, denn damals galt es zu gewichten. Wo aber nur noch ein einziger Summand ist, da ist Gewichtung Unfug. Und sieht denn niemand von denen, die mit Zahlen von 15, 19 oder 21 Prozent bei der KSt die Kapitalanleger wider deren bessere Vernunft anlocken wollen, dass diese dann von Steuersätzen wie “400 Prozent” ebenso wider jede Vernunft, aber umso stärker, abgeschreckt werden?
Dr. Norbert Dautzenberg, Aachen