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RIW 2023, I
Wilske 

Ein EU-Amt für eine hochqualifizierte US-Ökonomin? – “Non, rien de rien!”

Abbildung 1

Ist ein trojanisches Pferd aus den USA verhindert worden?

Eine Personalie der EU-Kommission beschäftigte die Gemüter im Juli 2023. Der Posten “Chef-Ökonom/in” der Wettbewerbsabteilung der Kommission war im März 2023 neu ausgeschrieben worden – ohne die sonst übliche Beschränkung auf EU-Staatsangehörige. Auf die Ausschreibung meldeten sich 11 Kandidaten/Kandidatinnen, von denen zwei in die engere Wahl kamen:

Fiona Scott Morton, eine sehr renommierte US-Wirtschaftswissenschaftlerin und Yale-Professorin, die in der Amtszeit von Barack Obama in der Kartellabteilung des US-Justizministeriums gearbeitet hatte, und ein europäischer Wettbewerber. Die zuständige EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager entschied sich für Scott Morton. Die EU-Kommission genehmigte die Ernennung von Scott Morton am 11. 7. 2023. Scott Morton hätte ihr auf drei Jahre beschränktes Amt – von der FAZ generös als “mittelwichtig” eingestuft (Mussler, Kein EU-Amt für US-Ökonomin, FAZ, 19. 7. 2023) – im September 2023 antreten können. Ein mutiges transatlantisches Zeichen einer selbstbewussten und für Kompetenz und Ideen offenen EU in einer Zeit zunehmender Rückbesinnung auf den Nationalstaat! Dann aber schaltete Frankreich in den “full panic mode” (Lynch/Braun, French hit job: How Macron took down an American in Europe, POLITICO, 19. 7. 2023). Thema war die Nationalität von Scott Morton, die Macron darüber verzweifeln ließ, dass es angeblich niemanden in der EU gäbe, der gleichermaßen für dieses Amt qualifiziert sei, dass es mehr strategischer Unabhängigkeit bedürfe und eine Amerikanerin daher für diesen Posten die falsche Entscheidung sei. Erst später wurde thematisiert, dass Scott Morton in der Vergangenheit auch als Gutachterin für Big Tech (Amazon, Apple und Microsoft) tätig war – was öffentlich bekannt gewesen war – und dass sich daraus Interessenkonflikte ergeben könnten. Ein offener Brief von 39 führenden Wirtschaftswissenschaftlern einschließlich des Nobelpreisgewinners Bengt Holmström mit der Aufforderung an die EU, bei der Benennung von Scott Morton zu bleiben, blieb vergeblich.

Scott Morton hat schließlich ihren Verzicht auf das Amt erklärt, da die politische Kontroverse um die Berufung einer Nicht-Europäerin ihr die notwendige Rückendeckung der ganzen EU bei der Durchsetzung der Wettbewerbsregeln unmöglich mache.

Hat die EU deswegen noch einmal Glück gehabt und ein trojanisches Pferd rechtzeitig verhindert, das innerhalb der Kommission im Interesse eines geostrategischen Kontrahenten gehandelt hätte? So lässt sich die Position des französischen Präsidenten Emmanuel Macron verstehen, der für die Besetzung der Position “Reziprozität” forderte: Er hätte nichts gegen eine Amerikanerin in der EU-Kommission, würden die USA im Gegenzug einen europäischen Forscher “im Herz der Entscheidungsfindung des Weißen Hauses” zulassen (Mussler, ebda.). Damit wird schon verkannt, dass das Amt, für das Scott Morton benannt wurde, keine Entscheidungsgewalt beinhaltet. Es geht vielmehr um die Beratung der Generaldirektion Wettbewerb und die Einschätzung der Wettbewerbsfolgen von Fusionen, vertikalen Beschränkungen und Staatshilfen. Es ist eine verpasste Chance für die Kommission, der eine hochqualifizierte Wissenschaftlerin mit einschlägiger Erfahrung aus staatlicher Regulierungsarbeit und der Big Tech-Welt gutgetan hätte. Es ist aber auch kein Beispiel für “fair play”, wenn die Anforderungen für ein Amt nach Ausschreibung und Benennung wieder zur Disposition gestellt werden.

Wenn allein die Nationalität schon verdächtig ist, wirft dies auch kein gutes Licht auf das (vermutete) Amtsverständnis von EU-Personal. Wird einer EU-Beamtin automatisch unterstellt, dass sie ihr Amt vorrangig als Lobby-Dienst für den eigenen Staat versteht? Dies mag für deutsche Beamte, die sich in Brüssel schnell einen EU-Patriotismus erwerben, völlig fremd sein, spiegelt aber angeblich die Erwartungen vieler Mitgliedstaaten wider.

Und nun zur eigentlichen Botschaft aus dieser Personalie: Schon melden sich Stimmen, die sich sorgen, dass die Generaldirektion Wettbewerb von der französischen Politik übernommen werde, dass weniger Wert auf eine strenge Wettbewerbspolitik, sondern mehr auf Industriepolitik Wert gelegt werde und es noch stärker in Richtung französischem Protektionismus und Merkantilismus gehen werde.

Man mag gar nicht wissen, für welche Person sich die EU-Kommission das nächste Mal entscheiden wird oder entscheiden darf: politische Versorgungsfälle, Zufallsgewinnler im ressortübergreifenden Postengeschacher und Proporzdenken? Werbung für ein liberales Europa, bei dem Leistung mehr zählt als die Staatsangehörigkeit, war das jedenfalls nicht.

Die Washington Post beschreibt die nächste Stellenanzeige für diese Position jedenfalls ohne jede Ironie wie folgt:

“Wanted: A chief economist for the European Union's top competition regulator. Must be good at their job, but more importantly get along with the likes of Emmanuel Macron at a time when Paris and Berlin want to see bigger EU corporate champions. Oh, and please . . . no Americans” (Laurent, An American Economist in the EU? Macron Says Non, The Wash. Post, 21. 7. 2023).

Hätten die USA einen Europäer für einen vergleichbaren Posten akzeptiert, der europäische Unternehmen in wichtigen Verfahren vor den US-Kartellbehörden vertreten hatte? Sicher nicht! Aber Bedenken wären nicht erst im Streit der Partikularinteressen nach der Bestellung vorgetragen worden. Professionalität eines global player sieht anders aus.

Dr. Stephan Wilske, Maître en Droit/Attorney-at-Law (New York)/Rechtsanwalt, Stuttgart

 
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