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RIW 2008, 1
Bartosch 

Die Kriminalisierung des Kartellrechtes im transatlantischen Kontext, oder: Gehört das Vereinigte Königreich noch zur EU?

Abbildung 1

Der Autor Partner der Sozietät Haver & Mailänder, in deren Brüsseler Büro er tätig ist. Seit ca. 10 Jahren praktiziert er Europäisches Wettbewerbsrecht (Fusionskontrolle, Beihilfenrecht) ebenso wie deutsches Kartellrecht. Er ist Autor und Mitautor zahlreicher Fachbeiträge und Bücher auf disen Gebieten sowie Herausgeber eines der führenden wissenschaftliche Periodika zum EG-Beihilfenrecht. Überdies ist er Sprecher des European State Aid Law Institute, welches regelmäßig inernational besetzte Kongresse zu Fragen des Europäischen Beihilfenrechts veranstaltet.

Die vergangenen Monate stehen für Ereignisse, die im Bereich der Durchsetzung des Kartellrechts in der Form, wie diese im Verhältnis zwischen den USA und einem EU-Mitgliedstaat, i. e. dem Vereinigten Königreich, praktiziert wird, zumindest aus kontinentaleuropäischer Sicht für viele Juristen, aber auch ganz allgemein für die Bürger des genannten Mitgliedstaates schwer verständlich, ja sogar schockierend sein dürften. Da gibt es zunächst einen gewissen Ian Norris, den früheren Vorstandschef des englischen Unternehmens Morgan Crucible, der von der Antitrust Division des US-amerikanischen Justizministeriums beschuldigt wurde, im Zeitraum zwischen 1989 bis einschließlich 2000 ein Preiskartell ins Leben gerufen zu haben. Um ihn vor amerikanischen Gerichten deswegen verurteilen zu lassen, beantragte das Justizministerium seine Auslieferung in die USA. Obwohl zu dem Zeitpunkt der angeblichen Zuwiderhandlungen Kartellverstöße im Vereinigten Königreich noch nicht mit Gefängnisstrafen geahndet werden konnten – dies führte erst der Enterprise Act im Jahre 2003 ein –, wollten die englischen Gerichte, die über das Auslieferungsersuchen zu befinden hatten, diesem zunächst stattgeben. Dies geschah mit der Begründung, dass der von Mr. Norris begangene Kartellverstoß hinreichende Ähnlichkeiten mit dem im Vereinigten Königreich schon immer geltenden Straftatbestand der “conspiracy to defraud” aufweise und daher bereits vor 2003 das im Auslieferungsabkommen mit den USA im Jahre 2004 festgelegte Erfordernis, dass eine Auslieferung nur dann stattfinden könne, wenn die Zuwiderhandlung, auf die sich das Ersuchen beziehe, in beiden Jurisdiktionen (diesseits und jenseits des Atlantiks) strafbewehrt sei, erfüllt gewesen sei. Interessanterweise hatte die englische Kartellbehörde, das Office of Fair Trading, diese Argumentation unterstützt. Erst das House of Lords stoppte am 12. 3. 2008 die Auslieferung. In seinem Beschluss von diesem Tage befanden die Lordrichter, dass ein Kartellverstoß nur dann den Tatbestand der “conspiracy to defraud” erfüllen könne, wenn zu der bloßen Beteiligung an einer Preisabsprache weitere, erschwerende Umstände hinzuträten, wie bewusste Irreführung, betrügerische Handlungen, Gewaltanwendung, Einschüchterung oder Verleitung zum Vertragsbruch.

Dies kann indes bestenfalls als Etappensieg gewertet werden. Verneint haben die Lords das Vorliegen der vorgenannten Voraussetzung der “double criminality” nur in Bezug auf den Tatbestand der “conspiracy to defraud”. Vor dem unterinstanzlichen Magistrates' Court, an den der Fall zurückverwiesen wurde, muss jetzt noch geklärt werden, ob der Auslieferungsantrag u. U. mit Berufung auf den weiteren, im UK seit jeher anerkannten Straftatbestand der “obstruction of justice” Erfolg haben könnte. Noch schlimmer und vollkommen unabhängig von dem Fall des unglücklichen Mr. Norris ist allerdings der weitere Umstand, dass das erwähnte Auslieferungsabkommen zwischen den USA und dem UK im Hinblick auf die von der nachsuchenden Behörde zu erfüllenden Erfordernisse eine der beiden Parteien in einer – zumindest m. E. – unverständlichen Weise bevorzugt. So sind die US-Stellen nur gehalten darzulegen, auf Grund welchen Vergehens sie die Auslieferung begehren; die Beibringung eines Beweises ist dagegen nicht notwendig. Letzteren müssen nur die UK-Behörden in Amerika führen, wenn sie Gleiches erreichen wollen. Die Begründung hierfür ist, dass die amerikanische Verfassung die Auslieferung eines US-Bürgers nur aufgrund der durch nichts belegten Behauptungen eines anderen Staates verbietet, das Vereinigte Königreich seinerseits keine Verfassung hat, die dem entgegenstehen könnte.

Zwischenzeitlich hat ein britisches Strafgericht am 11. 6. 2008 auch die sog. “Marine Hose Three” zu Gefängnisstrafen von zweimal je drei Jahren und einmal zweieinhalb Jahren wegen ihrer Beteiligung an dem gleichnamigen Kartell verurteilt. In den USA waren sie bereits durch den US District Court for the Southern District of Texas zu 30, 24 und 20 Monaten verurteilt worden. Dies ist das erste Mal, dass ein englisches und damit zugleich auch ein Gericht innerhalb der EU Kartellsünder in derartiger Weise sanktioniert. Wären die Strafen im UK niedriger ausgefallen als in den USA, so hätte dies den Betroffenen indes auch nichts genützt, da der von ihnen mit dem US-Justizministerium vereinbarte “plea deal” bestimmt hatte, dass dann, wenn die Urteile im Vereinigten Königreich milder ausfallen sollten, der Unterschied zu den von dem amerikanischen Gericht verhängten Sanktionen in US-Gefängnissen abgesessen werden müsste. Die englischen Urteile wirken sich so am Ende unverhofft positiv aus, da die Chancen auf eine frühzeitige Entlassung im UK deutlich besser stehen als in den in dieser Hinsicht wesentlich strengeren USA.

Was bringt einen Mitgliedstaat dieser Union dazu, im Unterschied zu allen anderen (mit Ausnahme Irlands) Kartellverstöße – dem großen Vorbild der USA folgend – zu kriminalisieren? Ob dadurch die Durchsetzung dieser Vorschriften effektiver gestaltet werden kann, bleibt letztlich eine Glaubensfrage, die hier nicht ausdiskutiert werden kann. Was bringt diesen Mitgliedstaat dann des Weiteren dazu, seine Bürger dem nicht unbedingt für seine Milde bekannten Justizsystem eines anderen Staates ohne das Erbringen irgendeines Beweises für das Vorliegen einer Straftat zu überantworten? Dass Ersteres zu Letzterem führt, liegt auf der Hand. Dass ein Mitgliedstaat durch seine dem Prinzip des europäischen Kartellrechts – dass nämlich Verstöße gegen Art. 81 EG Ordnungswidrigkeiten und keine Straftaten darstellen – diametral zuwiderlaufende Haltung EU-Bürger einem anderen Rechtssystem überantwortet, macht es sehr zweifelhaft, ob die Politik zur Verfolgung von Kartellen, wie sie dort betrieben wird, noch als Teil dieser Union bezeichnet werden kann.

Dr. Andreas Bartosch, Rechtsanwalt, Brüssel

 
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