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RIW 2013, 1
Thume 

Die CMR – Siegeszug eines internationalen Abkommens über drei Kontinente

Abbildung 1

Der Autor ist Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei Fries Rechtsanwälte in Nürnberg, außerdem Fachanwalt für Transport- und Speditionsrecht sowie für Versicherungsrecht. Sein Standardkommentar zur CMR ist unlängst in neuer Auflage erschienen.

Im Sommer des vergangenen Jahres wurde das Übereinkommen über den internationalen Beförderungsvertrag im Straßengüterverkehr – kurz “CMR” – 55 Jahre alt. Sein Name ist als Abkürzung der französischen Bezeichnung des Abkommens (Convention relative au contrat de transport international de marchandises par route) entnommen. Am 19. 5. 1956 war es nach jahrelangen mühsamen Vorbereitungen der von der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen (ECE) initiierten Arbeitsgruppe der maßgeblichen Internationalen Organisationen, nämlich des UNIDROIT-Instituts, der Internationalen Handelskammer (ICC) und des Internationalen Straßenverkehrsverbandes (IRU), verabschiedet worden. Fünf Jahre nach ihrer Verabschiedung (am 2. 7. 1961) ist die CMR mit den erforderlichen Ratifikationen der fünf ersten Unterzeichnerstaaten (Frankreich, Italien, Jugoslawien, Niederlande und Österreich) in Kraft getreten. Die Bundesrepublik Deutschland hat sie mit Gesetz vom 16. 8. 1961 ratifiziert. Hier gilt sie seit dem 5. 2. 1962.

Die CMR wurde geschaffen, um das Recht des grenzüberschreitenden Straßengüterverkehrs zu vereinheitlichen. Sie gilt zwingend, wenn der Übernahme- und der vorgesehene Ablieferungsort des Frachtgutes in zwei verschiedenen Staaten liegen, von denen mindestens einer dem Abkommen beigetreten ist. Zwar sind nicht alle, aber die wichtigsten frachtrechtlichen Probleme geregelt, zu denen insbesondere die Haftung des Frachtführers für Güterschäden und die verspätete Ablieferung des Beförderungsgutes gehören. Als Nachteil hat sich leider erwiesen, dass sich die Delegationen der ersten Signatarstaaten bei den Beratungen nicht auf eine gemeinsame Formel für die unbeschränkte Haftung des Frachtführers einigen konnten, weil in den einzelnen Ländern unterschiedliche Schuldbegriffe bestanden. So wurde schließlich in Art. 29 der Ausweg gefunden, die Interpretation des dem Vorsatz gleichstehenden Verschuldens dem Recht des jeweils angerufenen Gerichts zu überlassen. Hinzu kommt, dass gerade dort die allein verbindlichen englischen und französischen Originaltexte nicht voll übereinstimmen. Das hat bewirkt, dass derselbe Tatbestand in einem Mitgliedstaat zur beschränkten Regelhaftung des Frachtführers, in einem anderen zu seiner vollen Haftung führen kann, mit der unerwünschten Folge des “forum shopping”, weil gem. Art. 31 die zuerst erhobene Klage i. d. R. die Erhebung einer weiteren Klage wegen des gleichen Sachverhalts verhindert.

Dennoch hat sich die CMR seit ihrer Entstehung zu einem der wichtigsten internationalen Verträge auf dem Gebiet des Transports entwickelt. Ihr Siegeszug durch Europa, Nordafrika und Westasien erfasst neben europäischen Ländern auch Staaten wie Marokko, Tunesien, Zypern, Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan. Inzwischen haben sich ihr 55 europäische, vorderasiatische und nordafrikanische Staaten angeschlossen. Damit hat die CMR im grenzüberschreitenden Straßengüterverkehr eine immense und nicht mehr hinwegzudenkende Bedeutung erlangt.

Die CMR steht heute gleichrangig an der Seite anderer internationaler Abkommen des grenzüberschreitenden Güterverkehrs, wie etwa des Warschauer und des Montrealer Übereinkommens zum internationalen Luftverkehr sowie der internationalen Seerechtsabkommen. Ihre Bestimmungen dienten teilweise als Vorbild für die Ende der 1990er Jahre entstandenen COTIF CIM des internationalen Eisenbahnverkehrs und CMNI des europäischen Binnenschiffsverkehrs. Ferner haben mehrere Vertragsstaaten die CMR in unterschiedlicher Weise auch auf ihre nationalen Transportrechte übertragen. So haben sich die Niederlande und Portugal, aber auch Kroatien und Serbien für den nationalen (Straßen-)Güterverkehr weitgehend an der CMR orientiert. Finnland, Dänemark, Schweden und Norwegen haben die Vorschriften für innerstaatliche und grenzüberschreitende Straßengütertransporte jeweils in einem einheitlichen Gesetz zusammengefasst; Österreich hat 1990 durch Ergänzung des Handelsgesetzbuches um eine einzige Verweisungsvorschrift die CMR auf innerstaatliche Transporte erstreckt, und Belgien ist dem 1999 gefolgt.

Ganz besondere Bedeutung hat die CMR in Deutschland erlangt, weil ihre Bestimmungen mit der Transportrechtsreform im Jahre 1998 weitestgehend Eingang in das gesamte innerdeutsche Frachtrecht für die Verkehrsträger Luft, Straße, Schiene und Binnenschifffahrt gefunden haben. So wurde sie – mit Ausnahme des Seerechts – zur Mutter des deutschen Frachtrechts gem. §§ 407 ff. HGB. Das führte in der Rechtsprechung einerseits zu erwartungsgemäß eingetretenen Parallelen und nahezu gleichlautenden Entscheidungen in beiden Rechtsgebieten, hatte aber gelegentlich den Nachteil, dass einige zur CMR seit langem entwickelte Rechtsgrundsätze bei der Anwendung der innerdeutschen Frachtrechtsvorschriften vernachlässigt wurden.

Der BGH hat in den letzten Jahren mehrfach zu einzelnen Bestimmungen der CMR Stellung genommen. So hat er inzwischen klargestellt, dass der Begriff des Beförderungsvertrages gem. Art. 1 CMR abweichend von nationalen Rechtsordnungen autonom auszulegen ist, dass ferner die CMR grundsätzlich nur bei unimodalem grenzüberschreitenden Straßengütertransporten zur Anwendung gelangt und dass sie andererseits nach ihrem Art. 2 im Ro-Ro-Verkehr auch bei Feuer an Bord eines Seeschiffes zur Anwendung kommen kann. Außerdem hat der BGH die Rechtsprechung zu Art. 29 CMR wesentlich vertieft. Dabei wurde die bislang strenge Auffassung zum groben Verschulden des Frachtführers zwar etwas gelockert, andererseits aber wird ständig daran festgehalten, dass in diesen Fällen nach ergänzend anwendbarem deutschen Recht der Mitverschuldenseinwand möglich ist. Diese Rechtsprechung steht nach wie vor im Widerspruch zur Praxis anderer Vertragsstaaten, die wegen des zwingenden Charakters der CMR-Vorschriften bei grobem Verschulden des Frachtführers jede Schadensteilung ablehnen.

Zwar hat die Anwendungspraxis in den über 50 Jahren des Bestehens der CMR einige ihrer Schwachstellen gezeigt, so dass dort eine Reform durchaus wünschenswert wäre, wie sie z. B. für den Bereich des elektronischen Frachtbriefs bereits angedacht ist. Dabei besteht jedoch immer die Gefahr, dass ein Teil der Staaten nicht gewillt sein wird, die neue, modernisierte Fassung anzunehmen. In jedem Fall aber wird die CMR ihren Siegeszug über alle auf dem Landwege erreichbaren Kontinente fortsetzen, weil auch in Zukunft eine vereinheitliche Rechtsordnung des internationalen Straßengüterverkehrs unabdingbar und unverzichtbar sein wird.

Dr. Karl-Heinz Thume, Rechtsanwalt, Nürnberg

 
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