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RIW 2013, 1
Rühl 

Außergerichtliche Streitbeilegung in Europa

Abbildung 1

Die außergerichtliche Streitbeilegung ist in Europa angekommen. Endgültig.

Nachdem sich der europäische Gesetzgeber im Jahr 2008 bereits der Mediation angenommen hatte (Richtlinie 2008/52/EG, nachfolgend: Mediationsrichtlinie), hat er vor wenigen Wochen die Richtlinie über alternative Streitbeilegung (Richtlinie 2013/11/EU, nachfolgend: ADR-Richtlinie) und die Verordnung über Online-Streitbeilegung (Verordnung [EU] Nr. 524/2013, nachfolgend: ODR-Verordnung) verabschiedet. Die ADR-Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten, für alle Streitigkeiten aus Verbraucherverträgen mindestens eine Streitbeilegungsstelle zur Verfügung zu stellen, die den in der Richtlinie beschriebenen Mindestanforderungen in Bezug auf Qualität, Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Streitbeilegungsstelle sowie Transparenz, Effektivität und Fairness der Verfahren genügt. Die ODR-Verordnung sieht die Einrichtung einer vom europäischen Gesetzgeber als OS-Plattform bezeichneten interaktiven Internetseite vor, die als zentrale Anlaufstelle für Verbraucher und Unternehmer dienen und insbesondere bei der Suche nach einer passenden Streitbeilegungsstelle behilflich sein soll. Beide Rechtsakte zusammen sollen die Beilegung von Streitigkeiten aus Verbraucherverträgen außerhalb gerichtlicher Verfahren fördern und dazu beitragen, dass Verbraucher Ansprüche aus Verträgen leichter, schneller und kostengünstiger durchsetzen können.

Dass sich der europäische Gesetzgeber die Förderung der außergerichtlichen Streitbeilegung auf die Fahnen geschrieben hat, ist grundsätzlich zu begrüßen: Die außergerichtliche Streitbeilegung bietet die Möglichkeit, Streitigkeiten aus Verbraucherverträgen einer Lösung zuzuführen, für die es bislang zumindest de facto keine Lösung gibt. Sie kann deshalb die Durchsetzung von Ansprüchen aus Verbraucherverträgen verbessern und damit zum Funktionieren des Binnenmarktes beitragen. Mit der Verabschiedung der ADR-Richtlinie und der ODR-Verordnung hat der europäische Gesetzgeber allerdings die Möglichkeiten zur Förderung der außergerichtlichen Streitbeilegung bei weitem nicht ausgeschöpft. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die außergerichtliche Beilegung von Streitigkeiten aus grenzüberschreitenden Verbraucherverträgen. Hier geht der europäische Gesetzgeber die beiden zentralen Probleme, die Zuständigkeit und die Sprache, nur halbherzig an und etabliert ein komplexes Informations-, Unterstützungs- und Kooperationssystem anstatt Streitbeilegungsstellen zu verpflichten, Beschwerden über ausländische Unternehmen entgegenzunehmen und Verfahren in fremden Sprachen zu führen. Daneben lässt der europäische Gesetzgeber auch das gerade bei grenzüberschreitenden Verbraucherverträgen bestehende große Potential der Online-Streitbeilegung ungenutzt. Denn die zentrale OS-Plattform soll sich – anders als ihr Name suggeriert – in erster Linie als Informations- und Vermittlungsstelle darstellen und über keine echte Streitbeilegungsfunktion verfügen. Die eigentlichen Verfahren werden deshalb auch in Zukunft vor nationalen Streitbeilegungsstellen nach den für diese geltenden Verfahrensregeln geführt werden müssen.

Dass die ADR-Richtlinie und die ODR-Verordnung der außergerichtlichen Streitbeilegung bei grenzüberschreitenden Verbraucherverträgen zum Durchbruch verhelfen wird, ist vor diesem Hintergrund wenig wahrscheinlich. Anders mag sich die Situation im Hinblick auf die ebenfalls vom Anwendungsbereich der beiden Rechtsakte erfassten inländischen Verbraucherverträge darstellen. Allerdings ist unklar, ob die flächendeckende Nutzung der außergerichtlichen Streitbeilegung, die mit der Anwendung auf inländische Verbraucherverträge einhergeht, tatsächlich wünschenswert ist. Darüber hinaus drängt sich insofern die Frage auf, ob die Erstreckung der beiden Rechtsakte auf inländische Verbraucherverträge noch von der Binnenmarktkompetenz des Art. 114 AEUV gedeckt ist. Nicht zuletzt der Gedanke der Subsidiarität spricht dafür, dass Art. 114 AEUV insofern keine Grundlage bietet und dass die ADR-Richtlinie und die ODR-Verordnung in ihrem Anwendungsbereich – wie die Mediationsrichtlinie – auf grenzüberschreitende Verbraucherverträge hätten beschränkt werden müssen. Das letzte Wort wird insofern – hoffentlich – irgendwann der EuGH sprechen. Sollte er bestätigen, was mit Händen zu greifen ist, nämlich dass der europäische Gesetzgeber mit der Erstreckung der ADR-Richtlinie und der ODR-Verordnung auf inländische Verbraucherverträge seine Kompetenzen überschritten hat, wird sich die Frage stellen, ob die enormen Kosten, die die Umsetzung der ADR-Richtlinie sowie die Einrichtung und die Unterhaltung der OS-Plattform mit sich bringt, noch in einem angemessenen Verhältnis zu dem – geringen – Nutzen des vom europäischen Gesetzgeber geschaffenen Regelungssystems stehen.

Gleichzeitig wird überlegt werden müssen, wie sich die Probleme, denen die außergerichtliche Streitbeilegung bei grenzüberschreitenden Verbraucherverträgen begegnet, tatsächlich gelöst werden können. Diskutiert werden muss dann insbesondere, ob der Ausbau der OS-Plattform zu einer echten, auf der europäischen Ebene angesiedelten, in allen oder zumindest mehreren Amtssprachen arbeitenden Online-Streitbeilegungsstelle angezeigt ist.

Eines lässt sich aber bereits jetzt sagen: Das Potential der außergerichtlichen Streitbeilegung ist auch und insbesondere im Hinblick auf die Verwirklichung des europäischen Binnenmarktes noch lange nicht ausgeschöpft. Die jetzt verabschiedeten Rechtsakte markieren deshalb lediglich den Beginn und nicht das Ende der Entwicklung.

Professor Dr. Giesela Rühl, LL.M. (Berkeley), Jena

 
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