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RdF 2022, 161
Lamprecht 

Vorlagebeschluss des FG Niedersachsen zur Abgeltungsteuer aufgehoben

Was zukünftige Vorlagebeschlüsse beachten sollten.

Abbildung 1

Es kommt nicht ganz überraschend, dass das FG Niedersachsen seinen Vorlagebeschluss an das BVerfG zur Abgeltungsteuer wieder aufheben musste. Nachdem es die Abgeltungsteuer zu Lasten des Klägers für nicht verfassungskonform gehalten hatte, dem aber selbst das beklagte FA nicht folgen konnte, lag es nahe, dass die Parteien den Rechtsstreit nach Teilabhilfe durch das FA für erledigt erklären und damit dem Beschluss seine Grundlage entziehen würden. Zukünftige Vorlagebeschlüsse sollten daher auf Verfahren gründen, bei denen der Kläger ein eigenes Interesse an der Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Abgeltungsteuer hat.

Inhaltlich gibt es zahlreiche Einwände gegen die Abgeltungsteuer. Bemerkenswerterweise hatte der Vorlagebeschluss seinen Ausgang in dem genommen, der am wenigsten überzeugt, nämlich dass der einheitliche Abgeltungsteuersatz von 25 % Kapitaleinkünfte in verfassungswidriger Weise gegenüber anderen Einkünften bevorzuge. Der Beschluss erkennt eine solche Besserstellung dabei nicht nur bei Zinseinkünften, sondern auch bei Gewinnausschüttungen. Dass diese steuerlich vorbelastet sind, sei nicht zu berücksichtigen. Dem wird man kaum folgen können. Denn eine Berücksichtigung der Vorbelastung, wie sie das Teileinkünfteverfahren vornimmt, ist verfassungsrechtlich zulässig und nach geltendem Recht der anzuwendende Vergleichsmaßstab. Unter Berücksichtigung der steuerlichen Vorbelastung von Gewinnausschüttungen stellt ein Steuersatz von 25 % dann aber keinesfalls mehr eine Begünstigung dar, sondern bewirkt eine Belastung über beide Ebenen im Bereich des Spitzensteuersatzes von 42 %. Berücksichtigt man weiter das Verbot, Werbungskosten abzuziehen und Verluste zu verrechnen, ergibt sich eine Besteuerung, die i. d. R. belastender wirkt als die nach dem Teileinkünfteverfahren. Der pauschalierende Charakter der Abgeltungsteuer gründet gerade darauf, dass sie zwar bei Zinseinkünften begünstigend, bei Gewinnausschüttungen i. d. R. aber belastend wirkt und sich beide Effekte weithin kompensieren.

Gewichtige Einwände gegen die Abgeltungsteuer bestehen denn auch nicht in ihrem einheitlichen Steuersatz von 25 %, sondern in eben dieser sehr starken Pauschalierung und in den zahlreichen Binnendifferenzierungen, die durch sie erforderlich werden und die sämtlich gleichheitsrechtlich bedenklich sind (vgl. §§ 20 Abs. 6 und 9; 32d Abs. 2 und 6 EStG). Hier muss jede verfassungsrechtliche Prüfung ansetzen. Leider hat der Vorlagebeschluss des FG Niedersachsen dies nicht getan.

Stattdessen hat er sich darauf konzentriert darzulegen, dass die Gründe, die 2008 die Einführung der Abgeltungsteuer getragen haben, ab dem Jahre 2012 wieder entfallen sind. Dies gelingt eindrucksvoll für die Entwicklung des internationalen Informationsaustausches in Steuersachen und damit für die Bekämpfung der Hinterziehung von Kapitaleinkünften. Allerdings steigt auch im Steuerrecht niemand zweimal in denselben Fluss. Das Entfallen von Gründen, welche die Einführung der Abgeltungsteuer getragen haben, führt nicht zwangsläufig zur Pflicht des Gesetzgebers, die Abgeltungsteuer wieder aufzugeben. Die Kontinuität der Rechtslage hat gerade, soweit es um Systemwechsel geht, verfassungsrechtlichen Eigenwert.

Letztlich überzeugt jeder Vorwurf der Verfassungswidrigkeit nur und wird auch jeder zukünftige Vorlagebeschluss nur Erfolg haben, soweit eine Alternative aufgezeigt wird, die verfassungsrechtlichen Anforderungen besser genügt als die jetzige Abgeltungsteuer. Hieran krankt bislang weithin die verfassungsrechtliche Kritik an ihr. Auch der Vorlagebeschluss schweigt sich zu einer solchen Alternative aus. Die Anwendung des Teileinkünfteverfahrens außerhalb des betrieblichen Bereichs wirkt nicht sonderlich überzeugend. Notwendig würde wieder, zwischen Gewinnausschüttungen und anderen Einkünften aus Kapitalvermögen zu unterscheiden, was notorisch problematisch ist. Der Vereinfachungseffekt für viele Steuerpflichtige, ihre Kapitaleinkünfte nicht in der Steuererklärung angeben zu müssen, wäre ebenfalls verloren. Und v. a. würde sich bei Zinseinkünften wieder die Frage stellen, inwieweit ihre besondere Exponiertheit gegenüber Inflation nicht steuerlich zu berücksichtigen ist. Die Abgeltungsteuer ist hierfür zwar sicher kein ideales Instrument, entlastet viele Steuerpflichtige aber doch zumindest zu einem gewissen Grad. In heutigen Zeiten ist dies ein gewichtiges Argument für die Abgeltungsteuer.

Prof. Dr. Philipp Lamprecht hat die Professur für Steuerrecht und Zivilrecht an der Goethe-Universität Frankfurt inne.

 
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