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RdF 2018, 1
Bausback 

Prozesse (nicht nur) um Finanzinstrumente: Spricht Justitia in Deutschland auch Englisch?

Der Gesetzentwurf zur Einführung von Kammern für Internationale Handelssachen sollte schnellstmöglich umgesetzt werden

Abbildung 1

Schon seit Jahren wird immer wieder über Englisch als Gerichtssprache in internationalen Wirtschaftsverfahren der ordentlichen Justiz in Deutschland diskutiert. Vor dem Hintergrund des Brexit nimmt die Debatte nunmehr wieder an Fahrt auf. Warum brauchen wir Flexibilität in der Gerichtssprache?

Ausgangspunkt ist das Gerichtsverfassungsgesetz – kurz GVG. Als zentrale Vorschrift sei § 184 GVG zitiert, der bestimmt: “Die Gerichtssprache ist deutsch”. Deutsche Mundarten sind davon erfasst; auch das Recht der Sorben, ihre Sprache zu sprechen, ist gewährleistet. Und sonst? Spricht Justitia in Deutschland im Jahr 2018 auch Englisch?

Sie spricht es. Viele Richterinnen und Richter haben einen Teil ihrer Ausbildung im englischsprachigen Ausland absolviert. Sie sind in der Lage, Verhandlungen auf Englisch zu führen, und sie sind dazu bereit. Auch im Unterstützungsbereich beherrschen viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die englische Sprache: Die Personalplanungen zur Einrichtung der Lokalkammer des künftigen Einheitlichen Patentgerichts in München, vor der voraussichtlich ebenfalls auch auf Englisch verhandelt werden wird, haben das gezeigt.

In der ordentlichen Gerichtsbarkeit, also vor den Zivil- und Strafgerichten, darf bereits jetzt schon Englisch gesprochen werden. Ein bisschen jedenfalls. Das GVG bestimmt ausdrücklich: “Die Zuziehung eines Dolmetschers kann unterbleiben, wenn die beteiligten Personen sämtlich der fremden Sprache mächtig sind.” Die Krux dabei: Die Vorschrift hat nur einen engen Anwendungsbereich. Sie gilt etwa nicht für einzureichende Schriftsätze, für die Entscheidungsverkündung, das Urteil und das gerichtliche Protokoll. Justitia darf also Englisch sprechen. Aber nicht immer. Und sie darf es v. a. nicht schreiben.

Das muss sich ändern! Nur zur Illustration: 75 % aller Zinssatz-Derivate in Euro werden derzeit laut EU-Kommission über Clearinghäuser in Großbritannien abgewickelt. Nach englischem Recht. Natürlich mit Englisch als Vertragssprache. Was liegt näher, als Streitigkeiten darüber auch auf Englisch zu führen? In den meisten Verträgen ist darum London als Gerichtsstandort vereinbart. Mit dem Brexit jedoch verlassen mehr und mehr Finanzgesellschaften das Vereinigte Königreich. Verlegt eine Investmentbank ihren Sitz nach Deutschland, werden in der Folge wohl auch die Derivateverträge mit Parteien aus dem EU-Ausland auf die deutsche Tochter der Bank übertragen. Verträge über Derivate unterliegen in den meisten Fällen englischem Recht. Um zu vermeiden, dass ein solcher Vertrag zwischen der deutschen Investmentbank und etwa einem Industrieunternehmen in Italien im Falle von Streitigkeiten in London verhandelt werden muss, liegt es nahe, Deutschland als Gerichtsstand für derartige Verträge in Betracht zu ziehen.

Der Wechsel von Gerichtsstandorten passiert aber nicht von selbst. Will sich die deutsche Justiz als Rechtsstandort internationaler Streitigkeiten empfehlen, bedarf es entsprechender Initiativen. Eine der dringendsten: Englisch als Gerichtssprache.

Schon seit mehreren Jahren liegt dazu der Entwurf eines Gesetzes zur Einführung von Kammern für Internationale Handelssachen bereit. Er würde den Ländern die Einrichtung entsprechender Kammern bei den Landgerichten ermöglichen. Dort könnten Rechtsstreitigkeiten vollständig in englischer Sprache geführt werden. Der Bundesrat hatte den Gesetzentwurf bereits beschlossen. Es fehlt jedoch an der Umsetzung durch den Bundestag.

Dafür ist es nunmehr dringend an der Zeit. Schon heute ist Deutschland als Gerichtsstandort sehr attraktiv, z. B. aufgrund der vergleichsweise kurzen Verfahrensdauer. Tatsächlich spielen wir als internationaler Gerichtsstandort bislang aber eine recht überschaubare Rolle. Deutschlands Rechtsprechung entgehen dadurch komplexe Verfahren, die wichtig zur Rechtsfortbildung sind.

Der Brexit ist vor diesem Hintergrund nicht nur eine große Herausforderung. Er ist für Deutschland eine Chance, sich als internationaler Gerichtsstandort zu etablieren. Diese Gelegenheit sollten wir nutzen! Denn: Deutsche Gerichte funktionieren auch auf Englisch – und zwar bestimmt genauso gut wie auf Deutsch!

Prof. Dr. Winfried Bausback, MdL, ist Justizminister im Bayern

 
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