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RdF 2025, 161
Osterloh-Konrad 

Cum/Cum im Fokus: Differenzierung tut not!

Es ist genau zu prüfen, ob sich im jeweiligen Fall ein Widerspruch zur im Gesetz angelegten Teleologie identifizieren lässt.

Abbildung 1

Die “Deutungswelle” (Wingler, Ubg 2025, 291) zur Entscheidung BFH I R 3/21 rollt derzeit durch die Zeitschriften (s. auch Weitbrecht/Strehlke-Verkühlen, RdF 2025, 204 ff., in diesem Heft). Kritiker des “Steuerraubs” durch Cum/Cum-Geschäfte rügen die deutliche Engführung der Voraussetzungen, unter denen der I. Senat einen Verbleib des wirtschaftlichen Eigentums beim ursprünglichen Inhaber der Aktien für denkbar hält. Sie schöpfen aber Hoffnung angesichts seiner Ausführungen zum Gestaltungsmissbrauch. An dem Hinweis des Senats, ein Fehlen außersteuerlicher Gründe lege die Anwendung von § 42 AO nahe, stören sich umgekehrt diejenigen, die Cum/Cum-Gestaltungen als Ausdruck legitimer Steuerplanung betrachten. Sie mögen sich durch den Blick in eine Entscheidung des FG Hamburg (s. dazu RdF-Entscheidungsreport Lechner, RdF 2025, 233 f., in diesem Heft) bestätigt sehen, die klarstellt, dass sich mit dem Motiv der Steuerminimierung allein die Unangemessenheit einer Gestaltung nicht begründen lässt. Begleitet wird dieser Diskurs von einem medialen Echo, das Cum/Cum und Cum/Ex oft als zwei Gesichter eines einzigen Skandals der Ausplünderung des deutschen Fiskus anprangert. In dieser kontroversen Debatte scheint mir ein Zwischenruf angebracht, der zur Differenzierung in zweierlei Hinsicht auffordert:

1. Auch wenn § 39 AO (Zurechnung) und § 42 AO (Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten) nur drei Vorschriften voneinander entfernt sind, lassen sie sich funktional klar auseinanderhalten. § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO kann man als Ausprägung einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise begreifen, die mit steuerlicher Motivation nichts zu tun hat. Die “Musik” spielt hier in der Frage, wie “nackt” das zivilrechtliche Eigentum sein muss, damit sich das wirtschaftliche Eigentum davon trennt. Ist entscheidend, ob den Eigentümer aller Voraussicht nach wirtschaftlich betrachtet weder Gewinn noch Verlust aus dem betreffenden Gegenstand treffen wird, weil beides jemand anderem zugewiesen ist? Spielen seine Intentionen für diese Prognose eine Rolle, oder kommt es nur auf objektive Kriterien an? Der I. Senat votiert hier für ein eindeutiges Regel-Ausnahme-Verhältnis und gegen die Relevanz subjektiver Absichten. § 42 AO hingegen richtet sich als allgemeine Antimissbrauchsbestimmung (General Anti-Avoidance Rule – GAAR) darauf, der Ausnutzung des Wortlauts der Steuergesetze im Widerspruch zu ihrem Sinn und Zweck einen Riegel vorzuschieben; er enthält nach (richtiger) Ansicht der Judikatur auch subjektive Elemente. Beides sollte man nicht vermischen.

2. Im Rahmen der Prüfung von § 42 AO gilt es ebenfalls, zweierlei deutlich zu unterscheiden: Einerseits setzt die Norm eine unangemessene Gestaltung voraus, die zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil führt. Damit ist die notwendige Bedingung für die Anwendung jeder GAAR angesprochen (s. Osterloh-Konrad, Die Steuerumgehung, 2020, S. 495 ff., S. 644 ff.): Eine Gestaltung kann nur dann als missbräuchlich eingestuft werden, wenn sie bei buchstabengetreuer Anwendung der Steuergesetze zu einem steuerlichen Vorteil führt, der mit deren Sinn und Zweck nicht vereinbar ist. Andererseits ist eine Anwendung der Norm ausgeschlossen, wenn beachtliche außersteuerliche Gründe für die Gestaltung vorliegen. Denn auf den Wortlaut der Steuergesetze darf nur derjenige nicht vertrauen, der ihre Lücken bewusst und gezielt ausnutzt, um sich einen Steuervorteil zu verschaffen. In seiner Grundstruktur entspricht § 42 AO damit dem zweiteiligen europäischen Missbrauchsverbot. Das bedeutet in der Tat: Die “böse” Absicht allein impliziert noch keinen Missbrauch. Entscheidend ist, ob der erstrebte Steuervorteil im Widerspruch zur Teleologie der Steuergesetze steht – und das tut er nicht schon deswegen, weil er das Steueraufkommen schmälert oder weil er auf einer zivilrechtlichen Konstruktion beruht, die ersichtlich steuerlich motiviert ist. In einer Reihe von Fällen hat die Judikatur selbst einigermaßen künstlich anmutende Strukturen steuerlich akzeptiert, weil die entsprechenden Gestaltungsmöglichkeiten im System angelegt waren – man denke nur an die Anteilsrotation oder an das Schütt-aus-Hol-zurück-Verfahren.

Mit den Cum/Cum-Fällen darf man es sich an dieser Stelle deshalb nicht zu leicht machen. Man muss genau überprüfen, ob sich im jeweiligen Fall ein Widerspruch zur im Gesetz angelegten Teleologie identifizieren lässt. Dass die Antwort auf diese Frage nicht ohne weiteres auf der Hand liegt, zeigt der rechtsvergleichende Blick etwa in die USA oder nach Frankreich, wo die Gerichte verschiedene Fälle von Dividendenstripping steuerlich nicht beanstandet haben. Sicher ist: Nicht alle Sachverhalte lassen sich “über einen Kamm scheren”. Erst recht gilt das für Cum/Cum und Cum/Ex. Denn dass die doppelte Erstattung einmal gezahlter Steuern nicht im Sinne des Gesetzgebers liegt, verstehen selbst steuerliche Analphabeten.

Prof. Dr. Christine Osterloh-Konrad hat den Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels- und Gesellschaftsrecht, Steuerrecht sowie Rechtsphilosophie an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen inne.

 
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