Netzwirtschaft Schiene
Sabine Leidig, MdB*
Worauf könnte der schöne Begriff „Netzwirtschaft“ besser zutreffen als auf das Wirtschaften im Schienennetz? Die großen Pioniere und historischen Befürworter des Eisenbahn – wie Friedrich List, Gustav Harkort oder Fürst von Bismarck – hatten erkannt, dass der Eisenbahnverkehr nur sinnvoll entwickelt werden kann, wenn Infrastruktur und Betrieb in einem Unternehmen vernetzt und dieses in der Regel öffentliche Unternehmen für den gesamten Verkehr im definierten Gebiet verantwortlich ist. Wenn ein Gesamtnetz entsteht und Schienenverkehre nicht nur in den profitablen Ballungsgebieten angeboten werden, sondern auch in den äußeren (unrentablen) Verästelungen.
Derzeit steht es eher schlecht um diese Netzwirtschaftsidee. Seit der Bahnreform 1995 und verstärkt seit der Orientierung auf den Börsengang ab 2005 wurde die Bahn geradezu „ent-netzt“. Die Deutsche Bahn (DB) AG als Dachgesellschaft („Holding“) mit zwei Zwischendachgesellschaften („Subholdings“) und einem halben Dutzend Aktiengesellschaften besteht aus rund 500 Einzelunternehmen. Sollte die Bahnprivatisierung vollzogen werden, wäre die Zerstörung des Netzwerkes manifestiert. Bis zu 24,9% an der DB Mobilitiy Logistics (ML) (S-Bahn-, Nah-, Fern-, Schienengüterverkehr und Logistik) würden dann an private Investoren gehen. Die „Sollbruchstelle“ im Netzwerk Schiene, die zwischen Betrieb und Infrastruktur, würde zum flächendekkenden Handicap.
Schon heute betrüblich ist die Investitionspolitik, die das Netz als Ganzes vergisst: hier ein paar hundert Kilometer ICE-Neubaustrecke für Tempo 300, aber daneben Tausende Kilometer heruntergewirtschaftetes Schienennetz mit zig Langsamfahrstellen, die den Zeitgewinn auffressen. Ein Trauerspiel geradezu beim Hauptbahnhof Stuttgart: ein wunderbarer Knoten im Netz, in dem täglich hunderttausende Umsteigevorgänge seit 80 Jahren ebenerdig, mit null Energie und barrierefrei abgewickelt werden; ein Netzknoten, in dem in den Jahren 1966 bis 1977 (als es noch nicht den entlastenden S-Bahn-Tunnel gab) in der morgendlichen Stoßzeit („Rush hour“) rund 50 % mehr Züge abgewickelt wurden als heute. Jede kluge Netzwirtschafterin würde diesen Schatz mit seinen enormen freien Kapazitäten für den Bahnverkehr heben und den Kopfbahnhof erneuern, anstatt viele Milliarden in einen hochriskanten und stressanfälligen Kellerbahnhof zu stecken. Das Eisenbahnnetz könnte mit dem übrigen Geld sehr wohl auch in Baden-Württemberg, und durchaus wirtschaftlich, erweitert werden – zum Wohl des Ganzen.
„Wohl traurig ist’s, wenn rühmliches Verdienst Durch spät’re Ungebühr verdunkelt wird, Erfreulich aber, wenn, noch unerstickt, Der bess’re Geist zum Rechten sich ermannt Und allen Ruhm erneut.“
Ludwig Uhland, Tübingen
* | Verkehrspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion DIE LINKE. |