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Becker 

Zeitenwende in der Produktsicherheit für Verbraucherprodukte?

Abbildung 1

RA Dr. Ulrich Becker

Selten hat eine EU-Gesetzgebung so viel Diskussion, mitunter auch Kopfschütteln ausgelöst wie die aktuelle Reform des Produktsicherheitsrechts. Es wird gelegentlich gar von einer Zeitenwende gesprochen.

Doch ist die neue Produktsicherheitsverordnung (ProdSV), deren vorläufiger Text Ende November 2022 in den sogenannten „Trilog-Verhandlungen“ festgelegt wurde, wirklich der große Wurf? Festzustellen bleibt zunächst, dass sie zur überfälligen Modernisierung des europäischen Produktsicherheitsrechts beiträgt. Die neue ProdSV wird die Richtlinie über die allgemeine Produktsicherheit aus dem Jahr 2001 ablösen und z. B. in Bereichen der Digitalisierung, der Cybersecurity sowie bei der Beurteilung der Sicherheit eines Produktes deutlich mehr „auf der Höhe der Zeit“ sein. Geltung erlangt die ProdSV für Non-Food-Verbraucherprodukte, nicht hingegen für B2B-Produkte. Sie gilt gleichermaßen für harmonisierte Produkte (wie z. B. Spielzeug, Maschinen oder Elektronik), als auch für Produkte, für die keine Harmonisierung besteht (z. B. ein Stuhl, eine Leiter oder Büroklammern). Insbesondere für solche Produkte werden viele Aspekte „nachgezogen“, die bislang nur in Maschinen-, Spielzeugrichtlinie, Marktüberwachungsverordnung und Co. geregelt waren, wie die Pflicht zur Erstellung einer Risikobewertung und technischer Dokumentation oder strengere Vorgaben zur Kennzeichnung und Rückverfolgung. Das alles ist gut und sinnvoll, trägt es doch dazu bei, dass es europaweit (etwas) einheitlichere Vorgaben für Produkte geben wird. Gleichwohl hat die EU einmal mehr die Chance vertan, übersichtliche, nachvollziehbare und dadurch praktikable Vorgaben zu machen. Der „große Wurf“, durch den eine Zusammenführung von Anforderungen für harmonisierte und nicht harmonisierte, Verbraucher- und Nicht-Verbraucherprodukte erzielt worden wäre, ist wieder nicht erfolgt. Die ProdSV trägt vielmehr dazu bei, wegen des Nebeneinanders von verschiedenen Rechtsvorschriften das europäische Produktrecht weiter zu zersplittern und für Anwender (noch) unübersichtlich(er) zu machen.

Die ProdSV ist aber nicht nur der Versuch, Anforderungen nachzuziehen, sie sieht auch neue, verschärfte Anforderungen vor. So sind Hersteller, aber auch Einführer, Händler und Online-Marktplätze künftig verpflichtet, durch das Safety Business Gateway Unfälle zu melden, die durch ein Produkt verursacht worden sind. Das ist neu und wird viele Fragen aufwerfen, denn der bislang im Produktsicherheitsrecht kaum relevante „Unfall“ ist natürlich interpretationsbedürftig. Dies kann zu einer Flut von Meldungen führen, aufgrund der vielen Adressaten drohen außerdem Doppelmeldungen.

Eines der erklärten Ziele der ProdSV ist, strengere Regelungen für den Online-Bereich festzulegen. Bereits die Marktüberwachungsverordnung hatte hier Verschärfungen gebracht. Die ProdSV greift das auf und legt einige neue Pflichten fest, wie z. B. die Pflicht für Online-Händler zur eindeutigen und gut sichtbaren Angabe zur Herstellerkennzeichnung, zur Produktidentifikation und zu Warnungen und Sicherheitshinweisen. Betreiber von Online-Marktplätzen müssen z. B. einen „single point of contact“ angeben, sich im Safety Gate registrieren und interne Prozesse zur Einhaltung der Anforderungen der ProdSV sicherstellen.

Eine Art „Zeitenwende“ darf man getrost in den Regelungen zum Produktrückruf sehen. Weniger in den formalen Vorgaben, wie dieser durchzuführen ist, als vielmehr im Verwischen der Grenzen zwischen den Konsequenzen aus einem gewährleistungsrechtlich relevanten Mangel und der sicherheitsrechtlichen Gefährdung. Künftig gilt, dass dem Verbraucher im Fall eines Rückrufs eine effektive, kostenfreie und zeitnahe Abhilfemaßnahme angeboten werden muss, genannt werden Reparatur, Austausch und Wertersatz. Diese Formen der Abhilfe kennt die Rechtsordnung bislang lediglich im Bereich des Vertragsrechts. Bedenkt man, dass die ProdSV die Vermeidung von Gefahren zum Ziel hat, schießt die EU mit den genannten Folgen weit über das Ziel hinaus.

Der Trilog-Verhandlungsstand ist noch vom Europäischen Parlament und Rat zu verabschieden, was Ende März 2023 erfolgen soll. Dabei kann der Entwurf noch kleinere Änderungen erfahren. Im Kern dürften sich die Regelungen aber nicht mehr ändern. Nach dem Inkrafttreten bleiben 18 Monate, um sich auf die Pflichten einzustellen. Wenig Zeit, wenn man den Pflichtenkatalog betrachtet.

RA Dr. Ulrich Becker*

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Studium an der Universität Jena; 2005 Promotion an der Universität Jena; Referendariat in Frankfurt a. M. und London; seit 2007 zugelassener Anwalt und seit 2008 Anwalt und seit 2017 Partner in der Kanzlei CMS Deutschland in Frankfurt a. M.; Schwerpunktbereiche: Produktsicherheits- und Produkthaftungsrecht und Vertriebsrecht; regelmäßiger Referent zu diesen Themen.

 
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