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K&R 2018, I
Engels 

Europäischer Verbraucherschutz – Aktionismus statt Qualität

Abbildung 1

RA Prof. Dr. Stefan Engels, Hamburg

Bekanntlich hat die Europäische Kommission im April diesen Jahres ihren „New Deal for Consumer“ vorgestellt. Dieser trägt nicht nur einen bedeutungsreichen Titel, sondern enthält tatsächlich auch eine Reihe von verbraucherschützenden Gesetzesänderungsvorschlägen, denen Anfang September 2018 die Verbraucherschutzminister der Länder weitgehend zugestimmt haben. Die Gesetzgebungsvorschläge bringen trotz des Titels nicht den großen „Umbruch“, sondern frustrieren mit ihrem kleinteiligen Aktionismus:

In Abgrenzung zur U.S.-Sammelklage schlägt die Kommission eine Erweiterung der Verbandsklage „nach europäischer Art“ zur kollektiven Durchsetzung von Massenschadensereignissen vor. Auf dieser Grundlage sollen bei Verstößen von Unternehmen gegen Verbraucherschutzgesetze, wie z. B. in den Fällen des Dieselabgasskandals, qualifizierte Einrichtungen zukünftig nicht nur auf Unterlassung klagen, sondern auch Abhilfeentscheidungen und Vergleiche zu Gunsten der Verbraucher bewirken können. Verbraucher sollen bspw. Entschädigungen oder Preisminderungen EU-weit geltend machen können, ohne dass der Verstoß für jeden Einzelfall gesondert in einem langwierigen und möglicherweise komplexen Folgeverfahren festgestellt werden muss.

Im Falle von weitverbreiteten Verstößen mit „Unions-Dimension“ (Betroffenheit von mindestens zwei Drittel der Mitgliedstaaten, die zusammen mindestens zwei Drittel der Bevölkerung der Union ausmachen) sollen Bußgelder in Höhe von mindestens 4 % des netto Jahreseinkommen eines Unternehmens verhängt werden können. Ferner sollen durch zusätzliche Koordinierungsmaßnahmen einheitliche Kriterien für die Bewertung von Verstößen und die Bemessung von Bußgeldhöhen EU-weit etabliert werden.

Künftig sollen Verbraucher, die von unlauteren Geschäftspraktiken betroffen sind, von individuellen Rechtsbehelfen Gebrauch machen können. Hierbei soll ihnen insbesondere ein Anspruch auf Vertragskündigung sowie ein Anspruch auf Schadensersatz zugestanden werden.

Die Kommission sagt außerdem dem Vertrieb von identischen Verbraucherprodukten unterschiedlicher Qualität den Kampf an. So soll Ware mit gleicher Verpackung und Kennzeichnung in allen EU-Staaten die gleichen Qualitätsanforderungen erfüllen.

Online-Marktplätze wie eBay oder Airbnb, die einen Online-Vertragsschluss zwischen Verbrauchern und Unternehmern ermöglichen, sollen die Verbraucher künftig über die Hauptparameter des Rankings von Suchergebnissen auf der Plattform informieren. Zusätzlich sollen ihnen Informationspflichten auferlegt werden, die Verbraucher darüber zu unterrichten, gegen welche Personen (Plattformbetreiber oder Dritter) ihnen welche Rechte zustehen. Die Verbraucherschutzminister kritisieren hierbei allerdings, dass ebenfalls involvierte Vergleichsportale, App-Stores und Suchmaschinen von dieser Offenlegungspflicht nicht betroffen sind.

Das 14-tägige Widerrufsrecht soll auf „kostenlose“ digitale Dienstleistungen erweitert werden, bei denen eine „Zahlung mit Daten“ erfolgt. Nach den Forderungen der Verbraucherschutzminister sollen die Daten in dieser Zeit vom Unternehmen nicht weiterverarbeitet und im Falle einer Abmeldung/Kündigung gelöscht werden.

Das Widerrufsrecht im E-Commerce soll ausgeschlossen sein, wenn der Verbraucher die Ware bereits verwendet. Weiter soll der Unternehmer den Kaufpreis grundsätzlich erst dann erstatten müssen, wenn er die Ware wieder zurückerhalten hat. Auch soll es dem Unternehmer künftig möglich sein „sonstige Online-Kommunikationsmittel“ zu verwenden. Entscheidend sei nur, dass der Verbraucher die Kommunikation dauerhaft speichern kann.

Das vollmundig angekündigte Gesetzgebungsverfahren steht noch ganz am Anfang und es scheint, als könne das Schlimmste noch verhindert werden. Speziell nach erfolgten Beratungen von europäischem Rat und Parlament sind noch weitere Entschärfungen der Vorschläge denkbar. Und das wäre auch gut so: Der Gedanke, durch mehr Ansprüche mehr Verbraucherschutz zu erlangen, führt in die Irre und macht allenfalls Abmahnanwälte glücklich. Auch weitere Aufsichtsbehörden und Bußgelder braucht keiner. Denn es fehlt nicht an Klagemöglichkeiten, sondern pfiffigen, marktkonformen Regulierungsideen. Mehr noch: Die EU versucht Missstände zu beseitigen, die sie selbst gar nicht feststellen konnte. In vielen Mitgliedsstaaten leisten die bestehenden Wettbewerbsgesetze mit Hilfe der Gerichte gute Arbeit und reagieren auch flexibel auf neue Fragestellungen. Der große „Umbruch“ wird daher nur zu etwas führen, was wir aktuell am wenigstens brauchen: EU-Verdruss.

RA Prof. Dr. Stefan Engels, Hamburg

 
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