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Ein Gespenst ist zurück – die unendliche Geschichte der Klarnamenpflicht

Abbildung 1

RA Dominik Höch, Berlin

Das Thema scheint immer mal wieder erledigt. Bis zu einem neuen krassen Fall von rechtswidrigem Hass im Netz. Es folgt dann ein Namensbeitrag von (meist konservativen) Politikern in der Zeitung mit einer strammen Forderung: In sozialen Netzwerken soll jeder nur mit seinem richtigen Namen auftauchen. Und manchmal folgt dann auch eine Gesetzesinitiative. Danach passiert in der Regel: nichts.

Ende 2020 haben die Richter des OLG München dem Thema Klarnamenpflicht ein weiteres Kapitel hinzugefügt (Urteil vom 8. 12. 2020, Az. 18 U 2822/19). Sie haben es sicher gut gemeint, als sie Facebook dort gegen einen Nutzer Recht gaben. Zwar müsse nach § 13 Abs. 6 TMG Facebook den Nutzern das anonyme oder pseudonyme Surfen ermöglichen. Das sei aber nicht “zumutbar” im Sinne der Norm. Das soziale Netzwerk dürfe eine Pflicht zur Nutzung eines Klarnamens postulieren. Wer sich nicht daran halte, könne aus dem sozialen Netzwerk ausgeschlossen werden. Die Richter argumentierten mit auf den ersten Blick naheliegenden Erwägungen: “Der Senat teilt die Ansicht des LG, dass die Verpflichtung zur Verwendung des wahren Namens grundsätzlich geeignet ist, Nutzer von einem rechtswidrigen Verhalten im Internet abzuhalten. Bei der Verwendung eines Pseudonyms liegt die Hemmschwelle nach allgemeiner Lebenserfahrung deutlich niedriger.”

Man möchte seufzen: “Wäre es nur so einfach…”: Die Wirklichkeit ist anders, und deshalb ist die Entscheidung aus München problematisch und löst kein Problem um rechtswidrigen Hass im Netz.

Schon der Ausgangspunkt, es sei das “legitime Interesse” von Facebook hinsichtlich von Hass im Netz, auf seine Nutzer durch Klarnamenpflicht einzuwirken, erscheint fraglich. Erstens laufen trotz dieser AGB bei Facebook Millionen von Accounts unter Fantasienamen. Denn die schönste Pflicht nützt nichts, wenn sie nicht nachhaltig kontrolliert wird oder geeignete technische Maßnahmen (Identitätsprüfungen) ergriffen werden. Zum anderen lässt sich gut fragen, welches Interesse bei Facebook wirklich im Vordergrund steht, die Nutzer auf Klarnamen zu verpflichten. Ein “verifizierter” Account hat sicher einen höheren Werbewert als einer, bei dem man nicht weiß, welcher konkreten Person man Werbung ausspielt.

Entscheidend ist aber, was sich in der anwaltlichen Praxis zeigt: die Hemmschwelle ist mittlerweile derart tief gesunken, dass auch unter dem richtigen Namen der Nutzer beleidigt wird, was das Zeug hält. Da ist der Inhaber einer Autowerkstatt, der in einem sozialen Netzwerk eine Wissenschaftlerin als “Dumme Kuh” bezeichnet; da ist der unzufriedene Kunde, der in seinem offiziellen YouTube-Kanal über einen Geschäftspartner das Schimpfwort vom “Wi…ser” loslässt. Die Liste aus den tatsächlichen Fällen des Autors lässt sich beliebig fortsetzen. Bekannt geworden ist auch der Fall einer Grünen-Politikerin, die eine Morddrohung erhielt. Wohn- und Arbeitsort des Nutzers waren bekannt, das Verfahren wurde trotzdem eingestellt. Ganz neu ist dieser erschreckende Befund nicht: Schon 2016 hat eine Studie der Universität Zürich rund 500 000 Kommentare zu Online-Petitionen geprüft und festgestellt: Die höhere Aggression weisen Texte auf, die von nicht-anonymen Nutzern kamen.

Woran liegt das nun? Hier stößt man zum traurigen Kern der Geschichte: Die Leute glauben schlicht nicht daran, dass sie erwischt werden. Es bleibt das größte Problem der Hasskriminalität, dass es ein erhebliches Vollzugsdefizit gibt. Das “Lied” geht seit Jahren gleich: technischer Rückstand und personelle Engpässe bei den Ermittlern aufgrund fehlender finanzieller Ausstattung; falsche Einschätzungen der Strafbarkeit von Äußerungen – und: Beleidigungsdelikte führen immer noch irgendwie ein Schattendasein bei den zu verfolgenden Straftaten, und das, obwohl sie jetzt ins Zentrum der gesellschaftlichen Debatte gerückt sind.

Aber, die Dinge ändern sich; es gibt mittlerweile zahlreiche Schwerpunkt-Staatsanwaltschaften und spezielle Zentren der Polizei in verschiedenen Bundesländern, die rasche Erfolge wegen Beleidigungsdelikten und Volksverhetzung erzielen (übrigens auch bei anonymen oder pseudonymen Nutzern). Bitte mehr davon, schnell und vor allem: es muss darüber berichtet werden.

Es lohnt sich, der Wahrheit ins Auge zu sehen: eine Klarnamenpflicht wird wohl nie kommen. Sie ist europarechtlich fraglich (Argument der Datensparsamkeit nach DSGVO), politisch in Europa kaum umzusetzen. Eine nationale Regelung würde nur zu einem “Ausweichen” der Nutzer führen, jenseits der großen Frage, ob eine solche Pflicht mit der Meinungsfreiheit vereinbar wäre. Es sei daran erinnert: Die Klarnamenpflicht würde nicht nur für hasserfüllte “Querdenker” gelten, sondern auch für den Whistleblower, der Missstände aufdecken will.

Rufe nach Klarnamen im Netz, wie jetzt aus München, sind leider nicht mehr als “Digitalesoterik” (Sascha Lobo).

RA Dominik Höch, Berlin

 
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