Die Medien haben Anspruch auf Gerichtsentscheidungen – klare Worte aus Karlsruhe
RA Martin W. Huff, Köln
Medien berichten über Gerichtsverfahren und mündliche Verhandlungen. Gerichte unterrichten die Öffentlichkeit über den Inhalt ihrer Entscheidungen durch Medieninformationen. Doch wenn die Medien dann bei Gericht den Volltext anfordern, dann stoßen sie immer wieder auf Widerstände. Mit erstaunlichen Argumenten wird die Übersendung verwehrt. Die Betroffenen hätten einer Veröffentlichung widersprochen, der Aufwand für die Anonymisierung sei zu groß, das Urteil sei noch nicht rechtskräftig und vieles mehr führen die Behördenleiter (meistens nicht die Sprecher) an, um eine Übersendung zu verweigern. Es gab Diskussionen mit der bayerischen Justiz um die Herausgabe des Urteils des LG München II im Fall Uli Hoeneß, die Justiz in Rheinland-Pfalz verweigerte die Veröffentlichung des Urteils im Mordfall Schemmer (s. dazu jetzt LG Koblenz, Urt. v. 2. 10. 2015 – 13 O 7/15) und der Verfasser selber musste vor langen Jahren erst eine Beschwerde einlegen um als Berichterstatter der FAZ im Fall Peter Graf die schriftlichen Gründe vom LG Mannheim zu erhalten.
Eigentlich hatte bereits das BVerwG 1997 Klarheit geschaffen, so könnte man meinen. Die Verwaltungsrichter stellen in einer Auseinandersetzung von Fachverlagen mit der Justiz klar, dass Gerichtsentscheidungen in die Öffentlichkeit gehören. Aus dem Rechtsstaatsgebot einschließlich der Justizgewährungspflicht, dem Demokratiegebot und dem Grundsatz der Gewaltenteilung ergebe sich grundsätzlich eine Pflicht zur Publikation von Entscheidungen, so die Richter damals sehr deutlich. Auch könnten die Medien verlangen, von allen Entscheidungen eine Abschrift zu erhalten, wenn sie dies wünschen. So stehen heute wie selbstverständlich (fast) alle Entscheidungen der obersten Bundesgerichte im Internet zur Verfügung, und dies ist auch richtig so. Ende 2014 ist das BVerwG sogar noch einen Schritt weiter gegangen und hat das Land Baden-Württemberg verpflichtet, weitgehend die Namen der Prozessbeteiligten (Richter, Schöffen, Rechtsanwälte) zumindest auf Nachfrage zu nennen, was heute etwa auch das BVerfG wie selbstverständlich tut.
Doch dann weigerte sich die thüringische Justiz (und dies war sicher nicht nur die Entscheidung des Präsidenten des LG Meinigen, sondern – da es sich nicht um eine Richter-, sondern um eine Verwaltungstätigkeit handelt – mit dem Ministerium abgestimmt), dem Handelsblatt eine Abschrift des Strafurteils des LG in einem beachteten Strafverfahren zu übersenden, obwohl ausführlich über die mehrtägige mündliche Verhandlung berichtet worden war. Das Urteil sei noch nicht rechtskräftig, Zeugen könnten für noch laufende andere Verfahren beeinflusst werden und so weiter lautete die fadenscheinige Begründung des Gerichts. Das VG Meinigen verurteilte zur Herausgabe, mit erstaunlichen Gründen lehnte das OVG Weimar (K&R 2015, 351 m. Anm. Huff, K&R 2015, 354) die Übersendung ab. Dies wollte sich der Verlag nicht bieten lassen und hat Verfassungsbeschwerde erhoben.
Und das BVerfG (Beschl. v. 14. 9. 2015 – 1 BvR 857/15 = K&R 2015, 796 [in diesem Heft]) hat rasch und deutlich entschieden: Der Beschluss des OVG Weimar verletzt Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG und muss jetzt neu über den Antrag entscheiden. Denn in der Regel haben die Medien einen Anspruch auf nicht rechtskräftige Entscheidungen in anonymisierter Form. Nur in seltenen Fällen kann es hiervon Ausnahmen geben.
Die Richter der 3. Kammer des Ersten Senats gehen einen klaren Weg in ihrer Begründung: Der Anspruch der Medien auf die Übersendung ergebe sich aus § 4 des Thüringer Pressegesetzes, dem Auskunftsanspruch der Medien. Dieser werde bei einem entsprechenden Antrag der Medien zu einem Anspruch auf die Übersendung der Entscheidung und stelle damit auch keine unerlaubte Gewährung von Akteneinsicht dar. Und auch die vom OVG benannten Gründe für die Ablehnung werden vom Gericht zu Recht nicht akzeptiert.
Damit ist jetzt folgendes klargestellt und wird hoffentlich von der Justiz beachtet: Es gibt einen Anspruch auf die Übersendung von Entscheidungen der Medien aus § 4 der Landespressegesetze. Auf die Rechtskraft kommt es nicht an. Die Entscheidungen sind in der Regel zu anonymisieren, dies betrifft nicht die Namen der Richter, Anwälte etc. Zuständig ist das Gericht, das die Entscheidung erlassen hat, da sich der Anspruch aus § 4 gegen das konkrete Gericht richtet. Verweise auf die aktenführende Stelle, etwa die Staatsanwaltschaft, sind nicht mehr möglich.
RA Martin W. Huff, Köln