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Das Ende der Schonfrist: Die 10. GWB-Novelle soll den Digitalkonzernen ihre Grenzen aufzeigen!

Abbildung 1

Prof. Dr. Frank A. Immenga, LL.M. (Emory)

Digitalkonzernen kann man derzeit zu einem Blick in die Geschichtsbücher raten: In den USA führte das rücksichtslose Geschäftsgebaren der Standard Oil Company im Jahre 1890 zunächst zum Erlass des ersten Antimonopol-Gesetzes (Sherman Act) und im Jahr 1911 dann sogar zur Entflechtung des Unternehmens. 130 Jahre später müssen die Digitalkonzerne ähnliche Konsequenzen fürchten. In den USA laufen derzeit kartellrechtliche Untersuchungen gegen Facebook, Amazon, Apple und Google. Facebook wurde kürzlich sogar wegen systematischer Strategie zur Monopolbildung von zahlreichen Bundesstaaten verklagt. In diesem Zusammenhang wird immer wieder eine mögliche Entflechtung der Technologiekonzerne diskutiert. Auch in Europa möchte man künftig die Zügel anziehen. Hier versucht die Europäische Kommission, mit den Vorschlägen zu digitalen Diensten (“Digital Services Act”) und digitalen Märkten (“Digital Markets Act”) ein Instrument zu schaffen, um jenseits klassischer Wettbewerbsverfahren gegen die Digitalkonzerne vorzugehen. In dem globalen Kampf gegen die Übermacht der Digitalkonzerne nimmt Deutschland jedoch nun – mit Erlass der 10. GWB-Novelle – eine Vorreiterrolle ein. Es wird spannend.

Was ist passiert? Am 19. 1. 2021 ist das sog. GWB-Digitalisierungsgesetz in Kraft getreten. Das Gesetz enthält zwar u. a. auch Neuregelungen im Hinblick auf die Fusionskontrolle, die Kodifizierung des Kronzeugenprogramms, der Konkretisierung der Bußgeldbemessung etc. Ziel des Gesetzes ist es jedoch v. a., das deutsche Kartellrecht an die neuen Herausforderungen des digitalen Zeitalters anzupassen. Hierfür hat der Gesetzgeber Vorschriften der klassischen Missbrauchsaufsicht konkretisiert und um internetspezifische Kriterien erweitert. Bei der Bemessung von Marktmacht ist nun bspw. auch gesetzlich vorgesehen, dass der Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten und die Frage, ob eine Plattform über eine sog. Intermediationsmacht verfügt, zu berücksichtigen sind. Eine wichtige Neuerung ist zudem, dass das Bundeskartellamt zugunsten abhängiger Unternehmen unter bestimmten Voraussetzungen anordnen kann, dass ein Datenzugang gegen angemessenes Entgelt gewährt wird. Darüber hinaus sind spezielle Eingriffsmöglichkeiten für den Fall vorgesehen, dass ein Plattformmarkt in Richtung eines großen Anbieters zu “kippen” droht (sog. “tipping” eines Marktes).

Keine dieser Regelungen hat jedoch für so viel Aufregung gesorgt wie der neue § 19a GWB. Diese Vorschrift richtet sich an Unternehmen, denen aufgrund ihrer strategischen Stellung und ihrer Ressourcen eine besondere marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb zukommt. Das Bundeskartellamt kann diesen Unternehmen – welche eine “überragende marktübergreifende Marktmacht” haben – bestimmte Verhaltensweisen vorbeugend untersagen. Beispiele für solche Verhaltensweisen sind u. a. die Selbstbevorzugung von konzerneigenen Diensten oder die Behinderung des Marktzutritts von Dritten durch das Vorenthalten bestimmter Daten. Die Schlagkraft der neuen Vorschrift untermauert der Gesetzgeber außerdem durch eine Verkürzung des Rechtsweges. Beschwerden gegen Entscheidungen des Bundeskartellamtes, die auf der Basis von § 19a getroffen wurden, werden direkt vom BGH entschieden. Dies führt zu einer erheblichen Zeitersparnis. Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes, erhofft sich, dass “wir künftig bestimmte Verhaltensweisen der Big-Tech-Unternehmen schon früher untersagen können, also quasi bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist.”

Naturgemäß wird viel Kritik geäußert – nicht nur von den Digitalkonzernen. Dennoch: Es gilt zu bedenken, dass der Gesetzgeber hier keinen Alleingang veranstaltet und verschiedene Vorschläge von Expertenkommissionen im In- und Ausland aufgegriffen hat. Es ist nun zu erwarten, dass das Bundeskartellamt künftig primär nach § 19a GWB vorgehen wird. Insoweit hat das Bundeskartellamt bereits im Januar 2021 das anhängige Verfahren Facebook/Oculus erweitert und prüft nun ebenfalls, ob Facebook unter § 19a GWB fällt und die Verknüpfung der fraglichen Dienste hieran zu messen ist. Selbstverständlich wird es (anfangs) Streitigkeiten bei der Rechtsanwendung geben. Die Zukunft wird aber aufzeigen, dass der deutsche Gesetzgeber hier eine bedeutsame Vorreiterrolle eingenommen hat. Am Ende werden die Digitalkonzerne möglicherweise sogar dankbar sein. Denn sie könnten ihrem (historisch) vorgezeichneten Wege entgehen. Das bedeutet: “Lediglich” schärfere Kontrolle – statt staatlich erzwungener Entflechtung.

Prof. Dr. Frank A. Immenga, LL.M. (Emory)

 
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