Wettbewerbsverfälschung für Atomstrom?
Während Deutschland aus der Kernkraftnutzung aussteigt, und zwar verfassungsgemäß, wie das BVerfG erst am 6. 12. 2016 entschied (BVerfG 1 BvR 2821/11, 1 BvR 1456/12, 1 BvR 321/12, NJW 2017, 217), bauen andere Länder Kernkraftwerke aus und können dafür Beihilfen gewähren. Die Kommission genehmigte am 6. 3. 2017 eine Investitionsbeihilfe zugunsten ungarischer Kernkraftwerke (COMM-REP-DE Newsletter vom 6. 3. 2017; Europaticker aktuell vom 7. 3. 2017 auch zum Folgenden). Allerdings musste Ungarn für die Unterstützung des Baus zwei neuer Kernkraftwerke in Paks (Paks II) Verpflichtungszusagen abgeben. Damit sieht die Kommission sehr wohl mögliche Wettbewerbsverzerrungen im Energiemarkt auch bei Beihilfen an Kernkraftwerken, lässt diese aber mit bestimmten Maßgaben am Ende doch passieren. Also liegt dieser Beschluss auf der Linie der ebenfalls genehmigten Subventionierung von Kernkraftwerken in Großbritannien.
Ungarn will durch den Bau zweier neuer Kernkraftwerke die vier bisherigen auf dem Paks-Gelände betriebenen Reaktoren aus den 1980er Jahren ersetzen, welche aktuell etwa die Hälfte der inländischen ungarischen Stromproduktion ausmachen. Damit geht Ungarn den Weg der Kernenergienutzung weiter, wie ihn Art. 194 Abs. 2 UAbs. 2 AEUV gewährleistet, wonach der nationale Energiemix nicht durch die EU-Energiepolitik angetastet werden darf. Die Grenze für nationale Unterstützungsleistungen besteht allerdings im EU-Beihilfenverbot. Das gilt nicht nur für die Förderung erneuerbarer Energien (EWS Heft 1/2017, Die erste Seite), sondern auch für die der Kernkraftnutzung.
Hintergrund sind Wettbewerbsverzerrungen, die es zu begrenzen gilt. Daher will Kommissarin Margrethe Vestager die staatliche Unterstützungsleistung “auf ein Minimum” begrenzen. Das korrespondiert mit der Grenze der Erforderlichkeit für die Förderung der Produktion erneuerbarer Energien und der Vorhaltung von Reservekapazitäten nach dem Winterpaket der Kommission vom 30. 11. 2016 (IP/16/400).
Ansatz der ungarischen Beihilfe ist die Unterstützung einer privaten Investition in den Bau von zwei Kernkraftwerken. Dabei nimmt Ungarn eine niedrigere Rendite aus seiner Investition hin als ein privater Kapitalgeber. Damit bezieht sich der Private-Investor-Test auch auf die Rendite.
Die Beihilfe wurde genehmigt, weil sie nach Auffassung der Kommission auf der Basis des Nachweises Ungarns keine übermäßigen Wettbewerbsverzerrungen auf dem dortigen Energiemarkt bewirkt. Hierfür musste Ungarn aber wesentliche Verpflichtungszusagen machen. Insbesondere dürfen die in den neuen Kernkraftwerken erzielten Gewinne durch den Betreiber nicht für Reinvestitionen in den Bau oder für den Erwerb zusätzlicher Erzeugungskapazität verwendet werden. Der Betreiber darf sie nur für die Deckung der normalen Betriebskosten einsetzen oder zur Rückzahlung des Investitionsbetrages an den ungarischen Staat. Dadurch ist gesichert, dass dessen Förderung nicht dazu beiträgt, im Markt zu expandieren, sondern lediglich den Status quo zu erhalten. So ist jedenfalls eine offensive Verdrängung von Wettbewerbern ausgeschlossen.
Zudem erfolgt eine Trennung der neuen Kernkraftwerke vom Betreiber sowie seiner etwaigen Nachfolger oder sonstigen in Staatseigentum stehenden Energieunternehmen. Damit wird eine Marktkonzentration vermieden. Schließlich müssen zur Gewährleistung der Marktliquidität mindestens 30 % der gesamten Stromerzeugung aus Paks II an die offene Strombörse verkauft werden; im Übrigen wird der erzeugte Strom von diesen Kraftwerken zu objektiven, transparenten und nicht diskriminierenden Bedingungen im Wege von Auktionen verkauft.
Im Ergebnis wird diese Investition nach der Kommission Art. 2 lit. c) Euratomvertrag gerecht, wonach die Mitgliedstaaten die Investitionen zu erleichtern und insbesondere durch Förderung der Initiative der Unternehmen durch Schaffen der wesentlichen Anlagen sicherzustellen haben, die für die Entwicklung der Kernenergie in der Union notwendig sind. Dieser Vertrag gilt weiterhin. Zudem tragen die neuen Kernkraftwerke zur Sicherstellung der Energieversorgung bei. Die Energieversorgung ist seit dem Urteil Almelo vom 27. 4. 1994 (Rs. C-393/92) ein klassisches Feld einer Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse. Daher dürfen die Mitgliedstaaten Förderungen geben, um die Funktionsfähigkeit zu gewährleisten. Dazu gehört eine umfassende, flächendeckende Versorgung zu angemessenen, nicht diskriminierenden Preisen. So können auch Investitionen in Kraftwerke unterstützt werden.
Insgesamt zeigen sich in der Kommissionsgenehmigung ungarischer Beihilfen für den Bau zweier Kernreaktoren vom 6. 3. 2017 die Energieformneutralität der Union und zugleich die Einbindung von Energiebeihilfen in das Konzept von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse. Die Begrenzung erfolgt strikt durch die Erforderlichkeit. Das gilt sowohl im Bereich der erneuerbaren Energien als auch für die Kernkraftnutzung. Der Klimaschutz und die Energieversorgungssicherheit bilden im Ergebnis gleichermaßen Rechtfertigungsgründe für staatliche Unterstützungsleistungen. Eine Wettbewerbsverfälschung ist durch das Beihilfenverbot daher für alle Energieformen gleichermaßen begrenzt. Die durch Art. 194 Abs. 2 UAbs. 2 AEUV eröffneten nationalen Präferenzen werden damit umfassend beihilferechtlich eingehegt.
Prof. Dr. jur. Walter Frenz, RWTH Aachen