Zur Aufgabe der Rechtsanwälte
Rechtsanwälte sollten sich stärker ihrer Funktion und Position bewusst werden. Umsatz allein rechtfertigt nicht alles.
Regelmäßiges Thema der Compliance-Diskussion sind Aufgaben, Pflichten und Haftungsrisiken des Compliance-Beauftragten und der den Compliance-Pflichten unterliegenden Unternehmensorgane (siehe auch das Editorial „Der CCO auf der Anklagebank“ von Dr. Katharina Hastenrath und Dr. Sylvia Fuchs in Heft 3/2020 des Compliance-Beraters).
Aber was ist eigentlich mit dem Rechtsanwalt, der Unternehmen, Organe und Compliance-Beauftragte bei der Einrichtung eines Compliance-Management-Systems, bei der Aufklärung von Verstößen und in Haftungsfragen berät?
Diese Frage wird hier nicht ohne Grund gestellt und zielt auf das anwaltliche Selbstverständnis ab – und die Erwartungen von Mandanten an ihre Rechtsanwälte und deren Integrität. Nach Durchsuchungen in diversen Kanzleien im Zusammenhang mit unternehmensinternen Ermittlungen wird nun in Sachen „cum-ex“ gegen zahlreiche Rechtsanwälte ermittelt. Dies soll Gelegenheit geben, über die Rolle des Rechtsanwalts als Berater in Compliance-Fragen nachzudenken.
Der Blick ins Gesetz erleichtert die Rechtsfindung. § 1 Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) hilft, indem er sagt: „Der Rechtsanwalt ist ein unabhängiges Organ der Rechtspflege.“ Ist er das? Nun ja, er soll den Interessen des Mandanten dienen, er ist ja der „Fürsprecher“ des Mandanten. Zugleich soll (und muss) er sich seine Unabhängigkeit bewahren. Dazu gibt § 43a Abs. 1 BRAO vor, der Rechtsanwalt darf keine Bindungen eingehen, die seine berufliche Unabhängigkeit gefährden.
Richtig und wichtig – aber auch realistisch? Es ist eine romantische und TV-Serien geschuldete Vorstellung, dass Rechtsanwälte vor allem der Gerechtigkeit verpflichtet sind. Denn das sind sie nicht, über Richtig und Falsch entscheidet der Richter. Der Rechtsanwalt ist parteiisch, er soll und muss es sein, denn er vertritt die Interessen seines Mandanten. Das ist seine Rolle in einem Rechtsstaat. Dabei berät und empfiehlt er den sichersten Weg. Was der beratene Mandant aus diesem Rat tatsächlich macht, ist dessen Sache. Es sei denn, die Schwelle zur Beihilfe zu einer Straftat wird überschritten.
Führen die jüngsten Vorfälle nun dazu, dass eine ganze Branche in Verruf gebracht wird?
Nein, gewiss nicht. Vielmehr sollten Unternehmen genauer und besser überlegen, was sie von ihrem Rechtsanwalt erwarten. Vielleicht sollten sie dankbar sein, wenn der Rechtsanwalt sagt: „Nein, das geht so nicht!“. Auch Rechtsanwälte sollten sich stärker ihrer Funktion und Position bewusstwerden und den Wert eines „Nein“ für sich und auch den Mandanten wertschätzen. Einige Großkanzleien haben nicht zu Unrecht von der cum-ex-Beratung abgesehen. Umsatz allein rechtfertigt nicht alles.
Was bedeutet das für den Rechtsanwalt in Sachen Compliance? Und den Compliance-Beauftragten, der insoweit beraten wird?
Gerade in Sachen Compliance sollte es für den beratenden Rechtsanwalt besonders wichtig sein, auf die eigene Seriosität und Integrität Acht zugeben. Unternehmen erwarten hier einen Rechtsanwalt mit gesundem moralischem Kompass. Eben weil die Compliance-Beratung für den Rechtsanwalt häufig besondere und mitunter unerfreuliche Überraschungen bereithält, ist es wichtig, Grenzen nicht zu überschreiten. Das Risiko einer Beihilfe oder Mittäterschaft zu den einschlägigen Delikten sollte nicht unterschätzt werden. Gewiss ist es hilfreich und bequem, wenn der Rechtsanwalt bei der Beseitigung von schmuddeligen Themen Hilfe leistet. Doch sollten Compliance-Beauftragte und Geschäftsleitung sich sehr bewusst sein, dass eine anwaltliche Beratung, die nicht durch hohe Honorare korrumpiert wird, sondern von Unabhängigkeit geprägt ist und zugleich die Interessen des Mandanten wahrt, kaum zu überschätzen ist und für alle Beteiligte einen nicht in Geld zu bemessenden Wert hat.
Weder der preisgünstige, noch der vermeintlich teure Rechtsanwalt ist der bessere, sondern der, der gelegentlich unangenehme Fragen stellt und unangenehme Antworten gibt. Da ein guter Anwalt immer vorweg nimmt, was alles schief gehen kann, sollte von Wellness-Compliance eher Abstand genommen werden.
Denn: Das Auge des Rechtes ist die Wiege des Kampfes (frei nach Sullivan und Peterik, 1982 – Preisfrage: Wer findet das Original?).
Dr. Malte Passarge ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht und Partner der Kanzlei HUTH DIETRICH HAHN sowie Vorstand des Instituts für Compliance im Mittelstand (ICM), Geschäftsführer von Pro Honore e. V. und Chefredakteur des Compliance-Beraters.